„Wenn man zusammenarbeitet, kann eigentlich alles gelingen“

Live-Ticker von der Präventionskonferenz „Bis hierher – und noch weiter“ der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) vom 4. bis 6. November 2011 in Berlin

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Sonntag (6.11.) 11: 45 Uhr - Vortag von Stefan Etgeton „Grenzen und Tabus der HIV-Prävention“

Kollektive Maßnahmen wie die Prävention, die eine Veränderung von Verhalten und Verhältnissen beabsichtigten, müssten zu ihrer Legitimation gute Gründe vorweisen können, konstatiert Stefan Etgeton in seinem Abschlussvortrag.

Ziele und Zwecke, aber auch Erfolgsindikatoren der Prävention müssten deshalb festgelegt sein, so der Theologe, Gesundheitsexperte und ehemalige Bundesgeschäftsführer der Deutschen AIDS-Hilfe.

Nach einer Übersicht zu den verschiedenen Präventionskonzepten und ihren unterschiedlichen Zielen und Erfolgindikatoren führte Etgetons Vortag zum Spannungsfeld von Prävention und Solidarität. Es sei eine der große Errungenschaft der Krankenversicherung, wie wir sie kennen, dass dieser Solidargemeinschaft ein gegenseitiges Einstehen als Basis zugrunde liegt, ohne Frage nach der Ursachen einer Krankheit.

Die strukturelle Prävention wird zunehmend wichtiger werden

Die Zunahme des Wissens um krankheits- und kostenverursachende Verhaltensweisen könnte jedoch zu einer schrumpfenden Solidarbereitschaft in der Bevölkerung führen. Etgeton fordert deshalb, beim Präventionsdiskurs dieses bereits erodiere Solidarbewusstsein nicht fahrlässig überzustrapazieren.

Ein Null-Risiko-Verhalten zu erreichen, hält er für illusorisch. Dies widerspreche auch dem Respekt, der innerhalb der Aidshilfe zur Recht vor der Irrationalität von Sexualität und Rausch entgegengebracht werde. Der Respekt vor individueller Freiheit und Autonomie  müsse bewahrt bleiben, so Etgeton. Anvisiertes Ziel könne nicht die Konditionierung sexuellen Verhaltens sein, sondern ein gutes Risikomanagement.

Nach Ansicht Etgetons existiert die schwule Community in der bislang bekannten Form als politischer Körper nicht mehr. Deshalb sei es auch nicht mehr möglich, auf ihr langfristig Präventionsaktivitäten aufzubauen. Als eine besondere Herausforderung der Zukunft sieht er die “Medikalisierung der HIV-Prävention": Wie werden Themen wie  PEP, PrEP, Impfung und Heilung, die „Grauzonen des Safer Sex ohne Kondom“ in die Präventionsarbeit zu vermitteln sein?
(sho)

 

Sonntag (6.11.) 10:00 Uhr – Workshop „Erst HIV, dann alles – Sexual Health“

Am Anfang von Aidshilfe stand die HIV/Aids-Prävention. Später erweiterte sie ihr Arbeitsfeld um die Virushepatitis und schließlich um sexuell übertragbare Infektionen (STIs) wie Syphilis, Tripper und Co. Seit einigen Jahren nun dreht sich die Debatte um „Sexuelle Gesundheit“. Was darunter zu verstehen ist und inwieweit Aidshilfe dafür zuständig sein soll, ist Thema dieses Workshops.

Dass HIV- und STI-Prävention lediglich ein Teilgebiet von sexueller Gesundheit ist, macht Roger Staub vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) und Mitbegründer der Aids-Hilfe Schweiz noch einmal deutlich. In der Schweiz hat man in dem für 2011 bis 2017 verabschiedeten nationalen Programm „HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen“ das „Recht auf sexuelles Wohlbefinden“ festgeschrieben. Über diese Formulierung, so Straub, gelange man zu Sexual Health.

Für Sexual Health bei schwulen Männern ist Checkpoint Zürich verantwortlich, ein schwules Projekt mit Gesundheitszentrum und Vor-Ort-Arbeit. Künftig soll es in der Schweiz noch mehr solcher Checkpoints geben. Wichtig dabei sei das Konzept „Gay-owned“, sagt Staub, das sich beispielsweise als Aktiengesellschaft ohne Gewinnabsicht umsetzen ließe.

