Neues vom Delegiertenrat

In der dritten Sitzung der laufenden Amtsperiode am 13. bis 15. Juli stand dessen eigene Zukunft im Vordergrund. Konkret ging es um die Frage, wie eine Satzungsänderung zu seiner Ablösung durch andere Verbandsorgane aussehen kann, die die im Delegiertenrat angesiedelte Aufgaben schneller und effizienter bearbeiten können und eine größere Partizipation erreichen sollen. Weitere Themen waren u.a. das 30-jährige Jubiläum und der Haushalt 2013. Den besonderen Blick möchten wir hier auf die beiden auf der MV zu beschließenden Satzungsänderungen lenken, mit denen wesentliche Veränderungen in der Struktur und Zusammenarbeit im Verband eingeleitet werden. Hier die wesentlichen Inhalte und Ergebnisse im Überblick:

Berichte im Delegiertenrat

Weiterentwicklung der „ICH WEISS WAS ICH TU“-Kampagne

Aus der Sorge, dass die bundesweite MSM-Kampagne nach ihrem großen Anfangsimpuls in der zweiten Laufzeit verflachen könnte, will der Vorstand im September zu einem Verbandstag einladen, bei dem auch gerade die kritischen Stimmen zu Wort kommen sollen. Aus der Sicht einzelner DR-Mitglieder hat ICH WEISS WAS ICH TU einige strukturelle Schwächen. So zeige sich zum einen immer wieder, dass in den großen Flächen außerhalb der Ballungsräume eine Unterstützung in der regionalen Koordination fehlt; zum anderen entstehe der Eindruck, dass die diversen Partizipationszirkel nur in beschränktem Maß Nachhall finden. Ein Kritikpunkt bleibt außerdem, dass viele der Materialien eher die ohnehin schon selbstbewussten Großstadt-Schwulen als versteckt lebende MSM ohne schwule Identität auf dem Land ansprechen.

Zukunft der Selbsthilfe

Das Geschäftsführertreffen der niedersächsischen Aidshilfen hatte die HIV-Referentin Heike Gronski zur Diskussion der Zukunftsthese zum Thema Selbsthilfe eingeladen und um einen Input gebeten. Dabei zeigte sich, dass die Vorstellung einer stärkeren Einbeziehung von Menschen mit HIV/Aids (GIPA) in den überwiegend kleinen Aidshilfen in dem Flächenland nicht mit der realen Situation übereinstimmt, weil die HIV-Positiven nur noch als Klient(inn)en kommen und kein Interesse an der Mitgestaltung und –verantwortung der Arbeit haben. Die Frage, wie ein für den Verband als so wesentlich betrachtetes Prinzip auch für die kleinen Aidshilfen – wieder – zum Tragen gebracht werden kann, beantwortet Klaus Stehling für Hessen: Hier hat sich – auch auf einen Impuls von Heike Gronski hin – eine AG Positiv gegründet, die Partizipation als Merkmal von Qualitätssicherung begreift und gemeinsam überlegen will, wie die Angebote von Aidshilfe so verändert werden können, dass die sehr unterschiedlichen Potenziale und Ressourcen von Menschen mit HIV, die den Anspruch der Beteiligung wahrnehmen wollen, den passenden Rahmen finden und die Qualität der Arbeit verbessern.

Projektförderung durch Lotteriegelder

In Freiburg wird das auf drei Jahre angelegte und seit dem 1. Juli laufende Projekt „Be Man“ zum Thema Männergesundheit, das sich besonders auch an bisexuelle Männer richtet, von der Fernsehlotterie „Ein Platz an der Sonne“ gefördert. Auch in Thüringen fließen Lottogelder u.a. in die MSM-Prävention. Die AIDS-Hilfe Sachsen-Anhalt Nord finanziert drei Stellen über die Aktion Mensch, die wiederum in NRW diverse betreute Wohnprojekte oder auch die Tierpension in Bielefeld unterstützt. Allerdings brauchen Anträge an die Aktion Mensch nach Ulf Hentschke-Kristals Erfahrung einen langen Atem: Ein Beratungsmobil für den Straßenstrich wartet nach der positiven Vorbewertung durch den Paritätischen nun im zweiten Jahr auf die Bewilligung Die Investitionsförderung für die Tierpension durch die Aktion Mensch musste aufgrund der langen Bewilligungsdauer zwischenfinanziert werden. Hilfreich bei der Beantragung ist das spezielle Beratungsangebot des Paritätischen.

Photo Voice

Das Netzwerk AfroLeben+ hat die Methode „Photo Voice“ für sich entdeckt, bei der Menschen über ein Foto ihre Geschichte erzählen, in diesem Fall ihre Erfahrungen vom Leben mit einer anderen Hautfarbe und HIV in Deutschland. Dabei zeugen die Bilder nicht nur von Diskriminierung, sondern auch von Momenten, die Kraft gegeben haben. Das Netzwerk plant, aus dem Projekt eine Ausstellung zu machen, die bundesweit gezeigt werden soll.

