Mit Bobbycar und ZerlegBar

Die ersten Jahre waren nicht leicht. Es war die Zeit der allgemeinen Hysterie, und die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Aidshilfe erlebten, dass ihre Kinder im Kindergarten gemieden wurden oder Passanten ihnen am Infostand zuzischelten: „Unter Hitler wärt ihr alle vergast worden“.

Die AIDS-Hilfe Hagen wurde 1987 geboren, als eine rechte Gruppierung sich für HIV-Zwangstestungen einsetzte und versuchte, Fördermittel zu ergattern. Die AIDS-Hilfe NRW schaltete sich ein und brachte als Gegenentwurf ganz unterschiedliche Akteure an einen Tisch.

In Hagen – 200.000 Einwohner, bekannt als „Tor zum Sauerland“ – gab es damals drei Hochschulen, sieben schwule Kneipen und nach Frankfurt die größte Drogenszene in Westdeutschland. Im April gründeten Schwulen- und Lesbengruppen, die Drogenberatungsstelle, die Drogenfachklinik, die zentrale Drogenentgiftung, das Gesundheitsamt und die Arbeiterwohlfahrt gemeinsam die AIDS-Hilfe.

Zunächst war es schwierig, die unterschiedlichen Interessen und Einstellungen unter einen Hut zu bringen. Dazu gesellte sich das Problem, geeignete Räume zu finden, in denen die Nachbarn nicht ihren Müll vor den Eingang kippten oder die Haustür verschlossen hielten, um den Klienten den Zugang zu erschweren.

Das Jahr 1989 brachte auch hier eine Wende: Mit einer Aktionswoche unter dem Titel „Dornröschen schläft – Hagen nicht“ klärten AIDS-Hilfe, Gesundheitsamt, Jugendamt und die Wohlfahrtsverbände über HIV und Aids auf und versuchten, den Hagenern ihre Ängste zu nehmen. Der Oberbürgermeister übernahm die Schirmherrschaft.

„Von da an kam die Öffentlichkeit von Jahr zu Jahr besser mit uns klar“, erinnert sich Andreas Rau, der als Youthworker bei der AIDS-Hilfe Hagen angefangen hat und seit 2000 deren Leiter ist. „Dass wir mehr und mehr akzeptiert wurden, hat auch viel mit der Unterstützung zu tun, die wir von Radio Hagen bekommen haben. Der Sender hat damals eine wöchentliche Beratungsstunde zu HIV ins Programm aufgenommen, in der die Leute uns mit ihren Fragen im Studio anrufen konnten.“

Eine weitere Tür in die „Heterogesellschaft“ öffnete die Krankenschwester Ute Schmikowski, eine bodenständige und resolute Erscheinung, die mit ihrem Wissen helfen wollte. Sie schulte schließlich ganze Generationen von Ärzten und Pflegepersonal im Allgemeinen Krankenhaus im Umgang mit HIV-positiven Menschen.

Wie groß die Akzeptanz der Hagener Gesellschaft inzwischen ist, zeigt sich in jedem Jahr zur Weiberfastnacht, wenn gestandene Hetero-Männer mit High Heels in Größe 46 zum „Fummellauf“ antreten und die Mannschaft der AIDS-Hilfe auf den zweiten Platz verweisen. Den Lauf initiiert hat der frühere Karnevalsprinz Sven I. Zudem wird die AIDS-Hilfe seit 1994 von einem „Traumvermieter“ mit einer günstigen Miete und viel Support unterstützt.

Fragt man Andreas Rau, was ihm nach 25 Jahren Geschichte am wichtigsten ist, sagt er spontan: „das Ehrenamt“. Seit 1995 nimmt sich die Aids-Hilfe Hagen viel Zeit, um Freiwillige auszubilden. In einer „Lernwerkstatt“ absolvieren jährlich bis zu 15 Teilnehmer an 14 Abenden und einem Wochenende ein intensives und anspruchsvolles Programm.

Von Haus aus Erzieher, setzt Andreas Rau auf kreative Methoden der Wissensvermittlung. So erschließen sich die angehenden Ehrenamtler die komplexen Vorgänge im Immunsystem, indem sie in der Rolle von HIV-Viren, Helferzellen und Antikörpern durch den Raum schwirren und mit Wäscheklammern aneinander andocken.

Die Investition zahlt sich aus: In jedem Jahr bleiben vier bis fünf Absolventen, die sich dauerhaft engagieren wollen und in jedem Bereich eingesetzt werden können. Viele der anderen Teilnehmer kommen aus der Drogenberatung oder dem Allgemeinen Krankenhaus und setzen ihre Erfahrungen aus der Lernwerkstatt dort ein.

Neben Andreas Raus beiden hauptamtlichen Kolleginnen Gabriele KesperJulius und Melanie Luczak hat die AIDS-Hilfe Hagen zurzeit rund 35 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in den 25 Jahren rund 120.000 Stunden im Dienst waren. Ohne sie wäre es nicht möglich, den Beschluss des Hagener Rats umzusetzen, wonach jede Schule für die achten bis zehnten Klassen eine jährliche Präventionsveranstaltung durch die AIDS-Hilfe nachweisen muss.

Sie leisten Betreuung, Begleitung, Telefon- und Online-Beratung und sind mit der „ZerlegBar“ auf Stadtfesten unterwegs. Dort schicken sie Jugendliche mit Bobbycar und „Rauschbrille“ auf einen Parcours, auf dem sie erfahren, wie Alkoholgebrauch die Sinne einschränkt und Situationen falsch einschätzen lässt – eine Erfahrung, die sie vielleicht auch in ihr Sexleben mitnehmen.

Neuerdings erfüllt die AIDS-Hilfe Hagen ihren Präventionsauftrag auf dem Dreirad: Mit dem „KondoMobil“, einem Motorroller, geht es auf die Fahrt zu Aufklärungsprojekten. Das Ding zieht nicht nur viel Aufmerksamkeit auf sich, es verkörpert auch Andreas Raus Wunsch für die Zukunft: „Ich möchte, dass Aidshilfe sich immer weiter bewegt, dass sie ein Ort wird, an dem man in der Bewegung nicht alleine ist und innovative Ideen strickt.“

Annette Fink