Zu den zentralen schwulen Themen sexueller Gesundheit gehören laut Marcus Behrens vom Berliner Informations- und Beratungszentrum „MannoMeter“ beispielsweise Alkoholkonsum („Viele trinken Alkohol, um ihre Hemmschwellen zum Sex zu überwinden“), Partnerschaft, sexueller Missbrauch, Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen, sexuelle Identität oder Krisen wie Depressionen. Neben diesen „objektiven“ Themen gebe es aber auch noch subjektive, so etwa die Unfähigkeit, zu lieben, oder Einsamkeit, Ekel, Unzufriedenheit und Neid. Die Frage sei nur, wie man all das in Präventionskampagnen ansprechen könne. 

„Wer zu uns kommt, muss sagen können, dass er im schwulen Leben gescheitert ist"

Eigentlich gehe es hier doch gar nicht mehr nur um sexuelle Gesundheit, sondern allgemein um Gesundheit, wirft ein Teilnehmer ein. Wenn man dieses erweiterte Konzept dann auch noch auf andere Gruppen wie Migranten oder Drogengebraucher anwenden wollte, würde alles an den Ressourcen scheitern. Ein anderer meint, wichtig sei, dass Aidshilfe – so wie die Schweizer Checkpoints – schwul ist, um für Schwule gute Prävention machen zu können. „Wer zu uns kommt, muss sagen können, dass er im schwulen Leben gescheitert ist, beispielsweise mit seinem drogenbezogenen Lebensstil nicht mehr klarkommt.“
(ch)

 

Sonntag (6.11.)  9:00 Uhr - Michael Bochow: „Safer Sex – bis hierhin und wie weiter?

„Sind Sie mit Ihrem Sexualleben zufrieden“? Diese Frage nach der „Sexual Happiness“ war Teil des deutschen Fragebogens der 2010 erstmals in 38 europäischen Ländern durchgeführten Umfrage (EMIS-Studie) über das Sexualleben von MSM.

Je mehr Sexpartner, desto größer die sexuelle Zufriedenheit

Die Antworten, so Michael Bochow in seinem Vortrag, hätten zu einem geradezu lehrbuchhaft deutlichen Ergebnis geführt: Die sexuelle Zufriedenheit steigt mit der Zahl der Sexualpartner. Bei Männern mit über 50 Partnern in den zwölf Monaten vor der Befragung zeigten sich 72 % mit ihrem Sexleben zufrieden.

Auffällig jedoch: Männer in einer monogamen Beziehung kommen auf einen ähnlich hohen Wert. Auch Analverkehr und Drogenkonsum scheint die sexuelle Zufriedenheit maßgeblich zu steigern. Bemerkenswert für die Präventionsarbeit ist für Bochow auch die Erkenntnis, dass sich ein bemerkenswert hoher Aneil (42%) der unter 20-Jährigen sich durch Kondome beim Analverkehr sehr oder teilweise gestört fühlen

Ist die „Sexual Happiness“ also als ein Motor für Neuinfektionen zu sehen? Der Anteil der MSM mit sporadischen oder häufigen Risikokontakten sei über Zeitraum der Befragungen seit 2003 „beeindruckend stabil“ geblieben, hebt Bochow hervor. Risikokontakte würden vor allem im Zusammenhang mit höheren Partnerzahlen und dem Konsum von Partydrogen und anderen in der Szene beliebten Substanzen eingegangen.

Die Hälfte der Befragten lernten Sexpartner übers Internet kennen

Für die Präventionsarbeit zieht Bochow folgende Schlüsse: Eine „Empfehlung zur Mäßigung“ würde gerade beim erlebnis- und konsumorientieren Teil der MSM allenfalls zu Spott, nicht aber zu einer Verhaltensveränderung führen. Wichtig sei, noch Szene-unerfahrene MSM vor ihrem Sprung in die Großstadtszene zu erreichen.

