Das Prostituiertenschutzgesetz schützt nicht
Zwei Jahre nach Inkrafttreten des sogenannten Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) zeigt sich: Viele der im Vorfeld von Expert_innen geäußerten Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Statt geschützt zu werden, sind Sexarbeiter_innen zusätzlicher Kriminalisierung und neuen Gefahren ausgesetzt.
Das geht aus einem Sachstandsbericht der Landesregierung zur Umsetzung des Gesetzes in Nordrhein-Westfalen hervor, der am 9. Mai 2019 der Sitzung des Ausschusses für Gleichstellung und Frauen vorgelegt wurde.
Darin heißt es: „Es bestehen begründete Zweifel, ob das Gesetz in der Praxis seinem ursprünglichen Schutzgedanken jemals gerecht werden kann.“
Nur wenige Anmeldungen
Von den geschätzt 42.000 Sexarbeiter_innen in Nordrhein-Westfalen seien im Jahr 2018 nur 7.300 der neu eingeführten Anmeldepflicht nachgekommen. „Es ist zu befürchten, dass sich viele Prostituierte ins Dunkelfeld der Prostitution zurückgezogen haben, wo sie für Behörden und Beratungseinrichtungen nur noch schwer zu erreichen sind“, so der Bericht weiter.
Viele erreicht das Prostituiertenschutzgesetz nicht
Die Landesregierung stützt sich auf eine Untersuchung zu „Veränderungen und Auswirkungen durch das ProstSchG auf die Prostitutionsszene in NRW“, die die Dortmunder Beratungsstelle KOBER durchgeführt hat.
Demnach gebe es verschiedene Gründe für die geringen Anmeldezahlen: unter anderem die Angst vor Stigmatisierung, vor der Weitergabe persönlicher Daten, vor hohen Steuernachzahlungen und vor Aufdeckung der Tätigkeit gegenüber Dritten (vor allem der Familie).
Bei Sexarbeiter_innen, die von korrupten Strukturen in ihren Heimatländern berichteten, gebe es zudem Vorbehalte gegenüber staatlichen Institutionen. Weitere Gründe seien sprachliche Barrieren und mangelnde Kenntnisse zum deutschen Bürokratiesystem, der Konsum illegalisierter Drogen, aber auch lange Wartezeiten für einen Anmeldetermin.
Gerade für Frauen aus dem Bereich der sogenannten Armuts- und Beschaffungsprostitution habe sich die Situation verschärft. Statt Schutz und bessere Arbeitsbedingungen seien neue Möglichkeiten entstanden, sie auszubeuten und zu erpressen.
Verlust von sicheren Arbeitsplätzen
Mit dem ProstSchG habe sich die Prostitutionsszene in Nordrhein-Westfalen bereits verändert: „Die Landschaft der Sexarbeit gestaltet sich zunehmend diffuser“, konstatiert der Bericht. Sexarbeiter_innen böten zunehmend ihre Dienste über Internetportale an.
Ein Grund: Viele Betriebe mussten aufgrund der neuen Anforderungen und baulichen Auflagen schließen. Darunter waren zwar auch Clubs mit menschenunwürdigen hygienischen Bedingungen, aber auch etablierte Betriebe, die einen verhältnismäßig sicheren Arbeitsplatz boten und in denen Sexarbeiter_innen ihrer Tätigkeit selbstbestimmt nachgehen konnten.
Kein Schutz vor Ausbeutung
Fazit des Berichts: Das Prostituiertenschutzgesetz orientiert sich nicht ausreichend an der Lebensrealität der Sexarbeiter_innen, und nur eine Minderheit der befragten Frauen fühlt sich durch das Gesetz tatsächlich geschützt oder unterstützt.
Zudem „besteht nun eine größere Gefahr, in Armut oder Illegalität zu rutschen, den Arbeitsplatz zu verlieren und/oder Probleme mit dem Schutz personenbezogener Daten zu bekommen. Das Ziel, alle Sexarbeiterinnen vor ausbeuterischen Strukturen zu schützen, wurde durch die Einführung des ProstSchG nicht erreicht.“
(ascho/cl)
Quelle:
Weitere Informationen:
„Bundesrat stimmt ‚Prostituiertenschutzgesetz‘ zu“, aidshilfe.de vom 23. September 2016
„Sie wollen keine Opfer sein“, Kersten Artus über die Auswirkungen des „Prostituiertenschutzgesetzes“ auf Straßenprostituierte, magazin.hiv vom 15. Februar 2017
„Wir brauchen das Prostituiertenschutzgesetz nicht“, drei Sexarbeiter_innen im Gespräch, magazin.hiv vom 24. September 2017
„Der richtige Weg wäre, an der Stigmatisierung zu arbeiten“, Interview mit der Sexarbeiterin Johanna Weber auf magazin.hiv vom 18. September 2015
„Die Legalisierung von Prostitution senkt die HIV-Rate bei Sexarbeiterinnen“, aidshilfe.de vom 10. Februar 2017