"Fast wie eine Wand"
Die Deutsche AIDS-Hilfe hat Anfang Oktober ein erstes Seminar für HIV-positive hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern veranstaltet. Im folgenden Interview berichtet eine der Teilnehmenden, warum ein solches Angebot nötig ist.
Katja, du hast vor zwei Wochen an dem Seminar „AH plus“ teilgenommen. Wozu braucht es ein solches Seminar, wenn die Aidshilfe sich doch immer als Selbsthilfe-Organisation bezeichnet und sich – wie gerade jetzt wieder in dem Papier „DAH reloaded“ – für die Einbindung von Menschen mit HIV auf allen Ebenen und damit auch im Hauptamt stark macht?
Einer der Teilnehmer hat gesagt, er wartet schon seit 22 Jahren auf dieses Seminar. Ein solches Angebot ist auch immer mal wieder diskutiert, aber eben erst jetzt umgesetzt worden. Ich war zusammen mit einem positiven Kollegen aus unserer mittelgroßen Aidshilfe dort. Für uns war es unheimlich wichtig zu sehen, dass wir mit unseren Erfahrungen nicht alleine sind und es Kolleginnen und Kollegen in anderen Regionen ganz ähnlich geht. Daraus entsteht Vernetzung und hoffentlich auch Veränderung, wobei sich bei uns jetzt schon einiges tut.
Was sind das für Erfahrungen?
Ich habe von Anfang an in unserer Aids-Hilfe vermittelt bekommen, dass meine eigene Infektion draußen zu bleiben hat. Dafür gab es auch keine Begründung. Da ist fast so etwas wie eine Wand im Team. Auch als mein Kollege und ich in der Teamsitzung von dem Seminar berichteten – wir hatten nämlich vereinbart, die Inhalte und Ergebnisse transparent zu machen – hatten wir das Gefühl, die anderen hören sich das zwar an, aber es interessiert sie nicht wirklich. Oder ein anderes Beispiel: Durch die „positiven stimmen“ hören wir ja jetzt viel über die Diskriminierung im Medizinsystem. In unserer Stadt gab es einmal einen Fall, in dem eine Klientin in der Klinik aus meiner Sicht eindeutig HIV-bezogen diskriminiert wurde. Als ich im Team davon berichtete, verdrehte ein ehemaliger Kollege die Augen und meinte, das sei nur individuelles Stigma-Erleben der Klientin; es gebe doch jetzt die Normalisierung, und wer heute noch Probleme mit HIV hat, könne nur nicht vom Alten loslassen. Da stellt man sich dann schon sehr in Frage, und es war für mich in dem Seminar eine Bestätigung, dass die anderen sehr ähnliche Erfahrungen gemacht hatten.
Und wie erklärst du dir die Haltung deiner Kolleginnen und Kollegen?
Ich denke, da gibt es zwei Ebenen. Die eine ist, ganz platt gesagt, dass sich ja jeder Sozialarbeiter von seinen Klienten abgrenzen will. Wenn dann ein Kollege oder eine Kollegin als potentieller Klient betrachtet wird , wird’s schwierig. Die andere hat wohl etwas mit Angst und Konkurrenz zu tun. So etwa ab dem Jahr 2000 gab es ja eine sehr deutliche Professionalisierungstendenz, und auch unsere Aidshilfe hat sich immer stärker als professioneller Dienstleister für Betreutes Wohnen verstanden. Im Betreuungsteam hatten wir mal eine Situation, in der ich besprechen wollte, ob es sinnvoll ist, mich einer Klientin gegenüber zu outen. Da kam dann von einem Kollegen die Bemerkung, ich würde mich dadurch bestechlich machen.
Du meinst, die sogenannte Betroffenenkompetenz wird als unlauterer Wettbewerbsvorteil gesehen?
Vielleicht nicht so krass, aber es geht schon darum, nicht mithalten zu können. Ich bin auch immer diejenige, die nerven und darauf hinweisen muss, welche Themen für Positive gerade anstehen – so wie es in den Thesen zur Zukunft von Aidshilfe heißt: Selbsthilfe ist Korrektiv und Basisverortung der Arbeit. Ich habe diesen Anspruch aber über lange Zeit als Lippenbekenntnis erlebt, wobei es sicher eine Rolle spielt, dass wir 90 Prozent unserer Arbeitszeit mit Menschen verbringen, die neben HIV meist noch einen ganzen Berg anderer Probleme mitbringen. Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sonst keinen Kontakt zur Community haben, gerät es leicht aus dem Blickfeld, dass unsere Klienten nur einen Teil der Menschen mit HIV ausmachen. Dementsprechend haben wir zum Beispiel kein Angebot für HIV-Positive im Erwerbsleben, die Tipps für die Bewerbung brauchen oder sich sehr gezielt und punktuell engagieren wollen.
Was muss sich deiner Meinung nach verändern?
Es wird ja immer viel diskutiert, ob Aidshilfe Selbsthilfe oder professioneller Dienstleister sein muss. Mir kommt es vielmehr darauf an, wie ein konstruktives Miteinander aussehen kann. Ich will ja die Professionalität nicht aufgeben. Es wäre ein erster Schritt, sich einzugestehen, dass man zwar ein tolles Team ist, aber es immer auch Dinge gibt, die nicht so toll sind. Da habe ich mich im Zukunftspapier wiedergefunden: Wir sind in die Normalisierungsfalle getreten und haben übersehen, was noch nicht normal ist. Es ist wichtig, anzuerkennen, dass es Unterschiede zwischen Positiven und Negativen gibt, und es ist wichtig, dass unsere Expertise wieder als Wert gesehen wird. Im Seminar sind wir immer wieder um das Wort Betroffenenkompetenz gekreist. Aus unserer Sicht ist das aber ein Unwort, und ich würde mich freuen, wenn wir beim nächsten Treffen eine andere Definition für diese spezifischen Kompetenzen, die wir mitbringen, finden.
Wann findet denn das nächste Treffen statt?
Am 22.-24 Februar in Weimar, und es ist natürlich auch für neue Leute und für HIV-positive Vorstände offen. Ich würde gerne ein bisschen Werbung für das Seminar machen, denn es ist einfach ein sehr gut konzipiertes Angebot. Wir haben beim ersten Treffen ganz viele weitere Fragen angesprochen – von der Rolle, die wir als hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenüber der Selbsthilfe haben, dem Umgang des Teams mit eigenen Krankheitsausfällen bis hin zu ganz praktischen Dingen wie Betriebsvereinbarungen und den Möglichkeiten des Minderleistungsausgleichs. Wir sind bei vielen Fragen zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine einfachen Lösungen gibt, aber es wird sich nur etwas verändern, wenn wir uns stärker vernetzen.