Die Vor-Ort-Prävention in Metropolen und Schwulenszenen müsse ihren hohen Stellenwert behalten, aber weiter ausdifferenziert werden. Gleichzeitig sollten Kampagnen über Internetportale für MSM intensiviert werden. Für die besonders schwer zu erreichende Gruppe der MSM mit Migrationshintergrund müsse auch über massenmediale Methoden nachgedacht werden.
(sho)

 

Samstag (5.11.) 18:00 Uhr - Workshop „Alles für umsonst? – Ehrenamt in der Aidshilfe“

„Was nicht freiwillig ist, ist auch kein Ehrenamt“

Ehrenamtliches Engagement ist der Ursprung und das Rückgrad von Aidshilfe. Aber was ist ihr das Ehrenamt wert, was darf oder was soll es kosten? Vor allem: Sind Ehrenamt und Bezahlung miteinander vereinbar? Um diese Frage kreist die überaus lebendige Diskussion.

Man müsse unbedingt klarstellen, welchem Zweck eine Bezahlung hier diene, sagt Carlos Stemmerich, Mitarbeiter der Diakonie Michaelshoven und ehemals Ehrenamtlichen-Koordinator der Aidshilfe Köln: „Soll Bezahlung Anerkennung ausdrücken, in Form einer Auslagenerstattung Ehrenamt ermöglichen, oder wird eine Arbeitsleistung bezahlt?“ Seine Haltung ist eindeutig: „Auslagen erstatten ja, aber kein Geld für Zeit“.

Wie aber sollen sich Aidshilfen verhalten, die vor der Notwendigkeit stehen, in ihre Arbeit Menschen einzubeziehen, die sich ein freiwilliges Engagement gar nicht leisten können, weil sie keine Einkünfte haben? Wie etwa Migranten aus Afrika: Die Aidshilfe braucht solche Ehrenamtlichen, weil die Prävention in den Communities auf die Mitwirkung von „Peers“ angewiesen ist. „Aber man kann sie nicht dafür gewinnen, weil sie nicht verstehen, weshalb man in einem reichen Land wie Deutschland für bestimmte Arbeiten nicht bezahlt wird“, sagt Mara Wiebe von der Aidshilfe Hamburg.

Ehrenamt darf auf keinen Fall zu einem „Notamt“ werden

„Und wenn man nur für bestimmte Leistungen Geld bezahlt, wie etwa für fachlich qualifizierte Arbeit?“, fragt einer aus der Runde. „Aber warum soll jemand, der hinter dem Cafétresen rackert, dann nichts bekommen?“, lautet die Gegenfrage. Auch die Förderung des Ehrenamts durch die Politik müsse man kritisch sehen: Man wolle damit Personal einsparen. Ehrenamt dürfe auf keinen Fall zu einem „Notamt“ werden, das vom Staat ausgenutzt werde.

„Wenn man das Fass ‚Bezahlung’ aufmacht“, so DAH-Referent Karl Lemmen, „gibt das jede Menge Sprengstoff“. Nicht so in der Aidshilfe Weimar, wie eine Mitarbeiterin dieser kleinen Aidshilfe berichtet, die über 17 Ehrenamtliche verfügt. Erstattet werden einerseits nur die Auslagen, wie etwa Fahrtkosten; Honorare gibt es andererseits für Leistungen, für die ein privater oder öffentlicher Geldgeber Mittel bereitstellt. „Und das verstehen die Ehrenamtlichen auch.“

Wertschätzung, so wird in der Diskussion immer wieder klar, muss durch unterschiedliche Formen vermittelt werden. Geld spiele zumindest für diejenigen keine Rolle, die nicht bedürftig sind. Ihnen müsse vor allem vermittelt werden, dass man sie brauche, dass es ohne sie nicht gehe.  Alle stimmen aber darin über ein, dass alles, was nicht freiwillig ist, auch kein Ehrenamt darstellt.

(ch)

 

Samstag (5.11.) 13:30 Uhr - Workshop „Ja, wo laufen sie denn (hin)?“ – Wie und wo organisiert sich die Selbsthilfe zukünftig?

Wen vertritt die Aidshilfe eigentlich, ist sie ein Dach-, ein Fach- und/oder ein Interessenverband? Müssen oder sollten sich alle HIV-Selbsthilfeorganisationen unter ihrem Dach wiederfinden?

Anhand zweier bundesweit agierender Positivenorganisationen, dem  Netzwerk „Jung und Positiv“ und der Interessenvertretung „HIV im Erwerbsleben“, machte Stephan Jäckel (Schwulenberatung Berlin) in seinem Eingangsreferat deutlich, dass die Trennung von Innen und Außen, von Selbsthilfe und Aidshilfe nie so eindeutig zu vollziehen sei.

