Nicht nur ein Lippenbekenntnis

Liebe Leser*innen,

in diesen Wochen erleben wir in mancherlei Hinsicht ein Déjà vu: Es gibt wieder ein Virus, mit dem sich überwiegend Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben, infizieren; und gleich setzen überwunden geglaubte Mechanismen der Schuldzuweisung wieder ein. Nach einer Umfrage auf queer.de haben viele MSM deshalb mehr Angst vor einer neuen Stigmatisierung als vor der Krankheit selbst. MPX-Viren können sehr schmerzhafte Hautveränderungen hervorrufen, die aber in der Regel nach zwei bis vier Wochen von selbst abheilen. Seit dem 21. Juni gibt es eine STIKO-Empfehlung für Menschen mit hohem Risiko, aber wegen des weltweit knappen Impfstoffs setzen Rangeleien um die Verteilung ein- auch dieses Bild kommt uns bekannt vor. Wir fordern, dass die Impfung bei den Menschen mit dem höchsten Risiko ansetzt und in den Hotspots wie Berlin beginnt, wo zwei Drittel der Fälle in Deutschland verzeichnet werden. Und wir setzen in unserer Berichterstattung auf sachliche, entängstigende Botschaften, die Risiken und Schutzmöglichkeiten für die Einzelnen aufzeigen.

In diesen Sommerwochen begehen wir auch die Pride-Zeit. Während Köln-Besucher*innen am vergangenen Wochenende schon am Hauptbahnhof von allen Farben des Regenbogens empfangen wurden, war die Parade in Istanbul verboten, und Hunderte, die trotzdem auf die Straße gingen, wurden verhaftet. Der Anschlag in Oslo und der Hass, der dahintersteht, machen uns wütend. Stonewall ist noch nicht vorbei, auch mehr als 50 Jahre nach dem Aufstand in der Christopher Street müssen Menschen, die eine andere Sexualität leben, um Anerkennung und Respekt kämpfen.

Unsere Solidarität mit allen, denen ein menschenwürdiges Leben verwehrt wird, ist nicht bloß ein Lippenbekenntnis. Das zeigt sich eindrucksvoll im Bündnis Queere Nothilfe Ukraine, das schon viele Wochen zum Teil rund um die Uhr im Einsatz war, um vor allem für LGBTIQ-Geflüchtete aus der Ukraine eine Unterbringung und die Versorgung mit dem Notwendigsten zu organisieren. Inzwischen ist ein breites Unterstützungsnetzwerk von Ansprechpartner*innen in Aidshilfen bis zu Ärzt*innen unterschiedlichster Fachrichtungen entstanden, das da ist, wenn z.B. schwangere Frauen hier von ihrer HIV-Infektion erfahren oder Menschen aus Drittstaaten bei der Einreise diskriminiert werden.

Es freut uns, dass wir in dieser Woche auf den Positiven Begegnungen rund 50 Ukrainer*innen begrüßen dürfen! Wir hoffen, dass sie ihre Erfahrungen mit uns teilen und wir gemeinsam erleben werden, wie verbindend (und bestärkend) Selbsthilfe sein kann. Außerdem erwarten wir etwa 80 Teilnehmenden aus der afrikanischen Community bei der PoBe, die in vielfacher Hinsicht so bunt und divers wird wie nie zuvor. Ganz nach dem Motto der Konferenz wollen wir gemeinsam Unterschiede feiern – sichtbar, streitbar und stark.

Herzliche Grüße,

Silke Klumb