2014 - ein Rückblick in zwölf Kalendereinträgen
Wir blicken zurück mit einer kleinen Auswahl von Ereignissen und Themen – und sagen DANKE für die großartige Zusammenarbeit im Verband und mit allen Kooperationsparter_innen, mit denen wir in diesem Jahr vieles anstoßen und bewegen, einiges begleiten und manches sogar verhindern konnten.
Im Januar ging der Blick nach Baden-Württemberg: Dort bekam Laura Halding-Hoppenheit am 23.01.2014 das Bundesverdienstkreuz. Carsten Schatz würdigte Laura im Namen des Vorstands der Deutschen AIDS-Hilfe: „Generationen schwuler Männer und HIV-Positiver, aber auch viele andere haben Laura viel zu verdanken: immer ein offenes Ohr und tatkräftige Unterstützung und oft auch eine offene Brieftasche, wenn die Not groß ist. Laura zeigt uns, was Solidarität heißt: Engagement für diejenigen, die schlechter dran sind als man selbst, ohne dabei in erster Linie an den eigenen Vorteil zu denken.“
Fahrt aufgenommen hat im Januar bereits die Debatte um sexuelle Vielfalt im Bildungsplan mit der ersten Gegenpetition, die die Pläne des baden-württembergischen Kultusministers unterstützt. Das ganze Jahr über begegnete uns die Frage nach Sexualaufklärung und Sexualpädagogik wieder und wird uns auch im kommenden Jahr beschäftigen: Nur wenn wir uns gemeinsam gegen die Angriffe auf Aufklärung, Gleichberechtigung und sexuelle Vielfalt wehren, werden wir diese und damit auch das Fundament für unsere Präventionsarbeit sichern können.
Im Verband feierte die bundesweite Onlineberatung aidshilfe-beratung.de die 25.000. Anfrage – über 3000 Anfragen im Jahr werden gemeinsam von 30 Berater_innen aus Mitgliedsorganisationen beantwortet, ein tolles Projekt und ein großer Erfolg!
Der Februar begann in Berlin am 1.2. mit der Veranstaltung „Gold for Equal Rights“ zur Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans* in Russland, zu der ein Bündnis von Schwulenberatung, Berliner Aidshilfe, Quarteera, DAH u.a. im Vorfeld der olympischen Winterspiele in Sotchi eingeladen hatten. Mit Vertreter_innen verschiedener russischer NGOs wurden Strategien einer weiteren Zusammenarbeit diskutiert, um diese in ihrer Arbeit angesichts der homophoben Politik Russlands und der zunehmenden Verletzung der Menschenrechte verstärkt zu unterstützen. Eine tolle Aktion organisierte die Initiative "Enough is Enough" zeitgleich zu den olympischen Spielen: Sie entzündete in Berlin ein eigenes olympisches Feuer, die Rainbow Flame, verbunden mit einer Mahnwache rund um die Uhr, die für die Dauer der Spiele an die russische Hatz auf Schwule, Lesben, Bisexuelle und Menschen mit Trans-Identität erinnerte und deren Menschenrechte einforderte.
Das Saarland brachte mit einem Vorstoß in Sachen Kondompflicht für Freier und Einschränkung des Straßenstrichs die Debatte um die Novelle des Prostitutionsgesetzes auf die Agenda. Sie hat uns das ganze Jahr beschäftigt, nicht zuletzt mit der Anhörung im Bundesfamilienministerium, zu der wir gemeinsam mit dem Projekt Nachtfalke der Aidshilfe Essen eingeladen waren.
Der Monat endete mit dem Relaunch von iwwit.de. Am 26. Februar ging die neue Webseite online: ein frisches Outfit, aktuelle Inhalte, eine neue Struktur – wir bekamen im Lauf des Jahres viel positives Feedback auf das neue Erscheinungsbild der Kampagnenwebsite und der Kampagne insgesamt.
Im März verabschiedete der Nationale AIDS-Beirat sein Votum zum Zugang zu ärztlicher Versorgung, Beratung und HIV-Therapie für Migrant_innen. Darin fordert er u.a., dass eine leitliniengerechte Behandlung der HIV-Infektion als notwendige Behandlung im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes anerkannt und sichergestellt wird, dass Menschen ohne Papiere keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen befürchten müssen und Zugang zur HIV-Therapie haben (http://bmg.bund.de/praevention/nationaler-aids-beirat/nationaler-aids-beirat/votum-zum-zugang-zu-aerztlicher-versorgung-beratung-und-hiv-therapie.html).
