Kompassnadel für den „Spiegel“: Verleihung mit stillem Protest
Die Redaktion des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ hat am Kölner CSD-Samstag die Kompassnadel des Schwulen Netzwerks verliehen bekommen. Auch das ehrenamtliche Jugend- und Medienprojekt „queerblick“ wurde ausgezeichnet.
Stellvertretend für „queerblick“ nahm Falk Steinborn, der das Projekt 2009 in Dortmund gegründet hatte, die Preisskulptur von den Vorjahres-Preisträgern Ludwig Rubruck und Alfred Schiefer entgegen.
Gegen die Auszeichnung für den „Spiegel“ hatte es im Vorfeld heftige Proteste gegeben. HIV gelegt worden, unter der Betroffene bis heute zu leiden hätten.
Auch Vorjahres-Preisträger Martin Dannecker hatte aus Protest die Teilnahme abgesagt und damit die persönliche Übergabe der Kompassnadel an den neuen Chef der Deutschland-Redaktion, Markus Verbeet, verweigert.
Verbeet sah sich während des Festakts mit über 500 Teilnehmern mit einem überwiegend still organisierten Protest konfrontiert. Die NRW-Landesarbeitsgemeinschaft „POSITHIV HANDELN“ trug und verteilte schwarze Trauerschleifen. Die Selbsthilfeorganisation erinnerte damit an die „aggressive Berichterstattung“ der 80er und 90er Jahre, durch die Menschen mit HIV und Aids diskriminiert worden seien.
Auch der Landesvorsitzende der Aidshilfe NRW, Arne Kayser, äußerte in seiner Rede Verständnis für die heftigen Emotionen derjenigen, die die Zeit der Aids-Krise miterlebt haben, und bat den Journalisten: „Nehmen Sie neben dem Preis auch die kritische Haltung mit nach Hamburg.“
HIV-Aktivist Marcel Dams bezeichnete in seiner Laudatio eine Entschuldigung des „Spiegel“ als „überfällig“ – am besten im Blatt selbst. Zugleich bescheinigte er der Redaktion aber auch, dass sich die Berichterstattung über Themen wie Homosexualität und HIV gewandelt habe, und bezeichnete den „Spiegel“ als Gegenpol zur sensationsgierigen Boulevardpresse. Das Magazin spreche mit seiner „fundierten, ausgewogenen und informativen Berichterstattung“ nahezu „unerreicht viele Leute“ an – mit seinem Online-Angebot auch und gerade Jüngere. „Indem SPIEGEL und SPIEGEL Online unterschiedliche Lebensweisen einer breiten, zumeist heterosexuellen Leserschaft näherbringt, wirkt er daran mit, dass die Gesellschaft sich für andere Lebensformen öffnet“, so Dams.
Verbeet verwies in seiner Dankesrede auf die inzwischen begonnene Auseinandersetzung in der Redaktion mit der Arbeit der Vorgänger-Kollegen und stellte fest: „Es war nicht alles gut, was wir damals geschrieben haben. Es gab Grenzüberschreitungen. Es gab nicht nur zugespitzte Darstellungen, sondern auch verletzende Worte. Manches hätten wir auch damals besser wissen müssen, und ich ahne, was für Verletzungen wir hervorgerufen haben. Das bedauere ich. Das bedauere ich sehr!“
(Christian Scheuss/hs)
Weitere Informationen
Dokumentation der Reden aus Anlass der Kompassnadel-Verleihung (PDF-Datei)
Presseinformation der Aidshilfe NRW vom 06.07.2013
Interview mit querblick-Gründer Falk Steinborn