Für DAH-Vorstand Carsten Schatz hängt das eine mit dem anderen zusammen. Politaktivisten seien auf den Kontakt zu den positiven Menschen an der Basis angewiesen. „Wenn die Aidshilfe schlau ist, läuft sie positiven Selbsthilfeorganisationen hinterher und sammelt sie wieder ein“, spitzte Schatz auf den Seminartitel anspielend zu.

Dieter Telge von der Arbeitsgemeinschaft Berliner Positiver pflichtet ihm bei: „Wenn Selbsthilfen und Aidshilfen schlau genug sind, dann gehen sie aufeinander zu und profitieren gegenseitig von Ressourcen, Know-how und Fachkompetenz. Als gelungene Kooperation werden im Laufe der Diskussion immer wieder beispielhaft die von Positiv e.V. organisierten Positiventreffen im Waldschlösschen bei Göttingen hervorgehoben.

Wer spricht in der Aidshilfe eigentlich für wen?

Solange die Selbsthilfe auf regionaler und Landesebene in den örtlichen Aidshilfen integriert aufgehoben ist, bestehe kein Bedarf, dies zentral vom Bundesverband aus zu organisieren, betonte Carsten Schatz.

„Wer spricht in der Aidshilfe eigentlich für wen?“, fragt Michael Tappe von der Münchner Aidshilfe. Die Ausdifferenzierung der Betroffenengruppen sei inzwischen groß. Zwar sei es schwer für alle zu sprechen, und schon einmal sei man an dieser großen Aufgabe gescheitert. Doch nur wenn man in der Lage sei, die Interessen dieser unter dem Dach der Aidshilfe vereinten amorphen Masse zu bündeln, kann seiner Ansicht nach langfristig eine wirkungsvolle Interessenvertretung erfolgen.
(sho)

 

Samstag (5.11.) 10:30 Uhr – Workshop „Neues Aids – alte Bilder“

„Man muss genau überlegen, welche Aids-Geschichte man erzählen will“

Der Abschied von alten Bildern gelinge nur schwer, leitet Dr. Stefan Nagel sein Impulsreferat ein. Im Aidshilfe-Kontext sei man noch weit von der Vorstellung einer chronischen Krankheit entfernt – in der Kommunikation nach außen wie in der subjektiven Wahrnehmung, so der Facharzt für psychotherapeutische Medizin und Psychoanalytiker. Laut einer Studie hätten 44 % der befragten HIV-Positiven Angst vor unheilbaren Aids-definierenden Krankheiten wie Krebs, obwohl dafür keine Anzeichen vorlägen.

Als existenziell bedrohlich werde heute nicht mehr die medizinische, sondern die psychosoziale Seite der HIV-Infektion erlebt, lautet Nagels These. Die Normalisierung des Lebens mit HIV scheine dadurch erschwert zu werden, dass die Krankheit als Normverstoß wahrgenommen werde. Scham- und Schuldgefühle seien weiterhin ein großes Problem für HIV-Positive: Sie fühlten sich schuldig wegen einer „schlimmen Tat“, was auch der öffentlichen Wahrnehmung entspreche. Mit diesem Thema müsse sich die Prävention auch in Zukunft beschäftigen.

Scham entsteht, wenn man gesellschaftliche Konventionen verletzt hat

Für den Sozialpsychologen Dr. Phil Langer sind Schuldgefühle eine mögliche Reaktion auf die Erfahrung von schwerer Krankheit und Sterben in den 1980er und frühen 90er Jahren: Man fühle sich schuldig, weil man immer noch lebe. Dies lasse sich jedoch nicht verallgemeinern. Scham wiederum könne entstehen, wenn man verinnerlichte gesellschaftliche Konventionen verletzt habe, wie etwa, dass der Mensch leistungsfähig und produktiv sein müsse. Dieser Anforderung, die mit einer chronischen Infektion verbunden werde, könne aber nicht jeder genügen.

