Schwule Männer: Schutzverhalten weitgehend stabil, Testverhalten ausbaufähig
Schwule Männer schützen sich weiterhin bemerkenswert konsequent vor HIV. In festen Beziehungen scheint es aber vermehrt zu Risiken zu kommen, die den Beteiligten nicht immer bewusst sein müssen.
Das geht aus der Studie „Schwule Männer und HIV/Aids“ (SMHA) hervor, die die Deutsche AIDS-Hilfe heute veröffentlicht hat. 16.734 homo- und bisexuelle Männer haben der Sozialwissenschaftler Jochen Drewes und der Psychologe Martin Kruspe dafür im Jahr 2013 befragt. Die Studie wurde von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gefördert.
Drei Viertel der Befragten berichten, dass sie sich immer vor HIV schützen, wenn ein Risiko bestehen könnte. 17% berichten gelegentliche ungeschützte Kontakte, 9% häufige Risiken (mehr als fünfmal in den 12 Monaten vor der Befragung). Der Anteil der Männer, die von Risikokontakten berichten, ist im Vergleich zur letzten Untersuchung 2010 stabil. Für den oft befürchteten Einbruch beim Schutzverhalten gibt es in dieser Studie keine Hinweise.
Weniger Kondome in festen Beziehungen
Wohl aber für Veränderungen: In festen Partnerschaften werden offenbar immer seltener Kondome benutzt. 60% haben im Jahr vor der Befragung mit dem festen Partner nie Gummis verwendet, nur 19% immer. Der Verzicht auf Kondome ist dabei aber nicht gleichzusetzen mit einem HIV-Risiko. Er ist unproblematisch, so lange beide Partner HIV-negativ oder HIV-positiv sind oder die Therapie des HIV-positiven Partners den HIV-negativen schützt.
„Man kann diese Entwicklung als einen Anpassungsprozess an die Entdramatisierung und Chronifizierung der HIVInfektion ansehen“, sagt Dr. Dirk Sander, Schwulenreferent der Deutschen AIDSHilfe. „Wichtig ist, dass man regelmäßig einen HIV-Test macht beziehungsweise sicherstellt, dass die Schutzwirkung der Therapie gegeben ist. Ganz entscheidend ist, dass man über eventuelle Risiken mit dem Partner offen spricht.“
Kommunikation oft unzureichend
Das klappt nicht immer: 88% der Befragten, die in offenen Beziehungen leben, haben mit ihrem Lebenspartner eine Vereinbarung, dass sie in der Beziehung auf Kondome verzichten, beim Sex mit anderen Partnern aber konsequent auf Schutz achten. Rund die Hälfte der Männer hat allerdings keinen aktuellen HIV-Test vorzuweisen. „Zudem wird über Verstöße gegen die Vereinbarung, die von einem Fünftel der Teilnehmer berichtet wird, nur unzureichend mit dem Partner kommuniziert“, stellen Jochen Drewes und Martin Kruspe in ihrer Auswertung fest.
Die Nutzung von Kondomen insgesamt ist seit 2010 stabil geblieben, im Vergleich mit früheren Untersuchungen aber rückläufig. Die Befragten geben aber gleichzeitig nicht mehr Risikokontakte an. Dieser scheinbare Widerspruch könnte nach Einschätzung der Forscher darauf hindeuten, dass manche auf Kondome verzichten, wenn sie davon ausgehen, dass ihr Partner ebenfalls HIV-negativ ist und dies nicht als Risiko empfinden. Die Daten der Studie können eine Zunahme dieser fehleranfälligen Schutzstrategie allerdings nicht nachweisen.
Testquoten zu niedrig
Ein weiterer Knackpunkt ist der HIV-Test: Bei 27% liegt der letzte Test mehr als ein Jahr zurück. 35%, vor allem Jüngere, haben sich noch nie testen lassen. Auch Männer, die ihre sexuelle Orientierung als problemhaft empfinden, gehen häufiger nicht zum Test. Anders formuliert: Diskriminierung und verinnerlichte Abwertung des homosexuellen Begehrens wirken sich negativ auf das Testverhalten aus. Auch auf andere sexuell übertragbare Infektionen lassen sich schwule Männer noch zu selten testen.
„Unsere Kampagne ICH WEISS WAS ICH TU thematisiert bereits immer wieder, wie wichtig der Test und regelmäßige Gesundheitschecks sind, um sich rechtzeitig behandeln zu lassen“, sagt Dirk Sander. „Diese Botschaft werden wir in der Zukunft noch intensiver senden. Parallel müssen wir gerade den jungen Leuten den Rücken stärken im Umgang mit Diskriminierung.“
Diesen Zusammenhang zeigt die Studie sehr deutlich: Diskriminierung schadet der psychischen wie körperlichen Gesundheit. Sie erhöht das Risiko, sich mit HIV zu infizieren oder an Aids zu erkranken. „Eine ganzheitliche Betrachtung der Gesundheitschancen in Prävention und Versorgung ist zwingend geboten“, betont Dirk Sander. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat dazu anlässlich des Internationalen Tages gegen Homo- und Transphobie eine Pressemitteilung veröffentlicht.
Holger Wicht