Gesundheit in Haft ist öffentliche Gesundheit
Die eingeschränkte Gesundheitsversorgung inhaftierter Drogenabhängiger verursacht große Schäden. Ein breites Bündnis von Expert_innen legt Vorschläge vor, wie die Politik in Bund und Ländern die Gesundheit in Haft verbessern kann.
Anders als menschenrechtlich geboten und in internationalen Verpflichtungen sowie dem Strafvollzugsgesetz festgelegt, ist der Zugang von Gefangenen und insbesondere von drogenabhängigen Inhaftierten zu Prävention, Diagnostik und Behandlung faktisch eingeschränkt.
Ein Beispiel: Obwohl etwa 20 bis 30 Prozent der Inhaftierten in Deutschland Drogen injizieren, wird ein großer Teil von ihnen suchtmedizinisch nicht ausreichend versorgt. Nur rund 10 Prozent erhalten eine Substitutionstherapie.
Hinzu kommen überproportional hohe Risiken, sich mit HIV oder dem Hepatitis-C-Virus zu infizieren, weil Schutzmaßnahmen so gut wie nicht verfügbar sind.
Diese gesundheitliche Benachteiligung sowie die gesellschaftliche Stigmatisierung schädigen die Drogengebraucher_innen und ihre Familien, die Gesellschaft und die Wirtschaft und führen zu vermeidbaren Todesfällen.
Eckpunkte-Papier zu Gesundheit in Haft
Die „Initiative Gesundheit in Haft“ ruft Politiker_innen und Entscheidungsträger_innen in Bund und Ländern daher dazu auf, die sozialen und gesundheitlichen Bedingungen für drogenabhängige Inhaftierte zu verbessern.
In einem „6-Eckpunkte-Papier“ benennt sie Lösungsvorschläge für sechs brennende Probleme:
- Problem: Inhaftierte werden gesundheitlich benachteiligt.
Lösung: Die Initiative fordert die Umsetzung des Gleichbehandlungsprinzips durch Stärkung suchmedizinischer Behandlungsangebote in Haft und nach der Entlassung, Einbindung externer Fachpersonen und ein einheitliches Versorgungskonzept über Ländergrenzen hinweg. - Problem: Nichtbehandlung schadet individuell, gesellschaftlich und wirtschaftlich.
Lösung: Substitutionsbehandlung in disziplinenübergreifender Zusammenarbeit sichert das Überleben, ermöglicht gesundheitliche und soziale Stabilisierung, senkt die volkswirtschaftlichen Kosten und beugt HIV- und Hepatitis-C-Übertragungen vor. - Nach der Haftentlassung kommt es häufig zu Todesfällen.
Lösung: Ein zwischen Haftanstalten, Krankassen, Jobcentern und niedergelassenen Ärzt_innen abgestimmtes Übergangsmanagement beugt Rückfällen und Überdosierungen vor. - Die Stigmatisierung und Diskriminierung von Drogenabhängigen auch und gerade in Haft führen dazu, dass wichtige Resozialisierungsziele nicht erreicht werden und kriminelle Versorgungsstrukturen in Haft aufrechterhalten werden.
Lösung: Aufklärung aller Beteiligten – Drogenabhängige, Mithäftlinge, Bedienstete der medizinischen und sozialen Dienste sowie psychosoziale Begleiter_innen – und patientenorientierte Substitutionsbehandlung nach den „draußen“ üblichen Standards ermöglichen den Abbau von Stigmatisierung und mehr Sicherheit für alle. - Problem: Viele inhaftierte Drogenabhängige haben neben ihrer Sucht weitere Erkrankungen, die zum Beispiel infektiologisch oder psychiatrisch behandelt werden müssen. In Haft ist dieses spezifische Wissen nicht immer vorhanden oder wird nicht immer patientenorientiert umgesetzt.
Lösung: Die medizinische, pharmakologische und psychosoziale Expertise müssen intern sichergestellt werden (z.B. durch Fortbildungen und Zertifizierungen) und/oder extern hinzugezogen werden. Auch die Patient_innenperspektive ist einzubeziehen. - Zur Versorgungssituation in Haft fehlen flächendeckende Zahlen und eine systematische Forschung.
Lösung: Durch konsequente Datenerhebung (z.B. ein eigenes Substitutionsregister für Haftanstalten) und transparenten Austausch lassen sich Lücken in der Versorgung erkennen und beheben, die Qualität verbessern und wichtige epidemiologische Erkenntnisse gewinnen.
Gefordert sind Politik und Gesundheitssystem
Das Papier ging unter anderem an
- Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundesjustizministerin Dr. Katarina Barley,
- die Patientenbeauftragte der Bundesregierung,
- die Ausschüsse für Gesundheit, Soziales und Justiz im Bundestag, Bundesrat und in den Landesparlamenten,
- die Justizminister- und Gesundheitsministerkonferenz,
- die Ärztekammern in Bund und Ländern,
- die Kassenärztliche Bundesvereinigung.
In der „Initiative Gesundheit in Haft“ haben sich Akteur_innen aus Substitutionspraxen, Forschung, wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Patientenorganisationen, Suchtfachverbänden, Sozialarbeit und Justizvollzug zusammengeschlossen.
(hs)
Weitere Informationen
Expertenbündnis fordert bessere Gesundheitsversorgung in Haft (Pressemitteilung der Deutschen Aidshilfe vom 8. Mai 2019)
Montpellier macht's möglich: Ein Gefängnis ohne Hepatitis C (Beitrag auf magazin.hiv vom 29. April 2019)
„Das Gefängnis soll das Recht durchsetzen und es nicht brechen“ (Beitrag auf magazin.hiv vom 28. April 2019)