„Drogentote sind oft Opfer verfehlter Drogenpolitik“
Im vergangenen Jahr starben in Deutschland 1.581 Menschen infolge des Konsums illegalisierter Drogen – und damit 13 Prozent mehr als im Vorjahr (1.398). Der Anstieg der letzten Jahre setzte sich damit fort. Das geht aus einer heute vorgelegten Statistik der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), hervor.
572 der registrierten Todesfälle – mehr als ein Drittel – betreffen Konsument*innen von Heroin und anderen Opiaten. Die zweithäufigste Todesursache (27,3 %, 432 Personen) sind Langzeitschädigungen in Kombinationen mit Vergiftung durch aktuellen Konsum. Die Substanzen werden dabei nicht benannt, es dürfte aber auch hier häufig Heroin eine Rolle spielen.
Tödliche Vergiftungen im Zusammenhang mit anderen Stoffen als Opiaten machten 18,5 % der nach Todesursachen erfassten Todesfälle aus – ein Anstieg um 6,3 %. 48 Menschen starben in Zusammenhang mit dem Konsum von Kokain oder Crack. Generell gingen laut der Drogenbeauftragten viele Todesfälle auf Mischkonsum zurück.
„Die hohe Zahl der Todesfälle ist erschütternd und nicht hinnehmbar, denn viele der Menschen dahinter könnten noch leben“, kommentiert DAH-Drogenreferent Dirk Schäffer. „Die Fachwelt weist jedes Jahr erneut darauf hin, was Leben rettet, aber die Politik setzt vieles einfach nicht um.“
Die Ursachen sind lange bekannt
Den neuerlichen Anstieg der Drogentoten erklärt sich Daniela Ludwig unter anderem mit der schwierigen Situation für Drogen konsumierende Menschen durch die Corona-Pandemie. Bei Menschen in einer instabilen Situation wirke sich ein Lockdown besonders gravierend aus, insbesondere wenn der Kontakt zur Drogenhilfe auf der Straße verloren ginge.
Für Dirk Schäffer greift diese Erklärung zu kurz:
„Die Corona-Pandemie hat die Situation für viele Drogenkonsument*innen verschärft, über die Folgen kann aber bisher nur spekuliert werden. Ganz sicher tragen jedoch dieselben Faktoren zur hohen Zahl der Todesfälle bei wie seit vielen Jahren. Dazu zählt die fortgesetzte Kriminalisierung von Konsumierenden aufgrund von Drogenbesitz und ein Leben mit ständigem Verfolgungsdruck unter menschenunwürdigen Bedingungen. Dies führt bei vielen zu einem schlechten Gesundheitszustand sowie HIV- und Hepatitis-Infektionen. Außerdem sind viele Suizide sind auf die psychischen Belastungen durch Verfolgung und Marginalisierung zurückzuführen.“
Drogenhilfe und Schadensminimierung stärken
Drogenbeauftragte Ludwig fordert in ihrer Pressemitteilung die Länder und Kommunen auf, Angebote der Drogenhilfe gerade in der Krise aufrechtzuerhalten. Schäffer unterstützt diese Forderung, fordert aber mehr: Die dramatische Situation von Drogen konsumierenden Menschen müsse auf die Tagesordnung der Gesundheitsministerkonferenz. Die Drogenbeauftragte könnte zum Beispiel eine außerordentliche Sitzung mit dem Ziel konkreter Maßnahmen einfordern.
„Die Suchthilfe in den Kommunen ist finanziell chronisch unterfinanziert. Die Corona-Krise ist eine zusätzliche Belastung. Wir brauchen hier konkrete Hilfe in der Not!“, sagt Schäffer.
In ihrer Pressemitteilung plädiert Daniela Ludwig außerdem für eine Ausweitung von Maßnahmen der Schadensminimierung beim Drogenkonsum. Ein bundesweites Modellprojekt mit dem Notfallmedikament Naloxon starte demnächst. Substitution müsse noch breiter verfügbar werden, außerdem brauche es mehr Unterstützung in Übergangssituationen, etwa, wenn Substitutionspatient*innen aus der Haft in die Freiheit kämen.
Für die meisten Maßnahmen der Schadensminimierung sind die Länder zuständig. Dazu gehört auch die Einrichtung von Drogenkonsumräumen in den noch ausstehenden acht Bundesländern.
Schäffer hofft, dass die Drogenbeauftragte hier Druck macht: „Fachlich ist völlig klar, dass die genannten Maßnahmen wirksam sind. Die Drogenbeauftragte muss hier ihren Einfluss geltend machen, damit endlich passiert, was Leben retten kann!“
Überfällig: Drugchecking
Etwas verklausuliert plädiert die Drogenbeauftragte auch für Drugchecking, also für Angebote zur Überprüfung von Drogen auf Reinheitsgehalt und schädliche Verunreinigungen. Daniela Ludwig spricht von einer „Erprobung der analysegestützten Beratung“.
„Drugchecking ist seit Jahren überfällig“, betont Schäffer. „Wir brauchen endlich eine eindeutige Rechtslage und ein klares Bekenntnis der Bundesregierung zu dieser bereits gut erprobten Maßnahme. Sie könnte die hohe Zahl von Drogentodesfällen infolge von Amphetamin- beziehungsweise Metamphetaminkonsum reduzieren, also zum Beispiel im Nachtleben.“
Schäffers Fazit: „Viele Maßnahmen können und müssen dazu beitragen, dass die Zahl der Drogentoten nicht noch weiter steigt, sondern endlich sinkt. Viele sogenannte Drogentote sind in Wirklichkeit auch Opfer einer verfehlten Drogenpolitik. Wir müssen weg vom Strafrecht und uns den Ursachen dieser dramatischen Entwicklungen zuwenden. Das ist nicht nur eine politische Frage, sondern vor allem eine ethische.“
(ascho/howi)