Eine Zwischenauswertung der PARTNER-Studie zeigte, dass die HIV-Therapie beim Sex vor einer HIV-Übertragung schützt. In der Studie sind zum ersten Mal auch schwule Paare eingeschlossen (282), allerdings in geringerer Zahl als heterosexuelle Paare (445). Es war zu keiner Übertragung gekommen. Um die Ergebnisse noch verlässlicher zu machen, wird die Studie bis 2017 weitergeführt und soll zudem um 450 schwule Paare erweitert werden.
Auf den Münchner AIDS- und Hepatitis-Tagen verlieh die Deutsche AIDS-Hilfe am 21.3. die Ehrenmitgliedschaft an Jean-Luc Tissot, HIV-Aktivist aus Braunschweig und u.a. Initiator der Straßenbahnaktion „Aids braucht positive Gesichter“, und an Dr. Dagmar Melz, Mitbegründerin der AIDS-Hilfe Wuppertal, die gegen den erbitterten Widerstand ihrer Kolleg_innen den ersten Aids-Patienten am Wuppertaler Klinikum behandelte
Der April stand ganz im Zeichen von AIDS Action Europe, dem Netzwerk europäischer und zentralasiatischer NGOs im HIV-Bereich. Der bisherige Träger, die Organisation Aids Fonds/SOA AIDS Nederlands in Amsterdam, wollte die Trägerschaft nach zehn Jahren gerne an eine andere Organisation abgeben und hat dafür die Deutsche AIDS-Hilfe angefragt. Unter Abwägung der Chancen und Risiken haben wir beschlossen, die Aufgabe zu übernehmen und damit als Organisation mit starker Stimme in Europa unsere europäische Verantwortung wahrzunehmen. Zum Jahresende 2014 können wir sagen: Das war ein richtiger Schritt. Inzwischen liegen uns die Zusagen der EU für eine weitere Förderung des Netzwerks vor, und wir können die Arbeit für die nächsten Jahre auf solide Füße stellen.
Mit der Veröffentlichung des Rauschgiftlageberichts 2013 wird bekannt, dass zum ersten Mal seit Jahren die Zahl der Drogentodesfälle wieder gestiegen ist. Dies ist die Folge einer verfehlten Drogenpolitik, die in zehn Bundesländern nicht einmal die Einführung von Drogenkonsumräumen ermöglicht, obwohl diese nachweislich Leben retten.
Im Mai feierte das Spritzenautomatenprojekt in Nordrhein-Westfalen sein 25-jähriges Jubiläum mit einer Fachtagung und einem Festakt. 1989 ging der erste umgebaute Zigarettenautomat als Spritzenautomat in Betrieb, schon damals mit Unterstützung der Landesregierung. Seitdem hat das Projekt einige Nachahmer gefunden, aber noch immer gibt es den Bedarf für weitere Spritzenautomaten und Standorte.
In Berlin wurde bekannt, dass in polizeilichen Datenbanken Menschen mit HIV oder Hepatitis B oder C mit dem Kürzel „ANST“ für Ansteckungsgefahr versehen werden. Inzwischen haben wir herausgefunden: Diese stigmatisierende Praxis wird auf Grundlage eines Beschlusses der Bundesinnenministerkonferenz im Jahr 2011 in allen Bundesländern vorgesehen. Wir werden auch im kommenden Jahr mit vereinten Kräften aus dem Verband und mit möglichst vielen Kooperationspartnern auf eine Beendigung dieser unsinnigen und unwürdigen Praxis hinarbeiten.
Im Juni endete der jahrelange Rechtsstreit um die Entlassung des Chemie-Laboranten Sebastian F. aufgrund von HIV in der Probezeit mit einem Vergleich. Im Prinzip erkannte das Gericht an, dass Sebastian F. seine Tätigkeit in der Qualitätssicherung hätte weiter ausüben können. Der Chemielaborant bekam ein Schmerzensgeld zugesprochen. Die Anerkennung der HIV-Infektion als Behinderung im Sinne des europäischen Behindertenbegriffs war bereits im Dezember letzten Jahres durch das Bundesarbeitsgericht festgestellt worden. Daraufhin musste der Fall neu verhandelt werden.
