Safer Sex und Zuckerpillen
Machen vorsorglich eingenommene HIV-Medikamenten leichtsinnig? Welche Nebenwirkungen rufen sie hervor? Lisa Grohskopf stellt erste Ergebnisse ihrer PREP-Studie auf der Welt-Aids-Konferenz in Wien vor
Kann man mit Medikamenten eine HIV-Infektion verhindern? Seit Mitte der 1990er, als die ersten Präparate auf den Markt kamen, die das HIV-Virus in Schach halten konnten, stellen sich Wissenschaftler diese Frage. Und weiter: Wenn jemand vorsorglich Medikamente einnimmt – wird er sie zuverlässig einnehmen? Lässt seine Motivation nach, sich vor HIV zu schützen? Wird er unter Nebenwirkungen leiden?
Ob eine solche „Prä-Expositions-Prophylaxe“, kurz PREP, vor einer HIV-Infektion schützt, weiß man bisher noch nicht. Bei Affen hat dieses Prinzip funktioniert, aber ob die tägliche vorsorgliche Einnahme eines antiretroviralen Medikaments auch dem Menschen hilft, dafür gibt es – auch nach dieser Studie – noch keinen Beleg.
Eine Forschungsgruppe aus den USA hat das Verhalten von Männern, die eine PREP einnahmen, genau untersucht. Das Team um Lisa Grohskopf aus Decatur (Georgia) stellte die vorläufigen Daten seiner PREP-Studie mit schwulen Männern auf der Welt-Aids-Konferenz in Wien vor. Ihr Gegenstand war allerdings nicht die Frage, ob eine Prä-Expositions-Prophylaxe wirkungsvoll ist, sondern ob die Durchführung einer PREP dazu führt, dass die Studienteilnehmer ihr Risikoverhalten steigern – mit anderen Worten: Macht eine PREP leichtsinnig? Gleichzeitig untersuchte Grohskopf, ob und welche Nebenwirkungen auftreten.
Macht eine PREP leichtsinnig?
Die Grohskopf-Studie stieß auf großes Interesse, weil sie die erste ihrer Art mit schwulen Männern ist, die – zumindest vorläufige – Ergebnisse liefert. Die meisten PREP-Studien und alle Mikrobizid-Studien werden hingegen mit Personen durchgeführt, die Drogen gebrauchen, oder heterosexuell sind und in sogenannten Hochprävalenz-Ländern südlich der Sahara leben.
Tablette plus Aufklärung
400 schwule Männer wurden in Atlanta, Boston und San Francisco in die Studie aufgenommen. Die Teilnehmer wurden in vier Gruppen aufgeteilt. 100 begannen sofort damit, täglich eine Tablette des antiretroviralen Medikaments Tenofovir einzunehmen, 100 andere erhielten Tabletten ohne Wirkstoff – also ein Placebo.
Die anderen 200 Männer bekamen neun Monate lang keine Tabletten. Sie bildeten die Vergleichsgruppe für die Frage, ob schon die Einnahme eines Medikaments das Risikoverhalten steigern würde. Nach neun Monaten begannen auch sie mit der Tabletteneinnahme: 100 erhielten Tenofovir, 100 ein Placebo. Auch hier wussten weder Teilnehmer noch Arzt, wer das Medikament und wer nur ein Placebo erhielt.
Die Teilnehmer wurden zwei Jahre lang alle drei Monate auf HIV getestet, zu Safer Sex beraten und darüber aufgeklärt, dass sie nicht auf eine Wirkung der Tablette bauen dürften. Zudem wurde ihr sexuelles Verhalten erfragt und dokumentiert. Schließlich wurden die Teilnehmer bei jedem Termin auf mögliche Nebenwirkungen untersucht.
Sexverhalten: unverändert
Das Ergebnis: Bei den Nebenwirkungen ließen sich keine wesentlichen Unterschiede in den Gruppen feststellen. Tenofovir wurde also über zwei Jahre lang gut vertragen. Im sexuellen Verhalten gab es zwischen der Gruppe, die sofort mit der Einnahme begonnen hatte, und der Gruppe mit verzögertem Beginn keine wesentlichen Unterschiede.
In der verzögert therapierten Gruppe infizierten sich während der Studienzeit drei der Beteiligten mit dem HIV-Virus. Bei den sofort mit Placebo versorgten Männern, waren es ebenfalls drei Männer. Keine Infektionen gab es unter den Teilnehmern, die von Anfang an Tenofovir erhalten hatten.
Die Autoren betonen, dass aus diesen Unterschieden bei den Infektionszahlen keine Rückschlüsse auf die vorbeugende Wirkung von Tenofovir gezogen werden dürften – dazu seien die Fallzahlen zu gering. Die Unterschiede könnten reiner Zufall sein. Weitere Analysen folgen: Die Autoren wollen ihre Daten noch gründlicher zu Therapietreue und Verhaltensänderungen untersuchen. Ein endgültiges Urteil steht also noch aus.
Ein endgültiges Urteil steht noch aus
Belastbare Zahlen durch weitere Studien
Ob der Wirkstoff Tenofovir als Prä-Expositions-Prophylaxe wirksam ist, wird derzeit in größeren Studien mit mehr Teilnehmern untersucht. Bereits Ende 2010 werden die Ergebnisse einer großen Untersuchung mit Drogengebrauchern aus Thailand erwartet. Weitere Studien mit Heterosexuellen folgen. Sie könnten schon bald den Beleg liefern, ob eine PREP wirkt.
Ob sich das Sexualverhalten von Personen durch eine PREP ändern würde, kann mit dieser Studie allerdings noch nicht beantwortet werden. Denn die Situation in einer Studie ist nie mit dem alltäglichen Leben vergleichbar. Wer wird schon alle drei Monate intensiv zu Safer Sex beraten? Außerdem wusste keiner der Männer, ob die PREP wirkt – und ob er nicht doch nur Zuckerpillen schluckte.
(Armin Schafberger)