Freiburg geht ab in die Zukunft

Seit diesem Jahr bietet die DAH eintägige Inhouse-Seminare vor Ort in den Aidshilfen an. Ziel ist es, sich Schritt für Schritt fit für die Zukunft zu machen. Bisherige Stationen waren Freiburg, Heidelberg, Osnabrück und Kiel; Ulrike Hoffmeister, Geschäftsführerin der AIDS-Hilfe Freiburg, berichtet im Gespräch, wie die Schulung dort angekommen ist.

Ulrike, was hat euch in Freiburg bewogen, die Inhouse-Schulung zu euch zu holen?

Wir gehen ohnehin jedes Jahr als Team in eine zweitägige Klausur; zusätzlich haben wir im letzten Jahr angefangen, uns einmal im Quartal Zeit für die Prozessentwicklung zu nehmen. Wir befassen uns mit der Idee eines Gesundheitscenters und haben gedacht, es wäre sehr gut, sich mal eine andere Perspektive dazu zu holen; es sollte aber schon jemand sein, der die Auseinandersetzungen im Verband zum Beispiel um die Frage kennt, ob der Name Aidshilfe noch passend ist und unserem Auftrag noch entspricht.

Gab es bei euch Vorbehalte oder Ängste, sich in dieser Form mit der Zukunft auseinanderzusetzen?

Überhaupt nicht. Wir sind ein sehr aufgewecktes Team und sind ja schon länger an dem Thema dran; ich würde eher sagen, wir waren neugierig und gespannt, was da von der DAH kommt.

Meinst du mit „wir“ nur euch als hauptamtliches Team?

Nein, wir waren sieben bis acht Personen, darunter auch ein Vorstandsmitglied und ein ehrenamtlicher Mitarbeiter.

Und haben sich eure Erwartungen erfüllt?

Ja, der Tag ist super gelaufen, da geht auch ein großes Lob an Karl Lemmen und Werner Bock! Sie haben die Schulung sehr gut vorbereitet, aber auch uns Mitarbeiter nicht aus der Verantwortung entlassen, uns zu engagieren.

„Ab in die Zukunft“ arbeitet ja mit der Methode der SWOT-Analyse. „SWOT“ steht für Strenghts, Weaknesses, Opportunities, Threats, frei ins Deutsche übersetzt Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken. Fangen wir bei den Stärken an: Was habt ihr denn da für euch herausgefunden?

Eine unserer großen Stärken ist, dass wir sehr offen und gut vernetzt sind und mit vielen Kooperationspartnern gut zusammenarbeiten. Wir haben einen guten Stand in der Stadt und landesweit. Das hat viel mit Vertrauen zu tun, mit Beständigkeit und Verlässlichkeit. Viele unsere Mitarbeiter sind schon sehr lange hier, sodass die Parntner und Förderer über Jahre vertraute Ansprechpartner haben. Und ich habe in den zehn Jahren als Geschäftsführerin großen Wert auf Transparenz und Strukturiertheit gelegt.

Und wie sieht es mit den Schwächen aus?

Ich glaube, es ist ein Phänomen der AIDS-Hilfe Freiburg, dass wir schnell in Aktionismus verfallen oder besser: dass wir reagieren statt zu agieren. Das möchten wir gerne loswerden und mehr auf das Agieren kommen. Als weitere Schwächen haben wir die fehlende Nachhaltigkeit gesehen. Wir arbeiten viel projektbezogen; zum Beispiel sind unser Migrationsbereich Take Care und die MSM-Bereiche (BeMan) und die Kampagne „GentleMan“ projektfinanziert. Das kann schon ein ziemliches Korsett sein. Wir machen jetzt seit neun Jahren Migrationsprojekte, aber wenn es nicht gelingt, neue Projekte an Land zu ziehen, fällt die Stelle weg. Dann kommen die Menschen mit ihren Problemen weiter zu uns, aber wir haben nicht mehr das Personal, um sie unterstützen zu können. Gerade die Arbeit für Migrantinnen und Migranten stellt schon besondere Anforderungen: Man muss mehrere Sprachen sprechen und die Rechtslage sehr gut kennen. Nachhaltigkeit hieße für mich in dem Fall, dass wir mindestens eine halbe Stelle fest finanziert bekommen.

Kommen wir zu den Risiken.

Da haben wir so einige identifiziert. Als erstes wäre da der Bedeutungsverlust von Aidshilfe durch die medizinischen Fortschritte bis hin zur Heilung in Sicht. Natürlich verändern wir uns mit dieser Entwicklung und haben eine breite Vielfalt von Angeboten, die sich aber in dem Markennamen Aidshilfe nicht widerspiegeln. Ein anderes Risiko ist sicher auch die Konkurrenz um Fördermittel und Kompetenzen, angefangen bei der Verteilung der Landesmittel auf die 13 Aidshilfen in Baden-Württemberg bis zum Gerangel mit anderen Organisationen, die sich auch für HIV-positive Frauen, Migrantinnen und Migranten oder die HIV-Prävention im allgemeinen zuständig fühlen. Dann kann es passieren, dass Geldgeber sagen, dieses und jenes Angebot ist doch schon durch ProFamilia abgedeckt.

