Neues vom Delegiertenrat
Nachdem die Mitgliederversammlung auf Antrag des Delegiertenrats eine Satzungsänderung beschlossen hat, durch die der Delegiertenrat ab dem 1. November 2013 durch „Besondere Organe“ ersetzt wird, stand in der Sitzung am 16. bis 18. November die Frage der konkreten Gestaltung dieser neuen Organe im Vordergrund. Weitere Themen waren die Weiterentwicklung der Selbsthilfe, Neues aus dem Netzwerk der Jungen Positiven und die Qualitätssicherung im Verband.
Weiterentwicklung der Selbsthilfe
Zu Beginn der Sitzung berichtet Heike Gronski, DAH-Referentin für „Leben mit HIV“, von der Diskussion auf den Positiven Begegnungen, bei denen die Weiterentwicklung der Selbsthilfe im Vordergrund stand. In Wolfsburg wurden 13 Themen[1] identifiziert, die in den nächsten Jahren die großen Herausforderungen an die Selbsthilfebewegung darstellen und die nun parallel zu den Netzwerktreffen in sieben Themenwerkstätten bearbeitet werden sollen. Die einzelnen Themenwerkstätten, von denen das erste Treffen zum Thema „Abbau der Diskriminierung im Medizin- und Gesundheitssystem“ bereits stattgefunden hat, sind in einem Blogbeitrag (http://blog.aidshilfe.de/2012/11/15/auf-gehts-neue-themen-braucht-das-land/) ausführlich beschrieben. Auch an dieser Stelle wird noch einmal eine herzliche Einladung an alle Interessierten ausgesprochen, sich an der Diskussion und der Arbeit der Themenwerkstätten zu beteiligen!
Im Delegiertenrat weist Heike Gronski darauf hin, dass die Themen auch eine virtuelle Plattform bekommen sollen, um – da die Teilnehmerzahl bei den Werkstätten aus Gründen der Finanzierbarkeit auf 10 bis 15 beschränkt ist - eine möglichst große Beteiligung der Selbsthilfe zu gewährleisten. Bis das neue Intranet als wesentliches Instrument zur Verfügung stehen wird, wird als Zwischenlösung ein Open Atrium angeboten, in dem die Werkstätten ihre Ergebnisse veröffentlichen und zur Diskussion einladen.
Aktuelles aus den Regionen
Öffentlichkeitsarbeit zur Nicht-Infektiosität bei funktionierender ART
Die AIDS-Hilfe NRW hat auf ihrer Jahrespressekonferenz im September die Erfahrung gemacht, wie schwierig es ist, die Botschaft der präventiven Wirkung von HIV-Therapien zu vermitteln. Die Aussage, dass Sex ohne Kondom unter bestimmten Bedingungen auch sicher ist, sei bei einigen der Journalisten auf völlige Verständnislosigkeit getroffen, und Rheinische Post und Bild-Zeitung hätten in ihrer Berichterstattung polemisch reagiert. Fazit der AIDS-Hilfe NRW: Es ist nicht einfach, aber dringend erforderlich, das Wissen über die Nicht-Infektiosität Menschen mit HIV unter funktionierender ART an den Mann/die Frau zu bringen!
Notwendigkeit von STI-Kliniken
Eines von acht Debatten-Themen auf der diesjährigen Veranstaltung HIV kontrovers – ein Kooperationsprojekt von AIDS-Hilfe NRW und Deutscher AIDS-Gesellschaft – waren STI-Checks für schwule Männer. Als Problem wurde formuliert, dass die Aidshilfe STI-Checks gerade auch dann empfiehlt, „wenn es nicht juckt und brennt“, also keine Symptome einer STI zu erkennen sind. Allerdings sind Untersuchungen ohne begründete Hinweise auf eine STI nicht abrechenbar, sodass Ärzte das Anliegen in der Regel ablehnen.
Wie Silke Klumb bestätigt, schneiden Länder mit STI-Kliniken bzw. –Ambulanzen in der Diagnostik wesentlich besser ab als Deutschland. Die Diskussion um szenenahe, integrierte HIV-, STI- und Hepatitisprävention – eines der Ziele im Papier „DAH reloaded“ – solle nun massiv in den Verband getragen werden; es gebe bereits erste Gespräche mit der DAGNÄ über die Möglichkeiten, ein Modellprojekt zur Weiterentwicklung von Test- und Beratungsangeboten z.B. nach dem Vorbild des Züricher Checkpoints (http://checkpoint-zh.ch/) aufzubauen.