Mietshäusersyndikat in Tübingen

Vor dem Hintergrund der verschärften Situation auf dem Wohnungsmarkt will die AIDS-Hilfe Tübingen zusammen mit anderen sozialen Vereinen und Privatleuten eine Immobilie in Selbstverwaltung erwerben. Ziel ist der Erhalt von bezahlbarem Wohnraum und ein selbstverwaltetes Leben in der Häusergemeinschaft.

Schwerpunkt Reflexion

Der zweite Sitzungstag stand ganz im Zeichen des Reflexionsprozesses, der – begleitet von einem externen Moderator – nun zu einem Abschluss gebracht werden sollte. Diskussionsgrundlage war ein von Jacob Hösl und dem Ausschuss Geschäftsordnung/Satzung entwickelter Vorschlag für eine Satzungsänderung, die vorsieht, den Delegiertenrat durch besondere Verbandsorgane zu ersetzen, die von der Mitgliederversammlung be- und abberufen werden. Dabei sollen die betreffenden Paragraphen in der Satzung möglichst offen gehalten werden, um die Aufgaben und Zusammensetzung sowie die Amtszeit und sonstige formale Fragen dem jeweiligen Bedarf anpassen und sehr flexibel gestalten zu können. Ziel ist es, Aufgaben nicht nur schneller und effizienter bearbeiten zu können, sondern auch eine größere Partizipation zu gewährleisten.

In der Diskussion entschied sich der Delegiertenrat deshalb dafür, den Vorschlag zur Satzungsänderung um die Maßgabe zu erweitern, dass bei der Einrichtung der besonderen Organe die Strukturen des Verbands – das heißt z.B. auch die Netzwerke und sonstigen Organisationsformen der Selbsthilfe - in angemessener Weise berücksichtigt werden sollen. Zur Debatte stand in diesem Zusammenhang auch, ob der Perspektive des Ehrenamts durch eine Quotenregelung mehr Gewicht als der des Hauptamts eingeräumt werden soll. Der Delegiertenrat sprach sich hier schließlich gegen eine Festlegung in der Satzung aus, um die Möglichkeit einer Zusammensetzung der besonderen Organe, die der jeweiligen Aufgabe am besten gerecht wird, nicht zu beschränken.

Die Auflösung des Delegiertenrats hätte zur Folge, dass der MV wieder sehr viel mehr Verantwortung zufallen würde – unter anderem die der Beaufsichtigung des Vorstands. Gleichzeitig fiele die Übernahme der Reise- und Übernachtungskosten für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die bisher Mitglieder des Delegiertenrats waren, weg. Um zu erreichen, dass der Verband sich zukünftig möglichst breit an seinem obersten Gremium beteiligt, wird überlegt, die MV mit einem vorgeschalteten, über die BZgA finanzierten Fachtag zu verknüpfen. Dieser soll nicht nur den Anreiz zur Teilnahme an der MV erhöhen, sondern auch die Erstattung von Reisekosten ermöglichen, damit gerade kleine Aidshilfen nicht aus Kostengründen darauf verzichten müssen, an Entscheidungen mitzuwirken. Auch die Wahl eines zentralen Veranstaltungsorts würde eine größere Rolle spielen.

Mit Blick auf die Frage, welche Inhalte und Aufgaben den besonderen Organen zufielen und nicht bereits von anderen Strukturen bearbeitet werden, warf der Delegiertenrat einen Blick auf eine „Landkarte“ der vielen diversen Arbeitsgruppen und Veranstaltungen, die einerseits der bundesweiten Vernetzung und dem fachlichen Austausch dienen, andererseits aber auch Impulse für verbandliche Entscheidungen liefern. Sie reichen von den Positiven- und Netzwerketreffen über die Arbeitsgruppen Haft, Migration, Qualität im HIV Test oder den Facharbeitskreis Schwule Prävention bis zu den Treffen der Landesgeschäftsführer, der Landesvorstände oder den G6. Dazu kommen Fachtage oder Runde Tische wie der zum Thema Kriminalisierung. Angesichts dieser Vielfalt wurde ein konkreter Bedarf für besondere Organe zunächst vor allem für die Vorbereitung des Haushalts und Mitgliedschafts- und Konfliktfragen gesehen.

Der Delegiertenrat stimmte dem ergänzten Vorschlag für einen Antrag auf Satzungsänderung einstimmig zu. Dieser wird nun ausführlich begründet mit der Einladung zur MV verschickt. Wenn die MV am 13./14. Oktober die Satzungsänderung beschließt, wird der Delegiertenrat zum Ende der laufenden Amtszeit im Oktober 2013 aufgelöst. Die bis dahin verbleibende Zeit will er für Vorschläge zur Gestaltung der besonderen Organe nutzen. Als Herausforderung sieht er es, nicht nur deren, sondern auch die Arbeit aller Gruppen auf der Landkarte transparent und überprüfbar zu machen, wobei er große Erwartungen in die Einführung des Intranets setzt.

