Nach Wien
Über 20.000 Fachleute und Aktivisten waren auf der Welt-Aids-Konferenz in Wien, die am 23. Juli zu Ende geht. Was hat der Massenauflauf gebracht? Ein Interview mit DAH-Geschäftsführerin Silke Klumb.
Frau Klumb, anlässlich der Welt-Aids-Konferenz in Wien sind Tausende auf die Straße gegangen und haben für die Einhaltung der Menschenrechte demonstriert – was haben die mit HIV und Aids zu tun?
Da müssen wir nur mal über unseren Tellerrand hinausblicken: In vielen Ländern gelten viele Menschen noch immer als Personen zweiter Klasse. Sie haben keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem. Nur ein paar Beispiele: Solange Länder wie Russland Substitution und Spritzentausch für illegal erklären, solange allein in den Regionen Osteuropa und Zentralasien Drogengebraucher/innen keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben, solange in 80 Ländern der Welt Homosexualität strafbar ist, verschenken wir große Präventionsmöglichkeiten in Sachen HIV, Aids und Hepatitis C. Hier wäre kostengünstige Hilfe einfach möglich, wenn der politische Wille dies nicht verhindern würde.
Welche Botschaft geht von Wien aus an die Regierungen der Welt?
Deutliche Signale gehen insbesondere nach Osteuropa: Die Regierungen müssen Verantwortung übernehmen im Kampf gegen HIV und Aids. Test und Therapieangebote müssen weltweit für alle gegeben sein, damit jeder frühzeitig von seiner HIV-Infektion erfahren und rechtzeitig mit einer HIV-Therapie beginnen kann. Und sie müssen gegen Diskriminierung und Stigmatisierung ankämpfen: Die Ausgrenzung betrifft Menschen, die mit HIV leben, genauso wie jene, die besonders von HIV und Aids betroffen sind.
Was bringt eine Massenveranstaltung wie der Welt-Aids-Kongress den 10,2 Millionen Menschen, die derzeit vergeblich auf eine HIV-Therapie warten?
Es ist immer umstritten, ob man soviel Geld in eine Konferenz stecken soll, ob es nicht besser in Therapien angelegt wäre. Aber der Austausch ist wichtig, für Forschende und Mediziner/innen genauso wie für Regierungsvertreter/innen, für Sozialwissenschaftler/innen wie für Menschen, die mit HIV leben. Und man darf nicht unterschätzen, dass so eine Versammlung Druck aufbauen kann auf jene Regierungen, die überhaupt keine Verantwortung für die HIV-Prävention übernehmen. Bei aller Kritik an dem Aufwand, der in Wien betrieben wurde, hoffen wir schon, dass letztendlich auch die Menschen profitieren, um die es schließlich geht: alle, die keine Versorgung bekommen, aber auch all jene, die verfolgt und ausgegrenzt werden.
Was steht für die Deutsche AIDS-Hilfe nach Wien im Vordergrund?
Die DAH wird sich noch stärker als bisher für die Rechte von Menschen mit HIV in allen Lebensbereichen einsetzen und dafür europaweit nach Partnern suchen, um gemeinsam Strategien und Perspektiven weiterzuentwickeln. Denn auch in Europa verhindert die Kriminalisierung von HIV-Übertragungen den Zugang zu Testangeboten. Wir wollen in der nächsten Zeit noch viel mehr niedrigschwellige Testangebote schaffen und Menschen einladen, sich testen zu lassen. Es lohnt sich, den eigenen Status zu kennen und rechtzeitig mit einer Therapie zu beginnen!
Und was hat Ihnen persönlich am besten gefallen?
Besonders beeindruckt haben mich die vielen jungen Leute, die hier auch auf der Konferenz sehr präsent waren und Verantwortung übernehmen – egal ob sie HIV-positiv sind oder nicht. In Deutschland fragen wir uns ja manchmal: Wo ist unser Nachwuchs? Hier konnten wir ihn sehen! Hier ist Engagement, hier ist Aktivismus – gerade auch von jungen Leuten.