Mit der Petition des LSVD gegen den Blutspendeausschluss von schwulen Männern beginnt eine erneute Debatte, bei der auch in unserem Verband kontroverse Positionen vertreten werden. Einig sind sich viele: Eine weniger pauschale Regelung wäre wünschenswert. Einen ganz anderen Aspekt fokussiert ein Beitrag aus Hessen: Die Kritik am Blutspendeausschluss enthalte selbst diskriminierende Züge, so die Landesarbeitsgemeinschaft MSM in einem Positionspapier. Die Empörung, schwule Männer und andere MSM mit HIV/Aids assoziiert zu sehen, der Sprachgebrauch („Vorverurteilung“, „Generalverdacht“) sowie der daraus abgeleitete Diskriminierungsvorwurf wiesen auf eine Vorstellung hin, es handele sich bei einer HIV-Infektion um ein schuldhaftes Geschehen, das auf die Betroffenen zurückfällt und deren Abwertung erlaubt. Dem schließt sich die Deutsche AIDS-Hilfe an.
Der Juli war der Monat des Presseerfolgs der Deutschen AIDS-Hilfe mit der Veröffentlichung des Alternativen Drogen- und Suchtberichts und der Internationalen AIDS-Konferenz in Melbourne – mehr dazu im Rückblick unseres Pressesprechers Holger Wicht in diesem Newsletter.
Mit der Präsentation der Ergebnisse der IPREX-Studie nahm die Diskussion um die Prä-Expositionsprophylaxe PrEP mit Truvada Fahrt auf – auch wenn wir die Ergebnisse weniger euphorisch betrachteten und von Aktivisten angegriffen wurden für unsere skeptische Haltung, haben wir der Diskussion in unserem Blog einen breiten Raum eingeräumt. Inzwischen wurden in zwei weiteren PrEP-Studien die Placebo-Arme aufgrund der Wirksamkeit der PrEP eingestellt – wir sind gespannt auf die Präsentation der Ergebnisse im ersten Quartal 2015 und freuen uns auf neue Optionen in der HIV-Prävention.
In Europa begrüßten wir derweil die Aufforderung des Europäischen Gerichtshofs an Deutschland, zur Beschwerde eines Häftlings in Bayern Stellung zu nehmen, dem die Substitution im Gefängnis verweigert worden war.
Der August brachte mit der Konferenz „Positive Begegnungen“ in Kassel den Höhepunkt des Jahres aus Sicht der Selbsthilfeorganisation. Zur Eröffnung sprach Susanne Baer, Richterin am Bundesverfassungsgericht, den Anwesenden ihren Dank aus: „Ich gratuliere Ihnen, denn Sie verstecken sich nicht. Sie sind die gelebte Kultur der Menschen- und Bürgerrechte, wie sie das Grundgesetz sichert.“ In ihrem Grußwort betonte sie den Wert des Grundgesetzes für das Engagement gegen Diskriminierung: „Jeder und jede hat in Deutschland ein Recht darauf, ihr Leben in Würde und damit auch frei von Ausgrenzung und Stigmatisierung zu gestalten.“ Die Verfassung müsse mit Leben gefüllt werden. In der HIV-Community sieht Baer das „Versprechen der Vielfalt“ eingelöst.
Auf der Konferenz wurden die Ergebnisse der Arbeit der vergangenen zwei Jahre präsentiert und neue Themen für die so genannten „Themenwerkstätten“ ausgewählt – Gruppen, in denen gemeinsam zu einem Schwerpunktthema konzeptionell und praktisch gearbeitet wird (siehe http://aidshilfe.de/de/aktuelles/meldungen/neue-themenwerkstaetten).
Pünktlich zu den Positiven Begegnungen startete das Nachfolgeprojekt des blogs der DAH, das magazin.hiv. Auf diesem neuen Internetangebot finden News, Hintergründe, ausführliche Berichte und persönliche Geschichten zu aktuellen Ereignissen und kontroversen Themen rund um HIV/Aids, Hepatitis und andere sexuell übertragbare Infektionen Platz.
