Corona und Datenschutz
Liebe Kolleg_innen,
in der Corona-Krise verdienen unsere Grundrechte – einschließlich Datenschutz – besondere Aufmerksamkeit.
Mit dem Ziel, die Gesundheit möglichst vieler Menschen zu schützen, erleben wir zurzeit eine vorübergehende Einschränkung individueller Freiheit. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, was angemessen ist und welche Grenzen nicht überschritten werden dürfen.
Wichtig ist dabei aus unserer Sicht auch, dass für die Zeit nach Corona kein Schaden entsteht – etwa durch dauerhaft veränderte Gesetze beim Datenschutz oder das Erheben und Speichern von sensiblen Informationen, die missbraucht werden könnten. Solche Maßnahmen könnten letztlich auch Menschen mit HIV und den besonders betroffenen Gruppen schaden.
Wir befassen uns zurzeit viel mit diesen Themen und bereiten ein Positionspapier dazu vor. Heute möchten wir euch kurz und prägnant zu zwei aktuellen Fragestellungen informieren:
Corona-App
Demnächst soll eine App dazu beitragen, Infektionen früh zu erkennen und damit weitere Übertragungen zu verhindern. Sie informiert ihre Nutzer_innen, wenn eine Person positiv auf Corona getestet wurde, mit der sie engeren Kontakt hatte. Eine solche App könnte
Laut Bundesregierung wird der Einsatz einer solchen App ein „ganz zentraler Baustein“ sein, um die Zahl der Übertragungen von Covid-19 zu reduzieren. Angestrebt wird eine europaweit einheitliche Lösung.
Die Bundesregierung favorisiert dabei den Ansatz des „Pan European Privacy-Protecting Proximity Tracing" (PEPP-PT), eine Lösung über Bluetooth. Dabei wäre nach Auffassung der meisten Expert_innen der Datenschutz gewährleistet.
Die Leopoldina hat vorgeschlagen, diesen Ansatz mit der Erhebung von GPS-Daten zu ergänzen. Das wäre aus unserer Sicht datenschutztechnisch abzulehnen. Die Bundesregierung hat den Vorschlag auch nicht aufgegriffen.
Die Bluetooth-Lösung funktioniert folgendermaßen: Ein Handy mit der aktivierten App sendet ständig wechselnde Codes an Menschen in der nächsten Umgebung, die ebenfalls die App benutzen, und speichert zugleich deren Codes, wenn ein gewisser Abstand unterschritten und eine bestimmte Verweildauer überschritten wird – wenn also eine Übertragung möglich wäre.
Wird nun eine Person, die die App nutzt, positiv auf das Corona-Virus getestet, erhalten die Menschen, deren Codes erfasst wurden, eine Benachrichtigung und können dann sich testen lassen.
Bei diesem Verfahren werden keine personenbezogenen Daten ermittelt. Die App unterscheidet sich damit von den Lösungen, die teilweise in anderen Ländern zum Einsatz kamen und die persönliche Daten gespeichert haben.
Abschließend beurteilen lässt sich diese Frage nach dem Datenschutz aber erst, wenn ein konkretes Produkt vorliegt. Um unabhängigen Expert_innen eine gründliche Prüfung zu ermöglichen, sollte der Quellcode der App öffentlich gemacht werden („Open Source“).
Aus unserer Sicht besonders wichtig: Die Anwendung der App muss freiwillig erfolgen. Weder gesetzlich noch moralisch darf Druck ausgeübt werden, sie zu nutzen. In keinem Fall dürfen die Informationen, die die App generiert, dauerhaft gespeichert oder anderen zugänglich gemacht werden.
Unverzichtbar ist die Aufklärung über die Funktionsweise, die erhoffte Wirkung sowie Grenzen der App. So wird zum Beispiel nicht jeder angezeigte Kontakt zu einer Infektion geführt haben. Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, gut informiert zu entscheiden, ob er diese Möglichkeit nutzen möchte.
Eine Herausforderung wird außerdem darin bestehen, genügend qualifizierte Beratungs- und Testangebote vorzuhalten. Die Benachrichtigung durch die App wird bei vielen Menschen große Unsicherheit hervorrufen und Fragen aufwerfen. Entsprechende Angebote gilt es aufzubauen, bevor die App eingesetzt wird. Die Bundesregierung hat hier eine Aufstockung angekündigt.
Informationen der Bundesregierung zu allen Maßnahmen, inklusive App (Punkt 4, Seite 3)
Die App ist nicht zu verwechseln mit einer weiteren App, die das RKI gerade für Smart-Watches und Fitness-Armbänder herausgegeben hat. Diese erhebt im Rahmen einer Studie medizinische Daten zur Auswertung für das RKI.
Andere Methoden, bei denen personenbezogene Daten von Mobilfunkanbietern oder standortbezogene Daten (GPS) verarbeitet würden, lehnen wir ab.
Weitergabe von Covid-19-Diagnosen an die Polizei
In einigen Bundesländern wurden oder werden Covid-19-Diagnosen von den Gesundheitsbehörden an die Polizei weitergeben – punktuell oder sogar systematisch. Begründet wird dies mit dem Schutz der Polizeibeamten im Einsatz. Bekannt geworden ist eine derartige Praxis zurzeit aus Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg und Niedersachsen.
Dieser gravierende Bruch der Persönlichkeitsrechte ist aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt und gibt Anlass zu großer Sorge. Nach Auffassung vieler Datenschutzexpert_innen widerspricht die Maßnahme dem Grundgesetz.
Zudem hat die Übermittlung von Diagnosen an die Polizei keinen Nutzen. Ein Nutzen der Übermittlung von Diagnosen an die Polizei ist nicht erkennbar, da von sehr vielen unerkannten Infektionen auszugehen ist. Die Übermittlung gaukelt daher eine falsche Sicherheit vor. Schutzmaßnahmen sollten nicht abhängig von einer Information über eine möglicherweise vorliegende Infektion erfolgen, sondern unabhängig davon.
Die Weitergabe der Daten ähnelt in erschreckender Weise der Kennzeichnung von Menschen mit HIV oder Hepatitis in Polizeidatenbanken mit dem Kürzel ANST.
Wir recherchieren zurzeit, wie sich die Situation in den Bundesländern entwickelt hat, auch mit offiziellen Anfragen. Teilweise wurde die Übermittlung von Diagnosen nach massiver Kritik bereits eingeschränkt oder eingestellt. Wir erwägen eine öffentliche Intervention.
Mehr auf aidshilfe.de/magazin.hiv
So viel für heute. Wir halten euch zu diesen Themen weiter auf dem Laufenden.
Da sich die Ereignisse im Moment überschlagen, können wir leider nicht auf alles direkt reagieren. Bitte behaltet auch unsere umfassenden Corona-Informationen auf aidshilfe.de und magazin.hiv im Blick. Dort liefern wir Einschätzungen und Ratschläge zu Corona in Verbindung mit den Themen HIV, Sexualität, Drogenkonsum u.v.m.
Mit kollegialen Grüßen aus Berlin, auch im Namen des Vorstands,
Geschäftsführung und Kommunikationsteam der Bundesgeschäftsstelle