Fachtage zur Verbandsstruktur in Baden-Württemberg
Die Mitgliedsorganisationen der AIDS-Hilfe Baden-Württemberg haben sich gleich in zwei Fachtagen mit der Entwicklung einer zukunftsfähigen Verbandsstruktur beschäftigt. Im Mittelpunkt stand zum einen die Verbesserung der Verbandskommunikation (Wer kommuniziert was mit welcher Verantwortung an wen?) und zum anderen die Überlegung, dass einzelne Aidshilfen bestimmte Fachschwerpunkte (wie z.B. die Koordination des landesweiten Projekts GentleMan) übernehmen.
Bündnis für Toleranz und Gleichstellung in Baden-Württemberg
Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg will Vorreiter in Sachen Toleranz und Gleichstellung werden und beruft ein Bündnis, in das die rund 40 in einem Netzwerk verbundenen LSBTTIQ[2]-Gruppen sechs bis acht Personen in einen Beirat entsenden sollen. Wie Gaby Wirz berichtet, wird das Sozialministerium auf einer Beteiligung der Aidshilfe bestehen, die von den Gruppen nicht als erforderlich betrachtet worden sei.
Im Plenum wird beobachtet, dass sich hier offensichtlich ein Trend abzeichnet: Im Aktionsplan der Landesregierung NRW gegen Homo-und Transphobie spiele das Thema HIV/Aids praktisch keine Rolle, und auch in Berlin gebe es die Debatte, dass Schwulsein und HIV/Aids nichts miteinander zu tun habe. Wie Vorstandsmitglied Carsten Schatz dazu feststellt, müssen wir dafür sorgen, dass in den schwulen Communities wieder mehr über HIV/Aids gesprochen wird“.
Arzt-Patientenverhältnis in der Substitutionsbehandlung
Der JES-Bundesverband führte zusammen mit der DAH eine Befragung unter Substituierten zum Arzt-Patientenverhältnis durch, an der sich rund 700 Menschen beteiligten und deren Ergebnisse in diesem Jahr auf nationalen und internationalen Fachtagungen und Kongressen vorgestellt wurden (nachzulesen im Drogenkurier unter http://www.jes-bundesverband.de/uploads/media/Drogenkurier_2_2012.pdf). Die Untersuchung ergab u.a. dass jede/r vierte/r Patient/in nicht das Substitut seiner/ihrer Wahl erhält und der überwiegende Teil sich mehr Zeit in der Behandlung wünscht. In vielen Praxen sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen aufgrund des fehlenden Zeitbudgets gar nicht möglich.
Aktuell arbeitet JES an dem Ziel, dass die Take-Home-Regelung für Substitutionsmittel im Betäubungsmittelgesetz auf mehr als sieben Tage ausgeweitet wird. Hintergrund ist u.a., dass gerade Patient(inn)en in ländlichen Regionen sich die Fahrten zum Arzt kaum leisten können, da ein Teil der Arbeitsagenturen die Fahrtkosten nicht übernimmt, bzw. dass berufstätige Substituierte für den Arztbesuch einen Urlaubstag nehmen müssen, da die Wege nicht außerhalb der Arbeitszeit erbracht werden können.
Wie Michael Tappe ergänzt, hat in Niederbayern gerade eine Ärztin ihre Approbation verloren, weil sie drei Patient(inn)en trotz Beigebrauch weiter substituiert hat. Als Reaktion darauf hätten elf Substitutionsärzte angedroht, die Behandlung Drogenabhängiger zum Jahresende einzustellen (siehe http://blog.aidshilfe.de/2012/11/23/substitutionsarzte-in-bayern-unter-beschuss/).