Das hat euch aber nicht den Blick auf die Chancen verstellt?

Nein, denn da gibt es zum Glück auch eine ganze Menge. Ganz oben steht für uns der Aus- und Umbau der Marke Aidshilfe, die ja gut eingeführt und positiv besetzt ist. Das fängt für uns bei der Vermittlung neuer Werte an, zum Beispiel, dass es gut und richtig sein kann, rechtzeitig über die HIV-Infektion Bescheid zu wissen und in Behandlung zu kommen. Und aus unserer Sicht bieten sich gerade im Moment, wo die Genderdebatte oder die Gleichstellung von Lesben und Schwulen  immer mehr an Bedeutung gewinnen, Riesenchancen, sich in der Politik Gehör zu verschaffen, denn das sind ja auch unsere ureigenen Themen. In Freiburg als relativ junger  Stadt mit vielen Studenten und jungen Familien – auch Regenbogenfamilien - könnten wir uns damit gut etablieren.

Unter dem Aus- und Umbau verstehen wir aber vor allem unser ganz großes Zukunftsprojekt: ein Gesundheitscenter nach skandinavischem Vorbild, in dem Prävention, Diagnostik, Beratung und Medizin unter einem Dach untergebracht sind. Davon träume ich persönlich schon seit Jahren.

Was steht dem Traum denn im Weg?

Es fehlt natürlich an Geld. Wir arbeiten schon lange daran und legen großen Wert auf die Zusammenarbeit mit Gesundheitsämtern, Ärzten und Krankenkassen. Und wir versuchen, die KV-Leistungen endlich einmal auf eine solche Schiene zu bringen. Aber da bringt es relativ wenig, wenn wir in Freiburg mit den örtlichen Krankenkassen verhandeln. Das müsste eigentlich auf Ebene des Bundesverbands passieren. Wenn die DAH in der Richtung aktiv werden würde, hätten alle Aidshilfen etwas davon.

Ihr seid aber schon einige konkrete Schritte in Richtung Gesundheitscenter gegangen?

Ja, wir haben zum einen den Schnelltest in unser Angebot in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt und schwulen Ärzten etabliert, das wir 2014 ausbauen werden. Zum anderen haben wir das Mobpsy-Modell entwickelt.

Das Mobpsy-Modell? Das klingt spannend, ist aber erklärungsbedürftig.

Mobpsy  steht für „mobiler psychosozialer Dienst“. Wir haben darüber nachgedacht, wie wir Patientinnen und Patienten der drei Freiburger Schwerpunktpraxen und der Klinik, die keinen Kontakt zu uns haben, für unsere Angebote erreichen können, und sind auf die Idee gekommen, uns mit einer Art Buchungssystem an das Praxisbuchungssystem anzugleichen. Wir wären dann direkt mit dem Termin in der Praxis verknüpft; wenn der Patient Interesse an einer Kontaktaufnahme  hätte, könnten wir aus unserem Team den für die Zielgruppe passenden Ansprechpartner zur Verfügung stellen. Voraussetzung einer engen Verknüpfung in der Arztpraxis ist selbstverständlich die Entbindung der Schweigepflicht zwischen Arzt-Patient-Berater.

Habt ihr etwas Bestimmtes aus „Ab in die Zukunft“ in euren Arbeitsalltag übernommen?

Der größte Benefit war vielleicht die Einsicht, dass wir uns von alten Themen verabschieden müssen, wenn wir etwas Neues anfangen wollen. Unsere Personaldecke ist nun einmal begrenzt. Wir wollen uns auf jeden Fall von unseren Aktionismus verabschieden und sehr genau darauf achten, dass wir uns nicht im Kreis drehen und uns an den immer wieder gleichen Fragen abarbeiten.

Was kann die Schulung anderen Aidshilfen bringen?

„Ab in die Zukunft“ ist eine wunderbare Chance, einmal tiefer an Themen zu gehen, die man aus Gewohnheit nicht betrachtet oder lieber umschifft. Man muss sich aber schon auf das Wagnis einlassen zu schauen, wo man als Organisation in zehn Jahren steht. In unserem Verband gibt es ja schon einige Existenzängste, zum Beispiel die Frage, was wäre, wenn es eine Impfung gibt. Aber wo die Angst sitzt, da geht’s lang!

Und wo steht die AIDS-Hilfe Freiburg in zehn Jahren?

Wir sehen frohen Mutes in die Zukunft: In zehn Jahren gibt es unser Gesundheitscenter, wir stehen finanziell sehr gut da und genießen eine große Akzeptanz; und wir leisten – finanziert über eine Kassenziffer -  eine wichtige Begleitung für den medizinischen Bereich. Ich hoffe auch, dass Menschen mit HIV sich in zehn Jahren nicht mehr verstecken müssen –und dann wäre es doch gar nicht schlimm, wenn’s uns nicht mehr braucht.

Für „Ab in die Zukunft“ gibt es ab der zweiten Hälfte noch freie Termine. Interessierte Aidshilfen wenden sich bitte an Karl Lemmen (karl.lemmen@dah.aidshilfe.de) oder Werner Bock (werner.bock@dah.aidshilfe.de).