Positive Begegnungen 2016 - News-Ticker aus Hamburg

Vom 25. bis 28. August fanden in Hamburg die 19. Positiven Begegnungen statt. Die größte europäische Selbsthilfekonferenz zum Leben mit HIV stand unter dem Motto: „Sei ein Teil der Lösung!“ Das Konferenzteam berichtete im Ticker von Diskussionen, Ergebnissen und den wichtigsten Entscheidungen.

Auch auf Facebook und Twitter (Hashtag #PoBe2016) informierten wir zeitnah über die Veranstaltung. Hier finden sich auch weitere Fotos und Videos.

 

Sonntag, 28. August 2016, 13:12 Uhr (Christoph Kolbe)
Die PoBe2016 geht zu Ende – Wir sagen Danke!

Wir SIND ein Teil der Lösung. Wir sagen Danke an alle Teilnehmenden für tolle Positive Begegnungen mit konstruktiven Gesprächen und anregenden Diskussionen. Wir sehen uns zur PoBe 2018!

 

Samstag, 27. August 2016, 21:53 Uhr (Charlotte Kunath)
„Stigma – zurück an Absender!“

Raus auf die Straße! Nachdem zwei Tage lang in Workshopräumen die Köpfe rauchten und heiß diskutiert wurde, gingen zum Samstagabend die Teilnehmenden der Positiven Begegnungen raus auf Hamburgs Straßen und brachten ihre Forderungen in den öffentlichen Raum. Gemeinsam mit Schirmherr Oke Göttlich wurde gegen die immer noch andauernde Diskriminierung von Menschen mit HIV demonstriert. Dazu wurde ein überdimensional großer Stempel durch die Straßen getragen – der Stempel des Stigmas, das per Aufdruck zurück an Absender geschickt wurde.

Der Hinweis „Straftatbestand Sex“ auf Aufklebern und T-Shirts machte auf die immer noch existierende Kriminalisierung von HIV aufmerksam. Viele Teilnehmende trugen Schilder mit eigenen Forderungen oder Statements wie „Ich bin trans*, na und?“, „Gesundheitsversorgung für alle“ oder „Ich mach’s ohne“. Damit wurden die vielfältigen Perspektiven und Forderungen der Demo deutlich sichtbar. Der bunte und von lauter Musik begleitete Zug sorgte in der belebten Hamburger Innenstadt für Irritation und viele Hingucker.

Die Abschlussreden von Bernd Aretz, Michèle Meyer, Björn Beck und Lillian Petry zeigten jedoch, dass alle Forderungen die gleiche Wurzel haben: So lang weiterhin mit Kategorisierungen gearbeitet wird und nicht alle Menschen gleich behandelt werden, wird es Diskriminierung geben. Egal, ob es um HIV-Positive, Migrant_innen oder trans*-Menschen geht – die Forderung an alle, innerhalb und außerhalb der Communities, ist deutlich: „Lasst uns mit Herz und Verstand für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft eintreten.“ Nur so lassen sich Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung zurück an Absender schicken. 

Mehr Infos zur Demo gibt es hier

Samstag, 27. August 2016, 17:45 Uhr (Axel Schock)
Drogen, Stigma und Moral

Stehen wir am Beginn einer Crystal-Meth-Welle, die innerhalb der schwulen Szene bald mehr und mehr Männer in eine folgenschwere Abhängigkeit führt? Wirklich beantworten kann diese Frage derzeit noch niemand so recht, dafür fehlt es an gesicherten Daten.

Dass heute innerhalb einer bestimmen schwulen Teilszene chemische Drogen verstärkt im sexuellen Zusammenhang konsumiert werden, ist nach Ansicht von Martin Dannecker eine Folge der Online-Dating-Portale. Die vergleichsweise anonymen Kommunikationsmöglichkeiten hätten auch das Sprechen über Drogen leichter gemacht. Nutzer der entsprechenden Cruising-Portale würden immer wieder mit der Frage konfrontiert werden, wie sie es denn mit bestimmten Drogen halten. Der Konsum von chemischen Substanzen werde dadurch enttabuisiert.

Doch nur eine Entkriminalisierung aller Drogen, so die einhellige Haltung in den Redebeiträgen der Gesprächsrunde „Drogen, Stigma und Moral“, schaffe die Voraussetzung für tragfähige Interventionsmöglichkeiten: von Drug-Checking-Projekten bis zu Beratungs- und Hilfsangeboten. Im Falle von Cannabis, so Carsten Schatz, sei eine Legalisierung, d.h. eine kontrollierte Abgabe, bereits in Sicht.

Doch ist Cannabis mit Crystal Meth zu vergleichen? Ist ein kontrollierter Crystal-Meth-Konsum überhaupt möglich oder werden dadurch Gefahren von Crystal Meth nicht verharmlost? Wie emotional plötzlich über diese Fragen diskutiert wurde, zeigt, wie notwendig eine intensive und sachliche Auseinandersetzung mit der Crystal-Meth-Problematik ist.

Samstag, 27. August 2016, 17:20 Uhr (Lisa Fedler)
Niemand zurücklassen – Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle

Unter dem Motto „Niemand zurücklassen“ ging es im Themenstrang diskriminierungsfreie Versorgung um den Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle – auch für Menschen ohne Papiere oder ohne Krankenversicherung. Das Video „In der Grauzone“ vermittelte zum Einstieg einen anschaulichen und erschütternden Eindruck von der Lebensrealität HIV-Positiver ohne Papiere. Formal haben sie zwar einen Anspruch auf medizinische Versorgung – wenn sie diese in Anspruch nehmen, besteht allerdings eine Meldepflicht. Aus Angst vor Abschiebung lassen sich viele daher nicht behandeln, auch wenn sie schwer krank sind oder Medikamente benötigen.

