Rote Lackstiefel vor dem Altar

Mit einem ungewöhnlichen Programm empfing die Kreuzkirche in Hannover gestern Abend ihre Besucher: Es ging um Sylvia, die seit 30 Jahren auf dem Hamburger Fischmarkt anschafft, um die Domina Liliane, den Callboy John, die Frankfurter Freier Markus und Norbert und die Bordellbetreiberin Felicitas – kurz: um die Welt der Sexarbeit.  Passend zur Lesung lagen vor dem Altar rote Lackstiefel, eine Perücke und die Winter-„Arbeitskleidung“ vom Straßenstrich aus.

Die Beratungsstelle für Prostituierte Phoenix e.V. hatte zur szenischen Lesung von Geschichten aus dem Milieu eingeladen und – die Kirche als kostenlosen Veranstaltungsort gewinnen können. Unterstützt wurde das Projekt vom Referat für Frauen und Gleichstellung der Landeshauptstadt Hannover.

Die von den Schauspielern Ulrike Johannson und Thor W. Müller vorgetragene Lesung basiert auf dem Buch „Sexarbeit – eine Welt für sich“. Elisabeth von Dücker, Beate Leopold, Christiane Howe und das Museum für Arbeit beschreiben darin nicht nur Ausschnitte aus dem Alltag von Frauen und Männern, die von Sex-Dienstleistungen leben, sondern lassen auch deren Kunden zu Wort kommen. Die Autorinnen wollen mit dem Buch und der Lesung auf gesellschaftliche Stigmatisierung und Doppelmoral hinweisen und Einsicht in die soziale Realität bieten: „Hinter der Fassade von Glamour und Stigma haben nun diejenigen eine Stimme, über die sonst immer nur geredet wird. Vielleicht werden sie so mit mehr Respekt gesehen.“

Danuta Osiecki von Phoenix e.V. freut sich über den Erfolg der Veranstaltung: „Wir waren überrascht, wie viele Leute Interesse an dem Thema hatten. Es waren über 80 Gäste da, eine ganz bunte Mischung von sehr jungen bis zu älteren Menschen, von denen einige trotz der recht kühlen Temperaturen in der Kirche auch noch zur anschließenden Diskussion geblieben sind.“ Dass die evangelische Kirche die Lesung unterstützte und sich des Tabuthemas annahm, sei auf viel positive Resonanz gestoßen.

Für Hanna Kreisel-Liebermann, die Pastorin in der Kreuzkirche, war die Veranstaltung „klasse“ und auch gar nicht ungewöhnlich: „Das Rotlichtviertel gehört zu unserem Gemeindegebiet; von daher ist eine Nähe da, und es gibt keine Berührungsängste.“ Auch der Kirchenrat habe überhaupt kein Problem mit der Anfrage von Phoenix e.V. gehabt. Die Pastorin kennt einige der Frauen aus der Szene und sieht es als Aufgabe ihrer Kirche, zur Enttabuisierung der Sexarbeit beizutragen. Besondere Angebote für Prostituierte gibt es noch nicht, aber Hanna Kreisel-Liebermann will mit Phoenix e.V. klären, ob es über die Arbeit des Vereins und des Diakonischen Werks hinaus einen Bedarf daran gibt.

Die Veranstaltung, zu der neben der szenischen Lesung eine Ausstellung von Original-Objekten aus dem Arbeitsalltag im Sexbusiness gehört, kann bundesweit gebucht werden. Der Preis ist verhandelbar und hängt von den Bedingungen vor Ort ab. Interessierte können sich mit den Veranstaltern direkt in Verbindung setzen.

Kontaktdaten und nähere Informationen finden sich in den beigefügten Dateien.

(af)