Welt-Aids-Konferenz zeigt Lücken und Gefahren
Deutsche Aidshilfe zieht Bilanz: Es fehlen Geld und politischer Wille. Dringender Handlungsbedarf in Deutschland: Der Bund muss die Versorgung von Menschen ohne Papiere oder Krankenversicherung sicherstellen, Länder und Kommunen müssen die Drogenhilfe stärken.
In München geht heute die 25. Internationale Aids-Konferenz AIDS 2024 zu Ende. Deutlich wurden einerseits Erfolge und Chancen bei den weltweiten Maßnahmen gegen HIV, andererseits große Herausforderungen für die nächsten Jahre. Im Vordergrund steht am Ende vor allem die Sorge um die weitere Entwicklung. Winfried Holz vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH) zieht Bilanz:
„Die Situation steht auf der Kippe. So deutlich wie nie zuvor hat diese Konferenz gezeigt: Die Welt verfügt über hoch wirksame Mittel, aber die Finanzierung von Maßnahmen gegen HIV/Aids ist global unzureichend, in vielen Ländern fehlt zudem der politische Wille zu Prävention für die besonders stark betroffenen Gruppen. Die wichtigste Lehre aus München: Wir dürfen die Erfolge der letzten Jahrzehnte nicht aufs Spiel setzen und müssen die bereits vorhandenen Möglichkeiten endlich allen Menschen zugänglich machen.“
Die weltweit verfügbaren Mittel gegen HIV/Aids sind seit 2020 nach Informationen von UNAIDS um knapp 8 Prozent zurückgegangen. Die verfügbare Summe ist weit entfernt von den 29,3 Milliarden Dollar, die 2025 für weniger zahlungskräftige Länder benötigt würden.
Ein Medikament wie ein Sinnbild
Wie ein Sinnbild für die globale Diskrepanz zwischen Können und Tun erscheinen die Diskussionen über das neuartige HIV-Medikament Lenacapavir der Firma Gilead: Es schützt laut einer ersten Studie zuverlässig vor einer HIV-Infektion und muss nur zweimal jährlich injiziert werden – gerade in benachteiligten Gruppen mit hohem HIV-Risiko könnte es viele Infektionen verhindern.
Dies gilt insbesondere für Frauen, die diese Studie, anders als sonst so oft, als erstes in den Blick nahm. Im südlichen Afrika entfallen 62 Prozent der HIV-Neuinfektionen auf Frauen, viele davon auf sehr junge.
Der Preis, den die Firma für das Präparat bisher aufruft, würde den breiten Einsatz jedoch unmöglich machen: 40.000 Dollar pro Jahr – laut einer von UNAIDS zitierten Schätzung bei Produktionskosten unter 100 Euro.
„Wir werden in absehbarer Zeit keine Impfung gegen HIV haben, aber es gibt jetzt ein Medikament mit lang anhaltender Wirkung zur Vorbeugung. Wir fordern die Herstellerfirma auf, den Wirkstoff über den Patentpool zur Produktion in ärmeren Länder freizugeben und zudem Transparenz über Entwicklungskosten zu schaffen. Phantasiepreise dürfen wir uns nicht länger gefallen lassen. Wenn dieses Medikament wirklich so gut ist, darf die Firma es der Welt nicht vorenthalten“, sagt DAH-Vorstand Winfried Holz.
Immer wieder hat die HIV-Community in den vergangenen Jahren erlebt, dass wirksame Medikamente nur in reichen Ländern verfügbar waren. Bis heute stirbt jede Minute weltweit an Mensch an Aids – also an den vermeidbaren Folgen einer HIV-Infektion.
In Deutschland erkranken Menschen unter anderem noch an Aids, weil Menschen ohne Aufenthaltspapiere oder Krankenversicherung keinen regulären Zugang zur Therapie haben – eine gravierende Versorgungslücke. Eine Lösung ist die Bundesregierung trotz Ankündigung im Koalitionsvertrag bisher schuldig geblieben.
Benachteiligte Gruppen endlich gut versorgen
Auch dies hat die Konferenz wieder bestätigt: Sowohl in der Prävention wie auch in der Behandlung sind die ohnehin Benachteiligten immer schlechter dran als andere. So entfallen weit mehr als die Hälfte der Neuinfektionen weltweit auf so genannte „Schlüsselgruppen“, aber bei ihnen kommt nur ein sehr geringer Teil der global aufgewandten Mittel an, der Anteil lag in den letzten Jahren im unteren einstelligen Prozentbereich. In Osteuropa erhält nur die Hälfte der Menschen mit HIV die lebensrettenden Medikamente, die zudem weitere Übertragungen verhindern. Prävention für diese Gruppen gibt es kaum. Grund sind politische und ideologische Hindernisse.
Wer zum Beispiel schwule Männer oder intravenös Drogen konsumierende Menschen verfolgt, statt sie mit Prävention zu versorgen, erntet steigende Infektionszahlen. Das sehen wir gerade in Osteuropa, es gilt in gewissem Ausmaß aber auch in Deutschland. In der Drogenhilfe gibt es in vielen Städten nicht mehr genügend Ressourcen, um saubere Spritzen und Nadeln zu verteilen und sieben Bundesländer haben noch immer keine Drogenkonsumräume, die Leben retten und Infektionen vermeiden. Die Zahlen der HIV-Neuinfektionen in dieser Gruppe steigen seit Jahren, ebenso der Zahl der drogenbedingten Todesfälle.
Auch die Gastgeberstadt der Welt-Aids-Konferenz München darf keine Drogenkonsumräume einrichten, weil die bayerische Landesregierung es nicht erlaubt. Die Aidshilfe hat auf diese Versorgungslücke im Vorfeld der Konferenz mit der symbolischen „Nicht-Eröffnung“ eines Drogenkonsumraums reagiert. Er blieb bis zum Konferenzende als Memorial erhalten und wurde rege besucht.
Es geht um Menschen, nicht um Zahlen
„,Put people first!‘ war das Motto dieser Konferenz. Ihr wichtigster Zweck besteht genau darin: zu zeigen, dass wir hier letztlich nicht über Zahlen und Studien reden, sondern über das Leben von Millionen Menschen“, sagt Winfried Holz.
Ob mit Blick auf das Leben mit HIV, Sexarbeit, Drogenkonsum oder sexuelle und geschlechtliche Identität: Stigma, Diskriminierung und Ausgrenzung bleiben beim Thema HIV das größte Hindernis.
„Die wichtigste Schlussfolgerung aus der Konferenz lautet: Geld und Verantwortung müssen in die Hände der Communitys gelegt werden, die am stärksten betroffen sind. Nur die Menschen, um die es geht, wissen wirklich, wie es geht“, betont DAH-Vorstand Holz.
Nicht umsonst hieß es während der Konferenz immer wieder: „Nothing about us without us!“
„Diese Konferenz hat einmal mehr gezeigt: Nur wer Menschen bei allen Maßnahmen auf Augenhöhe einbezieht, kann wirkungsvolle Maßnahmen für ihre Gesundheit ermöglichen. Es braucht dafür Offenheit, politischen Willen und immer wieder: Geld“, fasst Winfried Holz zusammen.