Im September wurde auf einer Gedenkfeier in Amsterdam Martine de Schutter geehrt – sie war bei dem verheerenden Flugzeugabsturz der MH 17 auf dem Weg nach Melbourne gestorben. Zehn Jahre hatte sie das Netzwerk AIDS Action Europe als Koordinatorin geleitet und vorangebracht, war in der europäischen HIV-Politik aktiv und für viele von uns eine wichtige Kooperationspartnerin gewesen.
Der Oktober stand ganz im Zeichen der Hepatitis C: Auf der 6. Nationalen und 1. Internationalen Konferenz zu Hepatitis C und Drogengebrauch in Berlin wurde mit der Berliner Erklärung die Forderung aufgestellt, angesichts des großen globalen Gesundheitsproblems endlich zu handeln. Dabei spielte sowohl die chronische Unterversorgung von Drogen gebrauchenden Menschen als auch die untragbare Preispolitik der Firmen der pharmazeutischen Industrie eine große Rolle. Hepatitis C als heilbare Erkrankung fordert die Regierungen heraus, Lösungen zu finden für nationale Strategien und eine andere Preispolitik.
Zwei wichtige Ereignisse erreichten uns aus Nordrhein-Westfalen: Am 29.10. überreichte der Kölner Oberbürgermeister Reinhard Klenke, stellvertretender Geschäftsführer der Aidshilfe NRW, das Bundesverdienstkreuz am Bande für sein Engagement in der schwulen Bewegung und der Aidshilfearbeit – wir gratulieren! Ebenfalls im Oktober legte zudem der Runde Tisch Prostitution in NRW seinen Abschlussbericht vor und fordert darin die Stärkung der Rechte von Sexarbeiterinnen in Deutschland.
Der November begann mit der Wahl eines neuen Vorstands auf der Mitgliederversammlung (MV) der Deutschen AIDS-Hilfe. Zugleich aktualisierte die MV das 2012 beschlossene Papier „DAH reloaded“ und stellte die Ziele der Arbeit bis 2020 unter den Fokus „Aids beenden“: Wir wollen erreichen, dass bis 2020 niemand mehr an Aids erkranken muss, weil eine HIV-Infektion zu spät diagnostiziert wird, kein Zugang zu Behandlung besteht oder die Angst vor Diskriminierung Menschen davon abhält, einen HIV-Test zu machen und von der Behandelbarkeit der HIV-Infektion zu profitieren (siehe http://aidshilfe.de/de/aktuelles/meldungen/deutsche-aids-hilfe-ende-von-aids-bis-2020-ist-moeglich).
Ende November freuten wir uns mit einem weiteren Preisträger: Dirk Schäffer, Leiter des Fachbereichs Drogen und Strafvollzug in der DAH, wurde von akzept e.V. mit dem Josh-van-Soer Preis ausgezeichnet für seine Verdienste für humane Drogenpolitik und akzeptierende Drogenarbeit – herzlichen Glückwunsch!
Im Dezember stand anlässlich des Welt-Aids-Tags das Thema Diskriminierung im Gesundheitswesen im Mittelpunkt: Auf der Pressekonferenz des Bundesgesundheitsministeriums präsentierte sich die Bundeszahnärztekammer als aufgeschlossene Partnerin in der Arbeit gegen Diskriminierung und legte ein mit der DAH erarbeitetes Informationsblatt für Zahnärzt_innen vor. Zugleich lud sie Menschen mit HIV ein, sich zu melden, wenn es Probleme in den Zahnarztpraxen gibt, denn das sei ein wichtiges Feedback für die Kammer und ermögliche ihr zu handeln.
Ergänzend veröffentlichte die DAH ein Dossier zum Thema HIV-Tests in Einstellungsuntersuchungen im Gesundheitswesen, in dem unter anderem der DGB- Sekretär Kurt Lambertin ein Verbot von HIV-Tests in Einstellungsverfahren, wie von der ILO (International Labor Organisation) gefordert, vorschlägt.
Mit diesem kleinen Rückblick verabschieden wir uns aus einem ereignisreichen Jahr, wünschen allen Leserinnen und Lesern einen guten Rutsch in ein erfolgreiches, glückliches und gesundes 2015 und zählen auch im nächsten Jahr auf Ihr Interesse, Ihre Unterstützung und Ihr Engagement. Auf weiterhin gute Zusammenarbeit!