DAH distanziert sich von Fotos der BAH

Hinweis:

Am 10.10.2012 haben sich die Vorstände der Deutschen AIDS-Hilfe und der Berliner Aids-Hilfe getroffen und in sehr konstruktiver Atmosphäre über die Fotoserie „Die zwei Gesichter“, die  Reaktion der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH, siehe unten) und die Erklärung der Berliner Aids-Hilfe (BAH, siehe Abschnitt "Prävention und Kunst" auf der Startseite) gesprochen. Dabei haben die Beteiligten Missverständnisse ausräumen können und möchten nun auch öffentlich gemeinsam klarstellen:

Die Fotoserie war und ist keine Kampagne der Berliner Aids-Hilfe, sondern eine Aktion des Künstlers Armin Morbach. Die Bilder spiegeln weder das Leben mit HIV heute noch die Sichtweisen der DAH und der BAH, sondern die individuelle Auffassung des Künstlers.

Als produktives Ergebnis wollen die Vorstände von DAH und BAH ihre Kommunikation und Kooperation in Zukunft intensivieren, auch um Missverständnissen besser vorzubeugen.

Die Berliner Aids-Hilfe hat unter dem Titel „Die zwei Gesichter“ ein Benefiz-Fotokunstprojekt veröffentlicht. Schauspielerinnen und Models zeigen sich auf den Bildern mit einem geteilten Gesicht, wobei die eine Gesichtshälfte jeweils die Züge von Totenschädeln trägt. Die Bilder zeigen nach Auffassung der Berliner Aids-Hilfe „die zwei Gesichter, die eine HIV/Aids-Erkrankung auch heute noch hat“. Erstmals veröffentlicht wurden die Bilder am Donnerstag in der Bild-Zeitung. Am 22.10.2012 sollen sie bei der Berliner Benefiz-Gala Künstler gegen Aids gezeigt und als großformatige Unikate zugunsten der Berliner Aids-Hilfe versteigert werden.

Die Deutsche AIDS-Hilfe – Dachverband der Aidshilfen in Deutschland – distanziert sich von diesen Fotos. Die Darstellung von „Halbtoten“ beziehungsweise Todgeweihten widerspricht Grundsätzen der Aidshilfe-Arbeit. Die Bilder transportieren ein veraltetes und dramatisierendes Bild der HIV-Infektion und fördern nach unserer Auffassung die Stigmatisierung und Ausgrenzung von Menschen mit HIV. Auch der HIV-Prävention erweist die Berliner Aids-Hilfe einen Bärendienst, denn Schockeffekte haben nach wissenschaftlichen Erkenntnissen keinen positiven Einfluss auf das Schutzverhalten von Menschen – sie fördern im Gegenteil eher die Verdrängung des Themas.

Aids ist heute in Deutschland
eine vermeidbare Folge der HIV-Infektion

Die Deutsche AIDS-Hilfe begreift es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben, in der Öffentlichkeit ein realistisches Bild vom Leben mit HIV zu zeichnen. Dazu gehört, dass Menschen mit HIV heute dank der HIV-Medikamente – bei allen gesundheitlichen und sozialen Schwierigkeiten, die aus der Infektion erwachsen können – eine annähernd normale Lebenserwartung haben. Aids ist heute in Deutschland eine vermeidbare Folge der HIV-Infektion.

Es sind genau solche Bilder wie in der Fotoserie „Die zwei Gesichter“, die wir in unserer täglichen Arbeit versuchen richtigzustellen (zum Beispiel durch unsere Beteiligung an der Kampagne „Positiv zusammen leben“). Für viele Menschen mit HIV entstehen Schwierigkeiten heute mehr durch Zurückweisung und Diskriminierung – zum Beispiel im Berufsleben – als durch die Infektion selbst.

