Für mehr Chancen im Leben
Liebe Leser_innen,
1.398 – diese Zahl prangt weiß auf schwarz auf der Webseite des JES-Bundesverbands zum Drogengedenktag am 21. Juli. Es ist die Zahl der Menschen, die im letzten Jahr in Deutschland an den Folgen ihres Drogenkonsums gestorben sind, zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor. Ein großer Teil von ihnen könnten noch leben, wenn es mehr Hilfsangebote gäbe.
Für viele bleiben all diese Menschen nur eine anonyme Randnotiz in der Zeitung, wenn sie mit einer Überdosis auf einer öffentlichen Toilette gefunden werden. Dass sie einmal Bruder, Freundin, Mutter, Sohn oder Lebenspartner_in waren und Träume, Witz, Kampfgeist und Würde hatten, aber oft zu wenig Chancen im Leben, davon zeugen die berührenden Beiträge auf unserer Erinnerungsseite. Da gibt es eine virtuelle Kerze für den „lieben kleinen Bruder, der vor 44 Jahren sang- und klanglos und einsam“ gestorben ist; eine für Sebastian, den „coolen Quatschkopp“, und für Anatoli, „der so müde davon war, ewig als Junkie behandelt zu werden und nicht als Mensch“; eine für die „tolle Frau mit der unglaublichen Liebe und Geduld für Kinder“; eine für den besten Kollegen, „der immer da war, wenn der Schuh gedrückt hat“. Und es gibt viel Wut und Ohnmacht; ein Roland schreibt: „Um den vielen verstorbenen Freundinnen und Freunde der letzten 50 (!) Jahre in meiner Trauer wirklich gerecht zu werden, muss ich mich besonders an jedem 21. Juli zwingen, um meine Wut nicht ‚überkochen‘ zu lassen. Noch immer hat dieses unsägliche Prohibitionsgesetz namens BtmG Gültigkeit. Und genau DIESES und NICHT die Drogen ist für die vielen Toten verantwortlich!“
Von den Aktionen in über 40 Städten ging am letzten Dienstag ein starkes Signal an die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen aus – für eine Drogenpolitik, die Gesundheit als ein Menschenrecht begreift. Das heißt im Klartext: eine Drogenpolitik, die eine flächendeckende Substitutionsbehandlung und ein breites Angebot an Drogenkonsumräumen sicherstellt, risikominimierende Maßnahmen wie Naloxon und Drug-Cheching zulässt und nicht zuletzt endlich eine Kehrtwende weg von Verboten und Strafverfolgung einleitet. Selbst der Bund Deutscher Kriminalbeamter spricht sich für eine Entkriminalisierung nach dem Modell in Portugal aus, wo der Drogenkonsum vor allem bei jungen Menschen stark gesunken ist.
Seit vielen Jahren wiederholen wir am Drogendenktag die immer gleichen Forderungen, und wir werden sie wiederholen, bis sie umgesetzt werden. Das sind wir den Menschen schuldig, die gerne noch weitergelebt hätten und denen, die heute als Drogengebrauchende in Würde leben wollen.
Um ihr wirtschaftliches Überleben ringen im Moment Sexarbeiter_innen, die aufgrund der Corona-Bedingungen nicht arbeiten dürfen, obwohl andere körpernahe Dienstleistungen wieder möglich sind und einige unserer Nachbarländer schon Lockerungen für die Prostitution ermöglicht haben. Viele Sexarbeiter_innen sind ohne Einkommen, nicht wenige auch ohne Wohnraum oder Krankenversicherung. Sie werden in die Illegalität verdrängt, wo es keine Hygienekonzepte gibt. Sexarbeiter_innen sind seit jeher Profis, wenn es darum geht, sich vor Infektionen zu schützen – doch sie brauchen dazu ein sicheres Arbeitsumfeld mit fairen Regeln und rechtlicher Absicherung. Wir fordern deshalb eine Gleichstellung von körpernahen Dienstleistungen und eine Aufhebung des Tätigkeitsverbost für Sexarbeiter_innen.Nur dann haben sie eine reelle Chance, Risiken für sich und ihre Kund_innen zu reduzieren.
Herzliche Grüße,
Silke Klumb