Rückschritte bei der globalen HIV-Prävention: Millionen Leben sind in Gefahr

Globale Krisen wie Covid oder der Krieg gegen die Ukraine haben zu Rückschlägen bei den Maßnahmen gegen HIV und Aids geführt. Wichtig ist jetzt, sofortig und entschieden zu handeln, sagt UNAIDS.

Der Titel des „Global AIDS Update 2022 ist deutlich. „In Danger“ hat das UN-Programm gegen Aids den Bericht zur HIV genannt, der am 27. Juli vor Beginn der Internationalen AIDS-Konferenz in Montreal veröffentlicht wurde.

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen ging von 2020 bis 2021 um lediglich 3,6 % zurück, auf ungefähr 1,5 Millionen und damit über eine Million mehr als in den globalen Zielen zur Beendigung der Aids-Pandemie bis 2030 festgelegt. So gering war der Rückgang zuletzt 2016.

Rückschläge und stsockender Fortschritt

Die Fortschritte bei der Prävention und Behandlung von HIV/Aids seien ins Stocken geraten, Millionen Menschenleben dadurch in großer Gefahr seien, so die UNAIDS-Analyse:

  • In Osteuropa und Zentralasien, Mittelamerika sowie im Nahen Osten und Nordafrika konnte der seit einigen Jahren anhaltende Anstieg von HIV-Infektionen nicht gestoppt werden.
  • In Asien und im pazifischen Raum – der bevölkerungsreichsten Region der Welt – steigen die Zahlen jetzt auch dort, wo sie zuvor zurückgegangen waren.
  • Im östlichen und südlichen Afrika hat sich der rasche Fortschritt der letzten Jahre im Jahr 2021 deutlich verlangsamt.

Zwar gibt es auch positive Nachrichten, zum Beispiel einen bemerkenswerten Rückgang der HIV-Neuinfektionen in West- und Zentralafrika und in der Karibik. Doch selbst in diesen Regionen ist die HIV-Bekämpfung durch eine zunehmende Ressourcenknappheit gefährdet, so UNAIDS.

„Wenn wir keine raschen Fortschritte machen, verlieren wir an Boden, da die Pandemie inmitten von COVID-19, Massenvertreibungen und anderen Krisen gedeiht. Denken wir an die Millionen von vermeidbaren Todesfällen, die wir zu verhindern versuchen", erklärte UNAIDS-Chefin Winnie Byanyima in einem Pressestatement.

Global AIDS Update 2022: Wichtige Zahlen

  • Die Zahl der HIV-Neuinfektionen wird für 2021 auf etwa 1,5 Millionen geschätzt - über eine Million mehr als die globalen Zielvorgaben.
  • Weltweit leben rund 38,4 Millionen Menschen mit HIV, fast sechs Millionen davon ohne HIV-Diagnose. Ca. 88 Prozent der Menschen, die von ihrer Infektion wissen, sind in Therapie. Bei 92 Prozent von ihnen ist die Virusmehrung erfolgreich unterdrückt – HIV kann dann sexuell nicht übertragen werden.
  • Die Zahl der Menschen, die HIV-Medikamente bekommen, stieg 2021 so langsam wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr. Ein Viertel aller Menschen mit HIV, rund 10 Millionen, haben keinerlei Zugang zu den lebensrettenden Medikamenten. Bei Kindern ist der Anteil mit 48 Prozent besonders hoch.
  • 650.000 Menschen sind 2021 an den Folgen von HIV/Aids gestorben.

70 Prozent der weltweiten HIV-Infektionen entfallen auf weniger als 5 Prozent der Weltbevölkerung

Im Jahr 2021 entfielen 70 % der weltweiten HIV-Infektionen auf die Schlüsselgruppen der HIV-Prävention, nämlich schwule und andere Männer, die Sex mit Männern haben, Sexarbeiter*innen, trans* Personen, Menschen, die intravenös Drogen konsumieren, und Gefangene – Menschen, die besonders durch HIV bedroht sind und häufig keinen angemessenen Zugang zu Prävention, Diagnostik und Versorgung haben.

Das Risiko, sich mit HIV zu infizieren, war auch 2021 für Schlüsselgruppen der HIV-Prävention stark erhöht:

  • für schwule Männer und andere Männer, die Sex mit Männern haben, war es 28-mal höher als für heterosexuelle Männer,
  • für Sexarbeiterinnen war das HIV-Risiko 30-mal höher als für Frauen in der Allgemeinbevölkerung,
  • für trans* Frauen war es 14-mal höher als für andere Frauen und
  • für Menschen, die Drogen injizieren, war das HIV-Risiko 35-mal höher als für nicht intravenös Konsumierende.

Vielfältige Gründe für Rückschläge und stockenden Fortschritt

Die Gründe für die stockenden Fortschritte bei der Beendigung der Aids-Pandemie sind vielfältig.

So waren etwa in Afrika coronabedingt wichtige HIV-Präventionsdienste unterbrochen; Millionen von Mädchen konnten aufgrund der Pandemie nicht zur Schule gehen, in der Folge nahm die Zahl der Teenagerschwangerschaften und der geschlechtsspezifischen Gewalt zu. In den afrikanischen Ländern südlich der Sahara haben Mädchen und junge Frauen eine dreimal so hohe Wahrscheinlichkeit, sich mit HIV zu infizieren, wie für Jungen und junge Männer.

Auch Rassismus und ethnisch bedingte Ausgrenzung verstärken das HIV-Risiko. In Großbritannien und in den USA ist der Rückgang der HIV-Neudiagnosen bei der weißen Bevölkerung deutlich stärker als bei nichtweißen. Vergleichbares gilt für indigenen Gemeinschaften beispielsweise in Australien, Kanada und den USA.

Wichtig ist der politische Wille

Trotz der ernüchternden Datenlage zeigt sich UNAIDS-Chefin Winnie Byanyima optimistisch und sagt: „Wir können Aids wie versprochen bis 2030 besiegen.“ Dies sei allein eine Frage des politischen Willens. „Ist es uns wichtig, unsere Mädchen zu stärken und zu schützen? Wollen wir die Aidstodesfälle unter Kindern stoppen? Stellen wir die Rettung von Leben über die Kriminalisierung?“

Wenn ja, müsse die Staatengemeinschaft ihre Bemühungen zur Eliminierung von HIV und Aids wieder in Gang bringen.

Wie dringend erforderlich dies ist, zeigt folgende UNAIDS-Prognose: Sollte die aktuelle Entwicklung so weitergehen, werde die Zahl der jährlichen Neuinfektionen im Jahr 2025 bei über 1,2 Millionen liegen. Als Ziel hatten sich die UN-Mitgliedstaaten jedoch gesetzt, sie auf unter 370.000 zu senken.

(ascho)

Link zum Download des Reports „UNAIDS Global AIDS Update 2022 – IN DANGER“ (in englischer Sprache)
https://indanger.unaids.org/

Videomitschnitt der UNAIDS-Pressekonferenz (in englischer Sprache)
https://www.youtube.com/watch?v=NNe7_bQQ22k

Fact Sheet mit den wichtigsten Daten:
https://www.unaids.org/en/resources/documents/2022/UNAIDS_FactShee