30 Jahre Deutsche AIDS-Hilfe

Am Sonntag zu Gast war DAH-Pressereferent Holger Wicht, der die bisherigen Überlegungen für das 30-jährige Jubiläum im nächsten Jahr vorstellte – „eine Chance, an die Öffentlichkeit zu bringen, wofür wir jetzt und in der Zukunft stehen. Geplant ist gleich ein ganzes Maßnahmenpaket, in dem aidshilfe.de und social media eine große Rolle spielen werden; dazu gehört aber auch ein Printmedium, unterschiedliche bundesweite Veranstaltungsformen (z.B. denkbar unter dem Motto „30 Jahre – 30 Veranstaltungen – 30 Städte“) und nicht zuletzt ein Empfang im Herbst als zentrales Event, das mit der MV in Berlin verknüpft werden soll. Um ihre theoretischen Grundlagen lebensnah zu vermitteln, wird die DAH ganz auf das Instrument der Personalisierung setzen und Geschichten von Menschen erzählen – z.B. von dem frisch getesteten jungen Mann, dem die Aidshilfe einen Buddy an die Seite gestellt hat, oder von der Drogengebraucherin, die berichtet, was der Konsumraum für sie bedeutet.

Im DR fand diese Richtung große Zustimmung. Einhellige Meinung war, dass die Würdigung des Erreichten und verdienter Personen ihren Platz haben muss, aber nicht im Vordergrund stehen soll; vor allem müsse es darum gehen, das breite Spektrum der Arbeit und die Kompetenzen abzubilden, mit denen die DAH sich weiterhin als der Akteur in der strukturellen Prävention behaupten kann. Definitiv nicht gewünscht wird ein weiterer Empfang mit „Angela“.

Beschlüsse

Satzungsänderungsvorschlag zur Abschaffung des „Dreiklassenwahlrechts

Der Delegiertenrat stimmt mit zwei Enthaltungen der Beschlussvorlage des Ausschusses Geschäftsordnung/Satzung zu, auf der nächsten Mitgliederversammlung eine Entscheidung über die Frage herbeizuführen, ob es bei der bisherigen Regelung der von der Beitragshöhe abhängigen unterschiedlich hohen Stimmzahl für ordentliche Mitglieder bleiben soll. Auf der MV in Kamen wird der DR beantragen, die Satzung in § 10 Absatz 7 wie folgt zu ändern:

„Ordentliche Mitglieder haben eine Stimme.“ Hintergrund ist, dass die von einigen Seiten als undemokratisch und nicht zeitgemäß kritisierte Regelung immer wieder im Verband thematisiert wird, jedoch ohne abschließendes Ergebnis. Der Delegiertenrat gibt zu dem Antrag explizit keine Empfehlung ab. Er dient dazu, dass die Mitgliedsorganisationen abschließend darüber entscheiden können, wie die Stimmrechtsverteilung zukünftig aussehen soll.

Haushalt 2013

Der Delegiertenrat schließt sich einstimmig dem Votum der Haushaltskommission an, der MV den vorgelegten Haushaltsentwurf für 2013 zur Verabschiedung zu empfehlen. Dieser sieht zwar eine Überschreitung des zulässigen Vermögensverbrauchs (170.000 €) um 20.000 € vor, die für den auf die Zukunftssicherung ausgerichteten Empfang zum 30-jährigen Jubiläum verwendet werden sollen. Da jedoch nicht nur der Haushalt 2011 wesentlich günstiger als geplant abgeschlossen werden konnte und der zulässige Vermögensverbrauch nach den jetzigen Prognosen auch im laufenden Haushalt um rund 25.000 € unterschritten wird, sollen die freien Mittel aus 2012 für den Empfang zur Verfügung stehen.

Neue Brandenburger Landesdelegierte

In der März-Sitzung hatte der DR die Aufnahme des in Potsdam ansässigen Vereins katte e.V. unter dem Vorbehalt beschlossen, dass die Kooperationsvereinbarung zwischen der AIDS-Hilfe Potsdam und katte e.V. um eine Regelung zur Abstimmung neuer Vorhaben ergänzt wird. Diese Bedingung war kurz vor der Juli-Sitzung erfüllt, sodass katte e.V. in den Kreis der ordentlichen Mitglieder aufgenommen werden konnte und die Wahl der neuen Brandenburger Landesdelegierten Ilse Park wirksam wurde. Nach der Prüfung durch den Ausschuss Mitgliedschaft/Konfliktfragen erkannte der DR die Wahl einstimmig an.

Mannheim/Ludwigshafen

Nach dem Aidshilfe Arbeitskreis Ludwigshafen hat nun auch die psychologische Lesben- und Schwulenberatung Rhein-Neckar (PLUS e.V.), die mit ihrem Projekt KOSI.MA HIV- und STI-Präventionsarbeit leistet, einen Aufnahmeantrag an die DAH gestellt. Beide Organisationen hatten bereits einen Kooperationsvertrag unterzeichnet, der auf Anregung des Ausschusses für Mitgliedschaft/Konfliktfragen überarbeitet wurde und im Entwurf vorliegt. Nach der Unterzeichnung des überarbeiteten Vertrags werden beide Vereine als ordentliche Mitglieder in die DAH aufgenommen.