„Positive Begegnungen“: Rechtsexperten bemängeln Wissensstand der Justiz
In einem Workshop zum Thema „HIV und Kriminalisierung“ haben sich heute HIV-Positive, Selbsthilfevertreter und Rechtsexperten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Bielefeld über die aktuelle Rechtsprechung zum Sex zwischen HIV-Positiven und Nichtinfizierten ausgetauscht. Die Rechtsexperten bemängelten, dass Justiz und Strafverfolgungsbehörden viel zu wenig über das heutige Leben mit HIV wüssten und in den Prozessen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse nicht ausreichend berücksichtigt würden. Diese Instanzen, so die Workshopteilnehmer, müssten sich daher besser informieren und Gutachter einbeziehen, die auf dem Laufenden sind.
Der Kölner Rechtsanwalt Jacob Hösl unterstützte die Forderung der Teilnehmer, die Rechtsprechung müsse auch die „EKAF-Erkenntnisse konsequenter berücksichtigen“ (siehe DAH-Papier "HIV-Therapie und Prävention"). Gemeinsam mit der österreichischen HIV-Expertin Wiltrut Stefanek - Vorsitzende eines Selbsthilfevereins in Wien - betonte Hösl, dringend notwendig seien Gesetzesnovellierungen. Einen ersten Schritt in diese Richtung habe die österreichische Justizministerin getan: Sie habe ihre Staatsanwaltschaften angewiesen, HIV-Positive nicht mehr zu verurteilen, wenn sie Safer Sex praktizieren. Bisher wurde in Österreich sogar Sex mit Kondom wegen des Restrisikos (z. B. Reißen des Kondoms) als Tatbestand der „potenziellen Gefährdung“ eingestuft. Bestraft wurde man auch dann, wenn es bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen in der Partnerschaft zu einer HIV-Infektion kam. Eine ähnliche diskriminierende Rechtssprechung wurde aus der Schweiz berichtet, wo es neben einem Paragrafen zur Körperverletzung auch einen „zum Schutz der Volksgesundheit“ gibt. Diese Gesetze wende man bisher sehr restriktiv an: Bestraft werde immer nur der oder die Positive, auch wenn sich beide Partner auf ungeschützten Sex geeinigt hatten.
Insgesamt wisse man zu wenig über die Strafverfahren, sagten die Rechtsexperten, und die Verfahren seien auch nicht transparent. So werde in Deutschland keine Statistik zu Verurteilungen im Zusammenhang mit HIV geführt. Rechtsanwalt Hösl sind 27 Verurteilungen und zwei Freisprüche aus Deutschland bekannt.
Die Workshop-Teilnehmer forderten abschließend, die HIV-Negativen mit einzubeziehen, wenn es in der Urteilsfindung um Verantwortung gehe, und die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse endlich zur Grundlage politischen Handelns zu machen. Studien z. B. aus den USA und Kanada hätten längst eindrucksvoll belegt, dass die strafrechtliche Verfolgung als Instrument der HIV-Prävention nicht taugt. Die Aidshilfen in Österreich forderte man auf, zum Thema „HIV und Kriminalisierung“ öffentlich Position zu beziehen und hier nicht länger den Kopf in den Sand zu stecken.
(joli/Ch)