Langers Fazit: „In der Prävention muss man sich genau überlegen, welche ‚Aids-Geschichte’ man erzählen will, um das Leben mit HIV tatsächlich unterstützen zu können: im Hinblick auf gesellschaftliche Teilhabe und die Entwicklung von Lebensperspektiven.“

Um die Notwenigkeit des Erinnerns geht es Michael Jähme von der AIDS-Hilfe Wuppertal. Das Virus habe mächtigen Einfluss auf sein und das Leben vieler schwuler Männer genommen, sagt der Sozialpädagoge. Man habe sich mit HIV arrangieren müssen und dabei viel Bitteres, aber auch inneren Zusammenhalt erlebt. Sich an all das zu erinnern, sei bedeutsam für die Identität und die Kontinuität des Lebens, es gebe Halt und Orientierung für die Zukunft und habe zentrale Bedeutung für ein selbstbewusstes Älterwerden mit HIV.

„Unsere Geschichte sind unsere Geschichten, und die müssen wir erzählen“

„Wie schafft man es in der Präventionsarbeit, allen Realitäten der HIV-Infektion gerecht zu werden und diese Vielfalt auch nach außen zu transportieren?“, wird in der anschließenden Diskussion gefragt. „Unsere Geschichte sind unsere Geschichten, und die müssen wir erzählen“, antwortet Michael Jähme. In den Aidshilfen müsse daher die Biografie-Arbeit verankert werden. „Dabei geht es darum, den mit HIV Lebenden zu helfen, psychisch gesund zu bleiben.“

(ch)

 

Freitag (04.11.) 21:00 Uhr - Verleihung des Hans-Peter-Hauschild-Preises und von Ehrenmitgliedschaften

Im Rahmen des diesjährigen Welt-Aids-Tag-Empfangs der DAH am Freitagabend wurde erstmals der Hans-Peter-Hauschild-Preis verliehen. Der mit 1.000 Euro dotierte Preis für außergewöhnliches Engagement in der HIV-Prävention ging 2011 an den Münchner Peter Lechl. Sigrun Hagen und Matthias Hinz wurden für ihr langjähriges Engagement in der Selbsthilfearbeit die Ehrenmitgliedschaft der Deutschen AIDS-Hilfe verliehen. (mehr; zur Bildergalerie)
 

(sho/dh)

 

Freitag (04.11.) 16:00 Uhr - „It’s the Society, Stupid“ – Podikumsdiskussion über die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen gelungener HIV-Prävention

Auf welche Erfolge kann die Aidshilfe nach 30 Jahren Prävention zurückblicken, welche Versäumnisse sind aktuell auszumachen? Dr. Zahra Mohammadzadeh beklagt, dass viele Projekte rund um HIV und Migration sich zwar bewährt und gute Erkenntnisse gebracht hätten, aber nicht weiter gefördert würden.

Hier könnten nur breite gesellschaftliche Bündnisse die notwendigen Veränderungen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Bereich Migration und Integration bringen, so die Schriftführerin der Bremischen Bürgerschaft und Sprecherin für Migranten- und Integrationspolitik.

Carsten Schatz, Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe fragt: „Wie schaffen wir, das alte, bunte Bündnis zu reaktivieren, die solidarische Gemeinschaft von Schwulen, Drogengebrauchern und Frauen in besonderen Lebenssituationen wieder lebendig zumachen, die die Aidshilfe so lange ausgezeichnet hat?“

"Ziel der Prävention kann nicht allein sein, die Zahl von Neuinfektionen zu senken."

Er ist sich mit dem Juristen und DAH-Ehrenmitglied Bernd Aretz einig: Das Ziel der Prävention könne nicht allein sein, die abstrakte Zahl von Neuinfektionen zu senken. „Wir sollten wieder den Blick darauf richten, wie man die Rahmenbedingungen für ein Leben mit HIV verbessern kann“, betonte Aretz.

Prof. Dr. Heino Stöver, geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung der Fachhochschule Frankfurt am Main, wiederum lenkt den Blick auf den skandalösen Umstand, dass Menschen in Haft von den Fortschritten der HIV-Medizin ausgeschlossen sind - und man sich auch in den Aidshilfen damit irgendwie arrangiert zu haben scheint.  Sexualwissenschaftler Prof. Dr. Martin Dannecker reagiert mit einem auffordernden Wunsch: „Vielleicht muss sich die Aidshilfe an die Zeiten von ACT UP und andere Formen der Auseinandersetzung erinnern, die nicht so kultiviert sind.“
 

(sho)

 