Neues aus dem JuPo-Netzwerk
Als Delegierter für das Thema „Unter 30“ stellte Sven Hanselmann neue Vorhaben im Netzwerk der „Jungen Positiven“ (Jupo) vor, das seit zwei Jahren besteht und in dem ca. 13 Menschen im Alter von 20 bis 30 Jahren kontinuierlich zusammenarbeiten. Zu den Projekten gehören der Aufbau einer eigenen Homepage, eine Seite auf facebook, die Überarbeitung des inzwischen vergriffenen Info-Flyers sowie die Entwicklung von Plakaten, die auch an Schwerpunktärzte verteilt werden sollen, und eine Freizeit für junge Positive, die sich nicht in der Selbsthilfe engagieren wollen, aber Interesse am Austausch und der persönlichen Begegnung im lockeren Rahmen haben. Im nächsten Jahr wird die DAH auf Initiative des Netzwerks per Online-Fragebogen untersuchen, warum junge Menschen mit HIV keine Selbsthilfe-Angebote in Anspruch nehmen bzw. was sie brauchen, um ihre Lebenssituation zu verbessern. Eine weitere Idee ist das Projekt „Rent a JuPo“, das die Vernetzung zu den örtlichen Aidshilfen herstellen und ihnen die Möglichkeit geben soll, jungen Menschen z.B. mit einem frischen Testergebnis HIV-positive Ansprechpartner/innen in ihrer Altersgruppe an die Seite zu stellen.
Generell will das Netzwerk jungen Menschen mit HIV einen Raum geben, sich auszuprobieren, ohne sich gleich in festeren Selbsthilfestrukturen einbringen zu müssen, wo man sich auch immer gegen „ältere Herren“ behaupten müsse, um die Perspektive der Jungen einzubringen und Dinge zu verändern.
Schwerpunkt Besondere Organe
Nachdem die MV den Antrag des Delegiertenrats auf eine Satzungsänderung, durch die das Gremium zum 1. November 2013 durch besondere Organe ersetzt wird, beschlossen hat, arbeitet der DR in seinen verbleibenden drei Sitzungen schwerpunktmäßig an der Aufgabe, konkrete Vorschläge für die Einrichtung und Besetzung besonderer Organe zu entwickeln. Die Diskussion stand unter der Leitfrage,
- welche Teile des Verbands für welche Aufgaben zuständig sind
- was durch Strukturen wie Fachtage, das Ländertreffen, diverse Facharbeitskreise und Runde Tische abgedeckt ist
- wo es bereits jetzt Defizite gibt bzw. wo durch die Auflösung des Delegiertenrats Defizite bestehen und welche besonderen Organe erforderlich sind, um diese Defizite zu beheben.
Bereits im Juli war der DR zu dem Ergebnis gekommen, dass die Vorbereitung des Haushalts und die Bearbeitung von Mitgliedschafts- und Konfliktfragen in Besonderen Organen verortet werden müssten. In Bezug auf die Vorbereitung des Haushalts bestätigte der DR den Bedarf an einer Haushaltskommission, in die unterschiedliche Perspektiven des Verbands einfließen, sodass der Mitgliederversammlung ein Haushaltsentwurf vorgelegt werden kann, der schon breit diskutiert und weitgehend Konsens ist. In Sachen Mitgliedschaft und Konfliktfragen revidierte der DR sein Ergebnis vom Sommer und kam nun zu dem Schluss, dass Mitgliedsfragen – d.h. in der Regel Anträge auf eine ordentliche Mitgliedschaft – vom Vorstand bearbeitet werden können, sofern keine konflikthafte Situation gegeben ist. Für die Moderation innerverbandlicher Konflikte schlug der DR die Einrichtung einer Schlichtungskommission vor. Zwei Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit Zusammensetzung, Aufgabenstellung und Arbeitsweisen der beiden Kommissionen und legten einen konkreten Vorschlag vor, der im DR bis zur nächsten Sitzung im März kritisch reflektiert und dann in Richtung einer Geschäftsordnung weiterbearbeitet wird.
In einem Brainstorming sammelte der DR folgende weitere Themen, die – wenn auch nicht unbedingt in einem Besonderen Organ – verortet und weiterbearbeitet werden sollen:
- Sicherstellung der Partizipation
- Verbandsidentität: Was ist Grundlage von Aidshilfe-Arbeit? Wie kann eine bundesweit einheitliche Außenwirkung hergestellt werden?