Es sind gerade die drastischen Bilder von HIV als todbringender Erkrankung, die Ängste vor Menschen mit HIV und damit ihre Ausgrenzung und Diskriminierung schüren. HIV-Positive werden als Gefahr wahrgenommen, und dementsprechend kommt es zu Distanzierung und Zurückweisung. Deswegen widersprechen solche schockierenden Bilder auch dem Ziel, Stigmatisierung und Diskriminierung abzubauen.

Solche Bilder schüren
Ausgrenzung und Diskriminierung

Die völlig überzogene Assoziation mit dem Tod wirkt sich außerdem auf die Selbstwahrnehmung von Menschen mit HIV aus. Ein Ziel unserer Arbeit besteht gerade darin zu zeigen, dass das Leben nicht vorbei ist, wenn der HIV-Test positiv ausfällt. Schockierende Todessymbolik macht vielen Menschen mit und ohne HIV Angst und schädigt damit ihre Gesundheit.

Die Berliner Aids-Hilfe argumentiert, die Foto-Serie „Die zwei Gesichter“ solle zeigen, dass es auch die Schattenseiten noch gebe: „Verheimlichung der Erkrankung, Rückzug aus dem sozialen Leben, Depression, schwere Medikamentennebenwirkungen, vielfältige gesundheitliche Beschwerden, Krebserkrankungen und nicht zuletzt der Tod.“

Die „Schock-Fotos“ (Bild) zeigen aber eben gerade nicht die realen Schwierigkeiten des Lebens mit HIV. „Todesengel“ (Bild) verstellen den Blick auf das wirkliche Leben. Nicht Menschen mit HIV werden ins Bild gesetzt, sondern Models transportieren den sehr persönlichen Blick des Künstlers Armin Morbach.

Todesengel verstellen den Blick
auf das wirkliche Leben

Dem Fotografen ist dabei kein Vorwurf zu machen; sein Anliegen, die Aidshilfe-Arbeit zu unterstützen, verdient Respekt und Wertschätzung. Die Berliner Aids-Hilfe macht seine Perspektive jedoch durch die Veröffentlichung und eine Pressemitteilung zu ihrer Sache und unterstreicht die Aussage, eine HIV-Infektion sei letztlich tödlich. Damit wird die alte Gleichung HIV = Aids = Tod befördert.

Zugleich zitiert die Berliner Aids-Hilfe den Künstler mit der Aussage, junge Menschen gingen heute „zu leichtsinnig mit der Thematik um“. Für diese These gibt es keine Belege, vielmehr ist die Schutzmotivation in Deutschland nach Studien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auch in dieser Altersgruppe stabil.

In Deutschland verfügen wir heute über alle Mittel, dass Aids nicht mehr auftreten muss. Es gilt, gemeinsam dafür einzutreten, dass Menschen mit HIV frühzeitig von ihrer Infektion erfahren, um rechtzeitig mit einer Therapie zu beginnen und gesundheitliche Folgen auf ein Minimum zu reduzieren. Wer auf Schockeffekte setzt, fördert aber auch die Angst vor dem HIV-Test und die Verdrängung einer möglichen Infektion. Unter anderem aus diesen Gründen erfahren noch immer viel zu viele Menschen erst von ihrer HIV-Infektion, wenn sie bereits schwer krank sind.

Die Bilder verstärken das,
was sie eigentlich bekämpfen wollen

Ganz sicher ungewollt verstärkt die Fotoserie „Die zwei Gesichter“ also, was sie bekämpfen will. Wir sind uns bewusst, dass unsere Kritik und unsere Forderung gegenüber einer autonomen Mitgliedsorganisation ein gravierender Schritt ist, betrachten den potenziellen Schaden durch die Veröffentlichung der Bilder aber als zu groß, um uns nicht zu Wort zu melden.

Berlin, 21.9.2012 Vorstand und Geschäftsführung der Deutschen AIDS-Hilfe

Fragen beantwortet Pressesprecher Holger Wicht, Tel. 0171 274 95 11