Die Erfolgsmomente zählen: 25 Jahre AIDS-Hilfe Westmünsterland
„Es ist manchmal so, als ob die Zeit hier stehengeblieben wäre“, sagt Manuela Brandt, einzige hauptamtliche Mitarbeiterin der AIDS-Hilfe Westmünsterland in Ahaus, die gestern ihr 25-jähriges Jubiläum feierte. Ahaus selbst erhielt zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Stadtrechte und hat heute rund 38.000 Einwohner. Im Rathaus regiert seit Jahr und Tag die CDU mit Wahlergebnissen, von denen die CSU in Bayern nur noch träumen kann, und auch die katholische Kirche hat einen gewissen Einfluss. Zum Einzugsgebiet der AIDS-Hilfe im Kreis Borken gehören viele kleine Städte wie Isselburg, Heek oder Gescher; Münster, die nächste Großstadt, ist 65 Kilometer entfernt.
Manuela Brandt beschreibt mit ihrem Satz keine beschauliche Idylle. Noch vor vier Jahren kam ein Mann zu ihr an den Infostand und sagte: „Ihr gehört doch alle kaserniert!“ Viele Geschäfte in Ahaus sind nicht bereit, Hinweise auf Aidshilfe-Veranstaltungen auszuhängen oder zum Welt-Aids-Tag Teddys zu verkaufen. „Ein großer Teil der Leute hier verschließt gerne die Augen vor dem, was nicht sein darf. Schwule Männer oder Menschen mit HIV existieren für sie schlicht nicht.“
Und doch gibt es sie: 43 Klienten hat die Aidshilfe, und kein einziger von ihnen lebt offen HIV-positiv. Wenn überhaupt, weiß nur der engste Familien- und Freundeskreis von der Infektion. „Ansonsten herrscht das große Schweigen“, sagt Manuela Brandt. „Deshalb muss ich auch sehr vorsichtig sein, wenn ich Briefe verschicke, denn unser Briefkopf darf nicht im Umschlag zu sehen sein.“ Zur Aidshilfe mitten in der Fußgängerzone trauen sich Ratsuchende nur, weil sie im Haus des Paritätischen untergebracht ist und dort viele andere Beratungsstellen sitzen. Es kommt aber auch vor, dass Passanten sehr genau darauf achten, wer durch welche Tür geht. Eine sehr junge Frau, die ihre HIV-Infektion offen eingestand, verlor ihren Ausbildungsplatz als Friseuse; ihre Chefin blockte Manuela Brandts Versuche ab, mit ihr in Kontakt zu kommen.
Doch davon lässt sie sich nicht unterkriegen. Seitdem es die mobile Selbsthilfegruppe gibt, ein Projekt, das HIV-Positive bei Bedarf mit dem gesponserten Fahrzeug der Glückspirale aus den Dörfern im Kreis aufsammelt und nach Münster zum Arzt und nebenbei miteinander in Kontakt bringt, muss sie nicht mehr jeden Kilometer selbst fahren. Die Präventionsarbeit an Schulen und Jugendeinrichtungen läuft gut, und auch wenn die schwul-lesbische Coming-out Gruppe nicht gerade überrannt wird, hofft sie, dass das Angebot dazu beiträgt, die Aidshilfe als Anlaufstelle mehr ins Bewusstsein zu rücken.
Manuela Brandt erfährt viel Unterstützung durch ihr Ehrenamtler-Team, die Aids-Koordinatorin des Kreises oder die Vernetzung mit anderen Aidshilfen in der bundesweiten Telefonberatung. Es gibt auch immer wieder Erfolgsmomente, die zeigen, dass sich in den 25 Jahren doch etwas bewegt hat: Ein Hausarzt, der einen HIV-positiven Patienten abgewiesen hatte, entschuldigte sich nach einem Gespräch mit Manuela Brandt bei diesem und legt nun Info-Material zu HIV und Aids in seiner Praxis aus.