Deutsche AIDS-Hilfe: Kriminalisierung der HIV-Übertragung gemeinsam überwinden!
Eine internationale Fachtagung in Berlin widmet sich am morgigen Donnerstag im Roten Rathaus in Berlin der Strafbarkeit der (potenziellen) HIV-Übertragung.
Namhafte Aktivisten und andere Experten – unter anderem von der HIV/Aids-Organisation der Vereinten Nationen UNAIDS – werden sich über die derzeitige rechtliche Situation in Europa und Zentralasien austauschen, sich miteinander vernetzen und Wege zu einem rationalen und gerechten Umgang mit dem Thema ausloten.
Die Fachwelt ist sich einig: Die Kriminalisierung der unabsichtlichen Übertragung von HIV sowie von sexuellem Verhalten, bei dem HIV übertragen werden könnte, trägt zur Verbreitung von HIV bei. Auch wo Menschen mit HIV gesetzlich verpflichtet sind, ihren HIV-Status vor sexuellen Begegnungen offenzulegen, hilft dies nicht, Infektionen zu verhindern, sondern schadet der HIV-Prävention.
Dazu sagt Carsten Schatz, Mitglied im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe:
„Die Strafbarkeit konterkariert die erfolgreiche Botschaft der Prävention in Deutschland: Jeder muss für seinen Schutz vor HIV selbst Verantwortung übernehmen! Die Täter-Opfer-Logik des Strafrechts passt nicht zu selbstbestimmten sexuellen Begegnungen. Menschen mit HIV einseitig die gesamte Verantwortung zuzuschieben, trägt zu ihrer Stigmatisierung bei. Durch die gängige Rechtsprechung sowie die Medienberichterstattung zu Gerichtsprozessen werden sie zu potenziellen Straftätern gestempelt. Die Kriminalisierung führt zu Angst und sabotiert damit genau das, was sie herbeiführen soll: offene Kommunikation über den Schutz vor HIV. Zudem kann sie Menschen davon abhalten, einen HIV-Test zu machen – ein fataler Effekt! Wer das Ziel hat, dass möglichst wenige Menschen sich mit HIV infizieren, muss sich dafür einsetzen, dass das Strafrecht bei diesem Thema außen vor bleibt!“
Immer wieder werden auch Menschen angeklagt und teilweise sogar bestraft, obwohl kein Risiko einer HIV-Übertragung bestanden hat. Gut funktionierende HIV-Therapien schützen mindestens so zuverlässig vor einer HIV-Übertragung wie Kondome. Diese wissenschaftliche Tatsache wird auch von deutschen Gerichten noch nicht zuverlässig anerkannt. In Deutschland sind Menschen mit HIV nach gängiger Rechtsprechung verpflichtet, für den Schutz des Partners Sorge zu tragen oder ihn über ihre Infektion zu informieren.
Europa ist nach Nord-Amerika die Region mit den meisten Verurteilungen. In den letzten Jahren haben einige Länder wie Dänemark, Norwegen und die Schweiz begonnen, ihrer Gesetzgebung zu revidieren.
„Das sind ermutigende Signale!“, sagt Tagungsleiter Edwin Bernard, Koordinator des internationalen HIV Justice Network und Mitglied der European AIDS Treatment Group. „Große Sorgen machen uns hingegen Länder wie Rumänien, das im letzten Jahr ein HIV-spezifisches Strafgesetz neu erlassen hat, oder Belgien, wo Präzedenzfälle geschaffen wurden. Auch aus Österreich erreichen uns immer wieder Nachrichten über absurde und problematische Verfahren und Urteile. Die Konferenz soll dazu beitragen, dass wir auch in besonders repressiven Ländern voran kommen.“
Die Tagung findet anlässlich des 20-jährigen Bestehens der European AIDS-Treatment Group (EATG) statt, Koveranstalter sind die International Planned Parenthood Federation (IPPF), die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) sowie HIV in Europe, eine Vereinigung von europäischen HIV/Aids-Organisationen.
Tagungssprache ist Englisch. Medienvertreter können an allen drei Plenarveranstaltungen und nachmittags am Workshop 2 teilnehmen, der sich mit der rechtlichen Situation in Deutschland, Österreich und der Schweiz befasst. Dieser Workshop wird auf Deutsch stattfinden.
Beitrag über Kriminalisierung von Menschen mit HIV in Schweden (DAH-Blog)
Dossier zur Kriminalisierung (u.a. Interviews mit Klägern, Beklagten und Experten)