Gedenktag 21. Juli: Drogentod verhindern – Behandlung für alle

Deutsche Aidshilfe kritisiert: Viele Drogenkonsument_innen haben keinen Zugang zur Substitutionstherapie oder überhaupt zu medizinischer Versorgung. Jetzt Lücken schließen und Leben retten.

Die Zahl des Tages am morgigen Dienstag lautet: 1.398. So viele Menschen haben im letzten Jahr durch Drogenkonsum und die Folgen einer repressiven Drogenpolitik ihr Leben verloren. Die meisten könnten noch leben. Am 21. Juli wird an sie erinnert – am „Internationalen Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher_innen“. In Deutschland finden mehr als 30 Gedenkveranstaltungen statt.

Eine bedeutende Ursache für drogenbedingte Todesfälle ist fehlender oder unzureichender Zugang zur Gesundheitsversorgung, vor allem zur Substitutionsbehandlung, also den Ersatz von Heroin durch ein Medikament. Anlässlich des Gedenktages fordert die Deutsche Aidshilfe darum die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen auf:

Schaffen Sie Zugänge zu einer umfassenden Gesundheitsversorgung und zu risikominimierenden Maßnahmen für alle Drogenkonsument_innen, die in Deutschland leben – auch für Inhaftierte und Menschen ohne Krankenversicherung oder Papiere.

Dazu sagt Winfried Holz vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH):

„Gesundheit ist ein Menschenrecht und daher nicht verhandelbar. Wir haben alle Mittel, Todesfälle zu verhindern und die Gesundheit abhängiger Menschen zu erhalten. Mit dem entsprechenden politischen Willen könnten in Deutschland so viel mehr Menschenleben gerettet, so viel mehr Infektionen verhindert werden!“

Zurzeit wird nur etwa die Hälfte der rund 160.000 Menschen, die in Deutschland Heroin und andere Opioide konsumieren, substituiert. Zwei Maßnahmen sind nötig, um diese Zahl zu erhöhen:

  • Zum einen braucht es generell einen leichteren Zugang. Denn die Hürden sind für viele hoch, zum Beispiel durch eine Pflicht zur täglichen kontrollierten Einnahme des Medikaments in der Substitutionspraxis und die Erwartung, dass auch Alkohol- oder Medikamentenkonsum schnell reduziert werden.
  • Zum anderen muss diese Standardtherapie auch für Menschen ohne Krankenversicherung oder Papiere geöffnet werden. Denn viele Drogen konsumierende Menschen in Deutschland sind aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder dem Iran geflohen, andere sind aus Osteuropa hierhergekommen. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten Geflüchtete jedoch nur eine medizinische Notversorgung, in der Regel keine Substitutionsbehandlungen oder Psychotherapien. Dabei sind mehr als 40 Prozent der seit 2015 nach Deutschland Geflüchteten durch Kriegserlebnisse traumatisiert oder haben schwere psychische Belastungen durch Ausgrenzung und Verfolgung erlebt – oft ein Grund für Drogenkonsum.

Für Menschen ohne Aufenthaltspapiere muss die medizinische Versorgung auch anonym möglich sein.

Fortschritte der Corona-Zeit nutzen

Die Corona-Krise hat bei der Versorgung von Drogenkonsument_innen bereits viele Fortschritte ermöglicht.

Weil viele weder ihre Substanzen noch das erforderliche Geld beschaffen konnten, steckten sie in besonderen Notsituationen. Zudem waren Abstandsregeln in den Substitutionspraxen schwer einzuhalten.

Im Rahmen von Notfallsubstitution wurde die Substitutionstherapie neuen Patient_innen zugänglich gemacht. In vielen Kommunen – zum Beispiel in Berlin, Hamburg und Hannover – wurden zusätzliche leicht erreichbare Angebote geschaffen, auch für Menschen ohne Krankenversicherung oder Papiere.

Zugleich wurden die Regularien gelockert: Patient_innen können nun einen größeren Vorrat der Medikamente mit nach Hause nehmen und müssen darum nicht mehr täglich in die Praxis kommen.

„Die gelungene Reaktion auf die Notlage durch die Corona-Epidemie hat gezeigt: Wir können viel mehr Menschen erreichen. Viele wollen sich behandeln lassen, hatten bisher aber keine Chance. Die Fortschritte, die aus der Krise erwachsen sind, gilt es nun zu sichern und flächendeckend zu erreichen“, betont DAH-Vorstand Winfried Holz.

Viele ungenutzte Möglichkeiten

Außerdem bleiben noch viele Möglichkeiten ungenutzt, das Leben und die Gesundheit von Drogen konsumierenden Menschen zu schützen und Infektionen zu verhindern. Dringend geboten sind:

  • die regelhafte Abgabe von Naloxon–Nasenspray an möglichst viele Drogenkonsument_innen und potenzielle Ersthelfer_innen, zum Beispiel in Drogenhilfe und Polizei. Das leicht zu verabreichende Notfallmedikament rettet bei einer Überdosis Heroin Leben.
  • eine umfassende medizinische Versorgung für alle Drogen konsumierenden Menschen in Deutschland – einschließlich einer HIV- und Hepatitis-C-Behandlung.
  • die Gleichbehandlung von Menschen in Haft, die ihnen gesetzlich zusteht: Häufig haben auch sie zum Beispiel keinen Zugang zur Substitution oder zur Hepatitis-C-Therapie.
  • Vergabe sauberer Spritzen und Konsumutensilien in Gefängnissen, die zahlreiche Infektionen verhindern würden.
  • Drogenkonsumräume in allen Bundesländern – bisher gibt es diese Einrichtungen nur in acht Bundesländern – obwohl sie nachweislich Leben retten.

„Jährlich die Zahl der Drogentoten zu beklagen, bleibt ein Lippenbekenntnis, so lange nicht alle Möglichkeiten fürs Überleben ausgeschöpft werden. Gedenken heißt darum auch, auf eine Drogenpolitik zu drängen, die alle wissenschaftlich abgesicherten Instrumentarien zum Schutz von drogenkonsumierenden Menschen ermöglicht“, sagt DAH-Vorstand Winfried Holz.

Gedenkseite für verstorbene Drogengebraucher_innen auf aidshilfe.de

Lokale Veranstaltungen zum Gedenktag beim JES Bundesverband