Das Schwule Netzwerk NRW zeichnet in diesem Jahr das Nachrichtenmagazin „SPIEGEL“ mit der Kompassnadel für Verdienste um die „Förderung der gesellschaftlichen Akzeptanz der schwulen Minderheit“ aus.
Zur Begründung heißt es in einer Pressemitteilung des Netzwerks: „Der SPIEGEL begann bereits früh in seiner Geschichte mit einer – der jeweiligen Zeit entsprechenden – menschenbejahenden Berichterstattung zu Homosexualität. Seit vielen Jahrzehnten prägt er den gesellschaftlichen und politischen Diskurs zum Umgang mit homosexuellen Menschen maßgeblich mit.“
Die Deutsche AIDS-Hilfe hat die Nachricht von der Auszeichnung mit Entsetzen zur Kenntnis genommen und erinnert an die unsägliche Berichterstattung des „SPIEGEL“ zu Zeiten des Höhepunktes der Aids-Krise, womit der Grundstein für die Stigmatisierung der Menschen mit HIV gelegt wurde. Betroffene haben bis heute unter den Folgen dieser Skandalisierung zu leiden.
Die Artikel von SPIEGEL-Autor Hans Halter sind für ihre Schärfe und an die Grenze der Hetze reichende Tendenz berüchtigt. Halter zeichnete in regelmäßigen Abständen das Bild vom promisken Schwulen, der ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit seiner Triebbefriedigung nachkommt und so zur Bedrohung für die Gesellschaft wird. Die von der Bundesregierung geführte Lernstrategie der Aufklärung und Information stand im Zentrum seiner Kritik, und Vertreter_innen dieses Präventionskonzeptes wurden diskreditiert.
Der „SPIEGEL“ befeuerte damit die Forderungen nach einer repressiven Aids-Politik, die ganz in der Manier einer „Bundesseuchenpolizei“ auf die Ausschaltung von möglichen Infektionsquellen gerichtet war. Dadurch wurden übelste Ressentiments gegen schwule Männer befördert.
Der Deutschen AIDS-Hilfe will sich nicht erschließen, warum der „SPIEGEL“ ausgerechnet mit dem Akzeptanzpreis eines Schwulenverbandes ausgezeichnet werden soll, zumal eine Entschuldigung oder ein Bedauern der Verantwortlichen bis heute aussteht. Vielmehr wird die Intention des Preises ad absurdum geführt.
Die Deutsche AIDS-Hilfe distanziert sich von der Auszeichnung an den „SPIEGEL“ und wird die Preisverleihung im Juli im Kölner Gürzenich in keinster Weise unterstützen. Unser Verband hat seinen Platz an der Seite der „Aids-Veteranen“, für die diese Auszeichnung ein Schlag ins Gesicht ist. Sofern das Schwule Netzwerk NRW glaubt, mit der Preisverleihung beim „SPIEGEL“ einen
Lernprozess initiieren oder begleiten zu können, halten wir das für keine geeignete Maßnahme einer glaubhaften Aufarbeitung, weil der Wille dazu allein vom „SPIEGEL“ ausgehen muss. Das Nachrichtenmagazin hat hier eine Bringschuld, die bis heute nicht erfüllt ist. Stattdessen droht mit der Kompassnadel-Auszeichnung ein geschichtsblindes „Schwamm drüber“!
Die Deutsche AIDS-Hilfe begeht in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Wir blicken dabei nicht nur zurück auf unseren Kampf gegen Aids, sondern auch auf gesellschaftliche Verhältnisse, die mit ihrer Diskriminierung und Stigmatisierung die HIV-Epidemie begünstigt haben. Die Berichterstattung des „SPIEGEL“ ist ein wichtiger Teil dieser traurigen Geschichte. Wir werden uns
nicht daran beteiligen, das vergessen zu machen!