„Ganz nah dran am Menschen“: 25 Jahre AIDS-Hilfe Bochum

Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, liegt die Blume im Revier.

Als Herbert Grönemeyers Hymne an seine Heimatstadt Bochum Mitte der 80er Jahre landauf, landab gespielt wurde, war im Ruhrgebiet der Strukturwandel - weg von Kohle und Koks hin zur Dienstleistung - bereits in vollem Gange. Die letzten Bochumer Zechen waren längst geschlossen und die Arbeitslosigkeit entsprechend hoch. Vielleicht wollte man auch deshalb die neue, ganz anders geartete Krise erst einmal nicht wahrhaben.

„Das Thema Aids wurde sehr randständig behandelt", sagt Jörg Syllwasschy, Leiter der Pro-Familia-Beratungsstelle. „Bochum liegt ja zwischen Dortmund und Essen und östlich von Düsseldorf.“

Soll heißen: Mit ihren 360.000 Einwohnern hat die Stadt in mancher Hinsicht „provinziellen“ Charakter. Probleme wie eine hauptsächlich schwule Männer betreffende Krankheit sah man anfangs vor allem in den „richtigen“ Großstädten angesiedelt.

Trotzdem gab es schon früh einige Stellen und Menschen, die damit befasst waren, neben Pro Familia zum Beispiel die Krisenhilfe, die Telefonseelsorge, die Rosa Strippe, Studenten von der Aids-Beratungsgruppe der Ruhr-Uni sowie einen sehr engagierten niedergelassenen Arzt.

Jörg Syllwasschy: „Uns war schnell klar, dass es keine Schwulenkrankheit geben kann, dass Aids sich weiterentwickeln würde und uns nichts blieb als Prävention dagegen zu setzen, am besten im Verbund von mehreren Einrichtungen. Wir haben alle an einen Tisch geholt und Anfang 1986 den Verein gegründet.“

Die neue Aidshilfe startete rein ehrenamtlich in einem Hinterzimmer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands mit einem Beratungsangebot an zwei Abenden in der Woche, an dem sich bald auch zwei HIV-Positive beteiligten. Bekannt gemacht wurde die neue Anlaufstelle über Zeitungsannoncen, Aushänge in Gesundheitsämtern und Mund-zu-Mund-Propaganda.

Daneben organisierten die Gründungsväter und -mütter Fortbildungen und ein wöchentliches Mitarbeiterfrühstück zum Austausch. Sie leisteten politische Lobbyarbeit und hielten die monatlichen Vorstandssitzungen vereinsöffentlich und streng basisdemokratisch ab.

Die ersten eigenen Räume fand die Aidshilfe nach zwei Jahren in einem Mehrparteienhaus, dessen Bewohner Sturm gegen die neuen Nachbarn liefen: „Die Hausfrauen hatten Angst, dass Junkies im Treppenhaus lauern und sie mit ihren Spritzen stechen“, erinnert sich Jörg Syllwasschy. „Also wurde die Haustür abgeschlossen, die Klienten mussten klingeln und unten abgeholt werden. Es hat Jahre gebraucht, bis sich das allmählich geändert hat.“ 1990 wurde die Aidshilfe in die Landesförderung aufgenommen und mit 1,5 hauptamtlichen Stellen besetzt.

Jörg Syllwasschy blieb fast 20 Jahre im Vorstand der AIDS-Hilfe Bochum, und auch die anderen Einrichtungen waren lange Zeit vertreten, „um eine gewisse Konstanz zu erhalten, denn es sind ja auch immer Leute weggestorben“.

In dieser Zeit hat sich eine funktionierende Arbeitsteilung entwickelt: Pro Familia sieht sich für Jugendliche und die heterosexuelle Allgemeinbevölkerung zuständig, das Gesundheitsamt übernimmt die Schoolwork. Die Aidshilfe ist Fachstelle für die klassische zielgruppenspezifische Prävention und begleitet und unterstützt die Selbsthilfe. Im Rahmen der nordrheinwestfälischen Kampagne "Herzenslust" ging sie mit einem eigenen Team an den Start; so gewann sie Profil in der Arbeit im Bereich der Prävention von und für Schwule und andere Männer, die Sex mit Männern haben. Die enge Zusammenarbeit der Akteure wird im Arbeitskreis Sexuelle Gesundheit koordiniert.

Ihr Jubiläum hat die AIDS-Hilfe unter das Motto „... ganz nah dran am Menschen“ gestellt, das Geschäftsführer Arne Kayser vor allem im Begegnungszentrum „enJoy“ verwirklicht sieht: „Es steht für eine starke Selbsthilfe und Ehrenamtlichkeit, auf die wir als kleine Einrichtung besonders angewiesen und stolz sind. Dort wird gemeinsam gekocht, gelacht, gespielt und manchmal auch gestritten – es geht eben wie im wahren Leben zu.“

(af)