Freitag (04.11.) 15:30 Uhr – Bernd Aretz hält den Eröffnungsvortrag

Prävention wird immer dort scheitern, wo sie nicht Leistbares abverlangt

„Sexualität, Rausch, Extase und Leidenschaft sind als Wünsche tief in der Menschheitsgeschichte verankert“, eröffnet Bernd Aretz seinen Vortrag. Das „Urgestein“ der Aids(selbst)hilfe-Bewegung und Ehrenmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe beleuchtet unter anderem die Funktion von Drogen und dem Umgang der Gesellschaft mit Substanzkonsum. Je besser dieser in kulturelle Rituale eingebettet sei, desto weniger wahrscheinlich sei es, das er Körper und Seele schade, so Aretz. Hilfreich sei dabei eine Erziehung zur Drogenmündigkeit, die Substanz-, Gebrauchs- und Wirkungskunde umfasse.

„Wer ist gesund?“ fragt Aretz weiter. „Ist ein arbeitender Rollstuhlfahrer gesund oder krank? Ist ein HIV-infizierter Mensch, der nicht getestet ist, gesünder als ein positiv getesteter? Oder ist es umgekehrt, da ja der Mensch, der um seine Infektion weiß, gesundheitliche Risiken besser vermeiden kann?“ Krankmachende Umwelt- oder Arbeitsbedingungen habe der Einzelne im Interesse der Leistungsfähigkeit freilich hinzunehmen, kritisiert Aretz ein System, das es Besserverdienenden erlaubt, aus dem Solidarsystem der gesetzlichen Krankenversicherung auszuscheren.

Prävention wolle erreichen, dass der Einzelne mit Risiken umzugehen lernt, so Aretz. Sie beschränke sich aber nicht darauf, sondern setze sich fort in der Gesundheitsförderung bei Menschen, die schicksalhaft oder durch ihren Lebensstil in den Bann von Krankheit geraten seien. Prävention werde aber immer dort scheitern, wo dem Menschen etwas abverlangt werde, was er nicht leisten kann. Seelisch oder körperlich verankerten Bedürfnissen sei nicht mit Ge- oder Verboten beizukommen.
 

(ch)

 

Freitag (04.11.) 15:00 Uhr – Konferenz eröffnet

DAH-Vorstandsmitglied Winfried Holz heißt die rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wissenschaft und Aidshilfepraxis zu dieser schon seit Wochen ausgebuchten Konferenz willkommen. Bis heute habe man in Sachen HIV-Prävention viel gelernt, unter anderem, dass man für Prävention personelle Ressourcen, Geld und vor allem gute Zusammenarbeit brauche. Kooperation sei ein wesentlicher Baustein für den Erfolg der Präventionsarbeit, so Winfried Holz.

Ines Perea, Leiterin des Referats „Strategie der AIDS-Bekämpfung“ im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geht in ihrem Grußwort auf die gemeinsam mit der DAH gestaltete Welt-Aids-Tags-Kampagne unter dem Motto „Positiv zusammen leben. Aber sicher“ ein und dankt der DAH für die konstruktive Mitarbeit. Es gebe immer noch die alten Bilder von Aids in den Köpfen, immer noch Vorurteile und Diskriminierung. Sie könne daher versichern, dass die gemeinsame Kampagne weitergeführt werde.

Die DAH mit ihren regionalen Strukturen sei wichtig für die Präventionsarbeit, so Perea weiter. Diese Strukturen seien mancherorts aufgrund von Sparmaßnahmen jedoch gefährdet. Einschnitte und Stellenstreichungen gebe es ebenso auf Bundesebene beim BMG. Gottlob seien die Kürzungen im Aids-Etat jedoch geringer ausgefallen als befürchtet.

Wenn man zusammenarbeitet, kann eigentlich alles gelingen

„Wenn man zusammenarbeitet, kann eigentlich alles gelingen“, leitet Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, ihr Grußwort ein. Ohne dieses Miteinander seien die Erfolge in der Präventionsarbeit in Deutschland nicht denkbar. In Zeiten des Sparzwangs sei es allerdings umso wichtiger, die Zusammenarbeit zu stärken. In Prävention und Versorgung sei bisher einzigartige Pionierarbeit geleistet worden. In der Zukunft gelte es zu beweisen, dass Prävention auch in den Zeiten der chronischen HIV-Erkrankung funktioniert.
 

(ch)