Deutsche Aidshilfe: Sexarbeit wieder zulassen – jetzt!
Aufgrund von Corona-Verordnungen dürfen Sexarbeiter_innen in Deutschland zurzeit nicht arbeiten. Prostitutionsstätten sind geschlossen. Während andere körpernahe Dienstleistungen bereits wieder möglich sind, gibt es für die Prostitution bisher so gut wie keine Lockerungen.
Die Deutsche Aidshilfe fordert: Sexarbeiter_innen müssen umgehend wieder ihrer Tätigkeit nachgehen dürfen – in Bordellen, mobil und auf der Straße. Entsprechende Hygienekonzepte liegen vor. Nachbarländer wie Belgien, die Niederlande, Österreich, die Schweiz und Tschechien haben diesen Schritt bereits vollzogen.
Dazu sagt Ulf Kristal vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH):
„Sexarbeit darf nicht anders behandelt werden als andere Tätigkeiten mit engem Körperkontakt. Der Gleichheitsgrundsatz gilt unabhängig von moralischen Bewertungen. Niemand hat darüber zu urteilen, ob für jemand anderen ein Friseurbesuch oder ein sexuelles Erlebnis wichtiger ist.“
Sexarbeiter_innen in Not
Das aktuelle Tätigkeitsverbot bringt Sexarbeiter_innen in Notlagen. Viele sind ohne Einkommen, nicht wenige auch ohne Wohnraum oder Krankenversicherung. Prekäre Lebenssituationen und Abhängigkeitsverhältnisse werden verschärft.
Kund_innen bleibt die sexuelle Dienstleistung vielfach verwehrt – was eine bedeutende Einschränkung ihrer Sexualität sein kann.
Verdrängung in unsichere Verhältnisse
Hinzu kommt: Prostitution findet trotzdem statt. Viele Sexarbeiter_innen müssen arbeiten, um ihr Überleben zu sichern, weil staatliche Hilfen für sie nicht zugänglich sind oder nicht ausreichen. Und sexuelle Bedürfnisse lassen sich nun einmal nicht verbieten.
Die Folge: Sexarbeit geschieht im Verborgenen, wo professionelle Sicherheitsmaßnahmen wegfallen und Prävention und Hilfsangebote die Betroffenen kaum erreichen können. Die ökonomische Notlage schwächt zudem die Verhandlungsposition von Sexarbeiter_innen gegenüber ihren Kund_innen. Dumpinglöhne können ebenso die Folge sein wie der Verzicht auf Safer Sex.
Dazu DAH-Vorstand Ulf Kristal:
„Die Verdrängung in die Illegalität hat fatale Folgen. Menschen in der Sexarbeit brauchen ein sicheres Arbeitsumfeld mit fairen Regeln und rechtlicher Absicherung. Sicherheit lässt sich nur unter legalen Bedingungen herstellen. Dort lässt sich auch Infektionsschutz am besten umsetzen. Gerade jetzt, wo Infektionszahlen wieder steigen, sind klare Spielregeln wichtig.“
Entsprechende Hygienekonzepte zweier Verbände liegen vor. Im Kern basieren sie auf der Formel: Mund-Nasen-Schutz plus eine Unterarmlänge Abstand zwischen Gesichtern plus Safer Sex. Die Konzepte zeigen, dass sich Risiken auch bei der Sexarbeit reduzieren lassen. 100%ige Sicherheit wird auch in anderen Branchen nicht gefordert und wäre ohnehin illusorisch.
„Es geht zurzeit überall darum, die Bedürfnisse nach Alltag und Sicherheit so auszubalancieren, dass wir eine Weile mit der Krise leben können“, stellt Ulf Kristal fest. „Dieses Recht haben Menschen in der Sexarbeit und ihre Kundschaft auch.“
Die Mär vom Superspreader
Politische Akteur_innen, die ein prinzipielles „Sexkaufverbot“ in Deutschland erwirken wollen, haben derweil die Mär von Sexarbeiter_innen als „Superspreadern“ in die Welt gesetzt. Das ist fachlich falsch und stigmatisiert Menschen in der Prostitution.
„Massenübertragungen gab es in Deutschland bisher durch ausbeuterische Arbeitsbedingungen, in beengten Wohnverhältnissen und in Gottesdiensten. Bei der Sexarbeit haben nur wenige Leute engen Kontakt miteinander. Und nirgendwo wird Sex mit so strikten Auflagen praktiziert wie in professionellen Bordellen,“ sagt DAH-Vorstand Ulf Kristal.
Kristal weiter: „Sexarbeiter_innen sind seit jeher Profis, wenn es darum geht, sich vor Infektionen zu schützen und daran gewöhnt, Safer Sex durchzusetzen. Sie könnten vielleicht sogar Vorbilder werden für einen unaufgeregten und vernünftigen Umgang mit dem Corona-Risiko.“
Mehr Informationen:
Positionspapier der Deutschen Aidshilfe: „Corona-Krise: Sexarbeit wieder zulassen“
Appell: Sexarbeiter_innen brauchen Hilfe!
In Köln findet heute eine Demonstration von Sexarbeiter_innen und Verbänden statt.