Tanja Gangarova, Migrationsreferentin der DAH, betonte, dass die fehlende Versorgung politisch gewollt sei. Sie sei Ausdruck einer Migrationspolitik, die Zuwanderung immer stärker begrenzen wolle. Gegen mögliche Lösungen, wie den anonymen Krankenschein, werde das Argument angeführt, es dürften keine „Anreize für Zuwanderung“ geschaffen werden. Daher sei es notwendig, sowohl politischen Druck aufzubauen als auch Betroffenen konkret zu helfen.

Zur aktuellen Migrationspolitik äußerte sich auch Dr. Thomas Buhk, HIV-Schwerpunkt-Arzt aus Hamburg, deutlich: Man könne Menschenrechte nicht verletzen, um Menschen davon abzuhalten nach Deutschland zu kommen. Zur Lösung des Problems setzt er allerdings eher auf politische Lobby-Arbeit statt auf Druck. Es sei notwendig, Politiker_innen aufzuklären und zu sensibilisieren. Oder mit pragmatischen Argumenten zu überzeugen, was in Großbritannien zum Erfolg geführt habe. Seit drei Jahren können dort Menschen mit HIV anonym in eine Klink gehen. Das ausschlaggebende ökonomische Argument für diese Entscheidung: Menschen mit HIV, die erfolgreich behandelt werden, sind nicht mehr ansteckend – durch Behandlung lassen sich also weitere Infektionen (und damit weitere Kosten) verhindern. Ein Ansatzpunkt könne das Infektionsschutzgesetz sein, das in Deutschland seit 2001 besteht. Danach müssen Infektionskrankheiten immer behandelt und die Kosten übernommen werden. Bei Tuberkulose und Syphilis funktioniere das auch schon. Bei HIV werde das Gesetz allerdings nicht angewendet – weil die Medikamente zu teuer sind.
 

Samstag, 27. August 2016, 16:54 Uhr (Christoph Kolbe)
Ein Gespräch kann der Anfang vom Ausstieg sein – Über den PoBe-Workshop Chemsex

„Meinen geilsten Sex hatte ich mit Crystal Meth!“ Dieser Fakt ist für Florian unbestritten. Im Vormittags-Workshop „Chemsex“ informierte er von seinem Crystal-Konsum, dem Sex, den er auf „T“ erlebte – aber auch und gerade von seiner psychischen Abhängigkeit: Florian musste sich als erfahrener und selbstbewusster Chemsex-User eingestehen, dass seine Safer Use- und Safer Sex-Strategien bei Crystal versagt haben. Er berichtete von Psychosen, Verfolgungswahn und dem Vergessen seiner HIV-Medikation. Andere Crystal-User vernachlässigen zudem Freunde, Familien und Partner.

Besonders absurd ist für Florian in der Rückschau: Die Droge, die er nahm, um (den geilsten) Sex mit vielen Männern zu haben, führte letztlich dazu, dass er mit niemand mehr Sex hatte. Seinen Sex erlebte er nur noch in Form eines „Kopfkinos“. Heute slammt Florian nicht mehr. Er sagt aber, dass „ich mich wie ein trockener Alkoholiker fühle: Jetzt bin ich weg von Crystal – aber ich bin nicht befreit davon.“ Die Herausforderung, der er sich nun stellen muss, ist zu lernen, den Sex ohne Crystal wieder als befriedigend und erfüllend zu empfinden.

Um den Weg ohne Crystal gehen zu können, waren viele Faktoren für Florian wichtig. Als Konsument akzeptiert zu werden, gehört für ihn unbedingt dazu. Denn so kann ein Austausch mit Freunden, Bekannten, Familienmitgliedern und auch mit Ärztinnen und Ärzten oder (Drogen-)Berater_innen beginnen, um Hilfe anzunehmen. Rückblickend sagt Florian: „Ich hätte mir gewünscht, dass mein Umfeld mich auf meinen Konsum angesprochen hätte. Das sollten wir in der Community wieder verbessern: miteinander ins Gespräch zu kommen.“

Mehr von Florian unter: https://flosithiv.com/

Samstag, 27. August 2016, 15:46 Uhr (Charlotte Kunath)
Die Segel der Erinnerung

Das Leben mit HIV hat sich verändert: Menschen mit HIV haben eine nahezu normale Lebenserwartung und gerade die jüngere Generation HIV-positiver Menschen wird nur noch selten mit dem Tod konfrontiert. Es gibt sie aber, die Menschen, die an den Folgen von Aids verstorben sind. 

Der Künstler Jean Luc Tissot aus Braunschweig möchte mit seiner Installation „Die Segel der Erinnerung“ den Verstorbenen gedenken. Die Segel schwingen leicht im Wind, feine Glocken klingen ­– und doch schwingt auch eine gewisse Schwere mit: die der Trauer und der Erinnerung.

Alle Teilnehmenden der Positiven Begegnungen haben die Möglichkeit, die einzelnen Segel mit ihren eigenen Gedanken, mit Zeichnungen und mit Erinnerungen zu gestalten. Die Segel der Erinnerung sollen eine Einladung zum Dialog sein: Die Teilnehmenden der Konferenz sollen sich an ihre Wurzeln erinnern, über Generationen hinweg ins Gespräch kommen und Erfahrungen austauschen.

 

Freitag, 26. August 2016, 20:59 Uhr (Lisa Fedler)
Aus dem Themenstrang "Wie erreichen wir einen uneingeschränkten Zugang und eine diskriminierungsfreie Versorgung für Menschen mit HIV?"

Im Gesundheitswesen machen HIV-Positive noch immer dieselben Diskriminierungserfahrungen wie vor 20 Jahren. