Russland setzt die LGBT-Community weiter unter Druck

Eine der wichtigsten LGBT-Organisationen Russlands wurde als „ausländischer Agent“ eingestuft. Umso wichtiger ist nun internationale Unterstützung.

Russlands Justizministerium hat die NGO Russisches LGBT-Netz (Российская ЛГБТ-сеть) in die Liste der Vereinigungen eingetragen, welche die Funktion eines „ausländischen Agenten“ wahrnehmen, so eine Mitteilung vom 8. November. Die Organisation muss diesen Hinweis nun zum Beispiel auf ihren Publikationen und ihrer Webseite anbringen.

Das Netzwerk teilte mit, es werde gegen die Entscheidung Berufung einlegen. „Die Folgen sind noch nicht vollständig bekannt, aber eines wissen wir mit Sicherheit: Dieser Umstand kann die Arbeit von LGBT-Aktivist*innen in Russland erschweren, aber definitiv nicht stoppen. Das Russische LGBT-Netz ruft alle Menschen, unabhängig von Identität und ‚Status‘, dazu auf, unsere Arbeit zu unterstützen", heißt es in der Erklärung weiter.

Das Russische LGBT-Netzwerk unterstützt seit 2006 queere Menschen und deren Familien, setzt sich für Aufklärung ein und dokumentiert Fälle von queerfeindlicher Diskriminierung. Im Februar 2021 beispielsweise machte die Organisation die Verhaftung und Auslieferung der jungen tschetschenischen LGBT-Aktivisten Salekh Magamadov und Ismail Isaev öffentlich, die in ihrem Heimatland mit Inhaftierung, Folter und sogar Ermordung rechnen müssen.

Weitere Belastung auch für die HIV-Prävention

Bereits seit 2012 erschwert Russland die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich beispielsweise für Menschenrechte einsetzen oder HIV-Prävention betreiben, wenn sie Gelder aus dem Ausland bekommen und sich „politisch betätigen“. Als politische Betätigung gelten Aktivitäten, die „das staatliche Handeln beeinflussen“ könnten. Die Organisationen müssen sich in das Register „ausländischer Agenten“ eintragen lassen, und zwar unabhängig davon, wie hoch die finanzielle Unterstützung ist und aus welchem Land sie kommt. Auch dürfen solche Organisationen nicht mehr unter Privatadressen angemeldet sein.

„Die Eintragung in dieses Register erhöht für die Organisationen nicht nur den Verwaltungsaufwand, sondern auch die Gefahr überhöhter Geldstrafen, wenn sie den aufwändigen Verwaltungspflichten nicht nachkommen“, erläutert Alexandra Gurinova, Referentin für internationale Zusammenarbeit bei der Deutschen Aidshilfe (DAH). Sie geht davon aus, dass in naher Zukunft die meisten russischen HIV- und LGBTIQ*-Organisationen, die internationale Unterstützung erhalten, zu „ausländischen Agenten“ erklärt werden.

Die Organisationen sind aber faktisch auf diese Gelder angewiesen, um ihre Arbeit aufrechtzuerhalten, ein Verzicht ist keine Option. Die Deutsche Aidshilfe hat daher Anfang November 2021 gemeinsam mit dem Canadian HIV Aids Legal Network zu einem Forum eingeladen, um mit anderen Geberorganisationen, UN-Agenturen und internationalen Organisationen zu diskutieren, wie die Zivilgesellschaft in Russland unter den derzeitigen Umständen unterstützt werden kann.

Finanzielle Unterstützung aus dem Ausland ist wichtiger denn je

Die DAH arbeitet seit 2008 mit verschiedenen russischen Organisationen zusammen. Diese bitten ihre internationalen Geber, auch weiterhin Solidarität zu zeigen, indem sie ihre Unterstützung trotz dieser Zusatzbelastungen aufrechterhalten. „Wir müssen flexible Finanzierungsmechanismen schaffen und zudem in unseren Projektfinanzierungsplänen zusätzliche Kosten für mögliche Bußgelder einplanen“, sagt Alexandra Gurinova. „Nur so können wir den Aktivist*innen die Möglichkeit geben, den Druck auszuhalten, dem sie tagtäglich ausgesetzt sind.“

(ascho/hs)

Link zur Mitteilung des russischen Justizministeriums vom 8.11.2021: https://minjust.gov.ru/ru/events/48625/

Link zur Erklärung des Russischen LGBT-Netzwerks vom 9.11.2021: https://lgbtnet.org/news/2021/rossiyskaya_lgbt_set_priznana_inoagentom/