- Positionsfindung
- Erfahrungsaustausch
- Einbeziehung auch externer fachlicher Expertise
- Langfristige Strategieentwicklung im Verband
- Einbeziehung der ehrenamtlichen Leitungsebene
- Weiterentwicklung der Selbsthilfe
- Wertschätzung
- Vorstandsfindung: Wer formuliert Qualitätskriterien bzw. Anforderungen an den Vorstand, auf die es in der jeweiligen Amtsperiode besonders ankommt?
Qualität ist geil!
Unter diesem Titel gab Karl Lemmen, DAH-Referent für Psychosoziales und Qualitätsentwicklung, einen Input zur Qualitätssicherung in Aidshilfe. Hintergrund war die Feststellung des Ausschusses für Mitgliedschaft und Konfliktfragen, dass verbindliche einheitliche Qualitätskriterien fehlen, anhand derer geprüft werden kann, ob Organisationen, die als ordentliche Mitglieder in die DAH aufgenommen werden wollen, den Qualitätsansprüchen des Verbands entsprechen.
Karl Lemmen zeigte am Beispiel der Telefon- und Online-Beratung – zwei bundesweiten Projekten, die sich auf gemeinsame Qualitätsstandards einigten, bevor sie die Arbeit aufnahmen – wie Konzept-, Struktur- und Prozessqualität[3] ineinanderfließen müssen, damit am Ende eine gute Ergebnisqualität herauskommt. In der Frage, was die ureigene Qualität von Aidshilfe ausmacht, sind aus seiner Sicht folgende Faktoren zu nennen: Verantwortung in der Prävention, Akzeptanz von Lebensweisen, Zustimmung zum Konzept der Schadensminimierung, Einbindung von Menschen mit HIV, Selbstbefähigung sowie kein Anspruch auf eine 100%-Prävention um jeden Preis.
In Bezug auf die Aufnahme neuer Mitgliedsorganisationen riet Karl Lemmen dazu, die Hürden nicht zu hoch zu setzen und nicht von vorneherein mit dem Ziel des Ausschließens, sondern des Einbindens unter bestimmten Bedingungen vorzugehen. Die Haltungen, die Aidshilfe ausmachen, sollten ebenso wie die Fähigkeit zur Reflexion in der Organisation präsent sein. Das könne z.B. am Parameter „kontinuierliche Fortbildung von Mitarbeiter(inne)n und/oder Vorständen“ gemessen werden; auch die Beteiligung am Delegiertenrat oder an Facharbeitskreisen zeige, dass die Organisation Interesse an Auseinandersetzung und Weiterentwicklung habe. Abschließend bittet Karl Lemmen den DR, im Verband ein Signal zu setzen und für eine kontinuierliche Fortbildung von Mitarbeiter(inne)n und Vorständen von Aidshilfen zu werben. Zugleich regt er an, in einer AG gemeinsam eine Lösung zur Qualitätssicherung im Verband zu finden, „die eher ein- als ausschließt“.
[1] 1. Neudefinition „Safer Sex Plus“ – Verknüpfung von Primär- und Sekundärprävention
2. Werkzeuge für die Selbsthilfe
3. Arbeitsgruppe Geschichte
4. kollektive Strategien zum Umgang mit Schuld und Verantwortung
5. Kriminalisierung
6. Social Media für die Selbsthilfe
7. HIV im Erwerbsleben
8. Abbau von Diskriminierung im Medizinsystem
9. Versorgung von Menschen mit HIV im Alter und/oder bei Pflegebedarf
10. Dialog zwischen den Generationen
11. Dialog mit Nichtinfizierten stärken
12. HIV und Sport – Abbau von Diskriminierung in Sportvereinen
13. Junge Positive und positive Jugendliche stärken
[2] Lesbisch/schwul/bisexuell/transgender/trans- und intersexuell/queer
[3] Konzeptqualität (bezogen auf Telefon- und Onlineberatung): z.B. Menschen zum Schutz befähigen, Recht auf Selbstbestimmung, Wissen um Grenzen der Prävention
Strukturqualität: Personalauswahl, Räume, Qualifizierung, Erreichbarkeit
Prozessqualität: Koordination der Mitarbeiter/innen, Supervision und Fortbildung, Besetzung und Vertretung