Keine „homosexuelle Propaganda“ in St. Petersburg, kein Methadon in Russland
Mit der zweiten und voraussichtlich auch letzten Lesung soll heute vom St. Petersburger Stadtparlament das umstrittene Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“ verabschiedet werden. Nach internationalen Protesten schien das Vorhaben nach der ersten Lesung im November 2011 vom Tisch.
Mit diesem zweiten Anlauf sollen nach Auskunft der russischen Homosexuellenorganisation „Coming out“ nun doch noch Tatsachen geschaffen werden, wie bereits in den russischen Regionen Rjasan und Archangelsk geschehen. In Kostroma und Moskau sind ähnliche Gesetze ebenfalls in Vorbereitung.
Mit dem Gesetz sollen „öffentliche Aktivitäten“ unter hohe Strafen gestellt werden, die in Gegenwart von Jugendlichen „Sodomie, Lesbianismus, Bisexualismus, Transsexualität und Pädophilie“ positiv darstellen. Nach Einschätzung verschiedener Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International wird damit die Aufklärung über Homosexualität verhindert.
Weder könnte zu öffentlichen Veranstaltungen aufgerufen noch für Beratungsarbeit geworben werden, ganz zu schweigen von Demonstrationen für die Gleichstellung und Antidiskriminierungsgesetze oder lesbisch-schwulen Kulturfestivals. Auch eine HIV-Prävention für Männer, die Sex mit Männern haben, scheint unter diesen Voraussetzungen extrem erschwert, wenn nicht gar unmöglich.
„Diese Gesetzesvorlage ist ein kaum verhüllter Versuch, Diskriminierung gegen Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle (LGBT) in Russlands zweitgrößter Stadt zu legalisieren,“ erklärt Nicola Duckworth, Programm-Direktorin für Europa und Zentralasien bei Amnesty International.
Für den Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) würde mit dem Gesetz die Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Schwule und Lesben drastisch eingeschränkt. Selbst das Tragen eines Regenbogenpins oder das öffentliche Händehalten zweier Männer oder Frauen könnte nach Befürchtungen einiger russischer Aktivisten Strafe nach sich ziehen.
„Mit der Verabschiedung des vorgelegten Gesetzes stellt sich Russland außerhalb des geltenden menschenrechtlichen Konsenses der Vereinten Nationen“, sagte Beck. Er habe in einem Fax Außenminister Guido Westerwelle (FDP) aufgefordert, die diplomatischen Anstrengungen zu erhöhen und zügig den Kontakt zu intensivieren.
Informationen über Methadon werden staatlich zensiert
Die HIV-Präventionsarbeit wird in Russland derzeit akut auch an anderer Seite behindert. Die Föderale Drogenaufsichtsbehörde FSKN hat vergangene Woche die Internetseite der Andrey Rylkov Foundation, einer Organisation für Gesundheit und soziale Gerechtigkeit, sperren lassen.
Der Vorwurf: Die Foundation werbe für Drogen und verbreite Informationen über deren Handel, Vertrieb und Gebrauch. Stein des Anstoßes sind die auf der Webseite zusammengestellten Informationen zu Methadon und dessen Einsatz zur Verringerung des HIV-Risikos. Während die Heroinersatzdroge von der Weltgesundheitsorganisation WHO als Medikament anerkannt erkannt ist, gilt sie in Russland weiterhin als illegal.
Internationale Gesundheits- und Menschenrechtsorganisationen, darunter Harm Reduction International, Article 19 und Human Rights Wath haben die Entscheidung der russischen Regierung kritisiert.
Russland gilt weltweit als das Land mit den meisten intravenösen Drogengebrauchern und hat derzeit im internationalen Vergleich eine enorm anwachsende HIV-Neuinfektionsrate. Aktuell leben in Russland schätzungsweise rund 980.000 Menschen mit HIV. Nach Angaben der Andrew Rylkov Foundation sind in manchen Regionen 80 Prozent der Ansteckungen auf unsauberes Spritzbesteck zurückzuführen.
Nähere Informationen über die Andrew Rylkov Foundation sind auf der – nicht abgeschalteten – englischsprachigen Internetseite der Organisation zu erhalten.
(sho)
Weiterführende Informationen:
Sergiu Grimalschi, DAH-Referent für Internationales, über die Hintergründe der St. Petersburger Gesetzesinitiative
Amnesty International über die anti-homosexuellen Gesetze in der Russischen Föderation
Human Rights Watch zur Abschaltung der Andrew-Rylkov-Foundation-Webseite
Beitrag "Die Situation ist schwierig, doch der Staat schweigt" auf aidshilfe.de