Deutsche Aidshilfe: HIV-Zahlen zeigen Erfolge und Versorgungslücken

Rückläufiger Trend setzt sich bei schwulen Männern fort – Anstieg bei intravenös Drogen konsumierenden Menschen verweist auf Ressourcenmangel in der Prävention

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland lag 2023 wieder ungefähr auf dem Niveau wie vor der Covid-19-Pandemie. Die geschätzten Zahlen liegen bei allen Übertragungswegen wieder höher als während der Corona-Jahre, die von Kontaktbeschränkungen und ausgedünnten Testangeboten geprägt waren. Das hat heute das Robert Koch-Institut (RKI) in seinem Epidemiologischen Bulletin mitgeteilt - kurz vor der Welt-Aids-Konferenz AIDS2024 in München vom 22.-26. Juli.

Der rückläufige Trend der Jahre zuvor hat sich demnach nur bei Männern, die Sex mit Männern haben, fortgesetzt. Die Zahl der HIV-Infektionen bei intravenös Drogen konsumierenden Menschen hingegen steigt seit 2010 kontinuierlich an. Eine leichte Steigerung gab es auch bei heterosexuellen Übertragungen, wobei die Schätzzahl laut RKI mit methodischen Unsicherheiten behaftet ist; ob ein realer Anstieg dahinter stecke, müsse sich erst noch zeigen.

"Die neuen Zahlen verweisen deutlich auf Stärken und Schwächen der deutschen HIV-Prävention. Wirksame Methoden gilt es nun zu verstärken, Lücken dringend zu schließen", sagt Sven Warminsky vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH). "Die Erfolge bei schwulen Männern machen Mut, könnten aber noch größer sein. Der Anstieg bei Drogen konsumierenden Menschen ist besorgniserregend und verlangt dringend nach Antworten in der Prävention."

Drogenhilfe stärken

Die Vergabe steriler Spritzen und Konsumtensilien ist die Grundlage für die Präventionserfolge in dieser Gruppe in den letzten 40 Jahren. In einer RKI-Studie gab jedoch kürzlich ein Drittel der befragten Drogenhilfeeinrichtungen an, nicht genug Geld für eine bedarfsgerechte Versorgung zu haben. Die Finanzierung der kommunalen Drogenhilfe, immer schon zu gering, geht weiter zurück.

Mit Crack und dem Aufkommen von Fentanyl und anderen synthetischen Opioiden hat sich die Situation verschärft. Noch immer betreiben sieben Bundesländer keine Drogenkonsumräume, obwohl diese Todesfälle und Infektionen verhindern könnten. Deutlich mehr Opioidabhängige als bisher sollten mit Substitutionsbehandlungen versorgt werden, zugleich geht die Zahl der spezialisierten Ärzt*innen zurück.

"Wir sehen, dass die Erfolge der letzten Jahrzehnte in Drogenbereich bereits bröckeln und immer mehr in Gefahr geraten. Wir brauchen in dieser besonderen Situation dringend einen beherzten Einsatz aller erprobten Mittel. Bund, Länder und Kommunen müssen dabei engagiert zusammenarbeiten", sagt DAH-Vorstand Sven Warminsky.

HIV-Prophylaxe PrEP ausbauen

Laut RKI ist die medikamentöse HIV-Prophylaxe PrEP erfolgreich, erreicht aber noch lange nicht alle Menschen, die sich damit vor HIV schützen könnten. Bisher wird die so genannte Prä-Expositionsprophylaxe vor allem von schwulen Männern genutzt. Aber auch andere Menschen könnten davon profitieren. So ergab kürzlich beispielsweise eine Studie der Deutschen Aidshilfe, dass viele Sexarbeiterinnen wenig über die PrEP wissen, teilweise aber großes Interesse daran haben, wenn sie davon hören.

"Bei der PrEP müssen wir zweigleisig fahren: Zum einen gilt es, dass alle Menschen davon erfahren, für die PrEP in Frage kommt. Zum anderen ist die Versorgungsstruktur noch nicht stark genug. Wir brauchen mehr PrEP-verordnende Praxen, um lange Fahrwege und Wartezeiten zu vermeiden. Dafür müssen die Hürden für Ärzt*innen, die PrEP als Kassenleistung verordnen wollen, weiter gesenkt werden", erklärt DAH-Vorstand Warminsky.

HIV-Behandlung für alle

Eine dramatische Versorgungslücke besteht weiterhin bei Menschen ohne Krankenversicherung beziehungsweise Aufenthaltspapiere. Sie haben oft keinen Zugang zur HIV-Therapie. Die Folge sind vermeidbare Aids-Erkrankungen und, da HIV ohne Therapie übertragbar bleibt, weitere HIV-Infektionen. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag eine Lösung versprochen, ist diese bisher aber schuldig geblieben. Auch das RKI betont, dass alle Menschen in Deutschland Zugang zur HIV-Behandlung erhalten sollten.

"Die fehlende Versorgung für Menschen ohne Versicherung oder Aufenthaltspapiere ist menschenrechtlich wie epidemiologisch ein Skandal. Diese Lücke muss noch in dieser Legislaturperiode dringend geschlossen werden", so Warminsky.

Testangebote ausbauen

Die Zahl der HIV-Diagnosen, die erst nach schweren Immunerkrankungen gestellt werden, ist mit einem Drittel der HIV-Neudiagnosen weiterhin zu hoch. Die Zahl der Menschen, die ohne ihr Wissen mit HIV leben, ist allerdings gesunken, sie liegt jetzt laut RKI bei etwa 8.200. Rund 92 Prozent der HIV-Infektionen in Deutschland sind bereits diagnostiziert, von den Diagnostizierten sind 99 Prozent in Behandlung, bei 96 Prozent der Behandelten ist die Therapie erfolgreich, HIV ist dann auch nicht mehr übertragbar.

Insbesondere bei schwulen Männern haben spezifische Testangebote Erfolg gezeigt: HIV wird bei vielen früher diagnostiziert und behandelt. Dies schützt deren Gesundheit und verhindert weitere HIV-Übertragungen.

"Dieses Erfolgsmodell sollte noch stärker auf andere Gruppen übertragen werden: Passgenaue, vertrauenswürdige Testangebote für spezielle Communitys sind ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg", betont Sven Warminsky.

Bei intravenös Drogen konsumierenden Menschen ist ein Ausbau dringend geboten: Dort steigt die Zahl der Spätdiagnosen. Die Studie zur sexuellen Gesundheit von Sexarbeiter*innen ergab, dass die Angebote des Öffentlichen Gesundheitsdienstes für diese Gruppe eine wichtige Rolle spielen, aber noch besser auf deren Bedürfnisse ausgerichtet werden sollten.

Das Robert Koch-Institut betont außerdem, Einsende- und Selbsttestangebote sollten gestärkt werden. Die Deutsche Aidshilfe bietet seriöse Einsendetests unter dem Namen s.a.m health an. In den rund 70 Community-basierten Testeinrichtungen des Verbandes gehören sowohl klassische Tests auf HIV und Geschlechtskrankheiten als auch HIV-Selbsttests unter fachkundiger Anleitung zum Programm (Bericht).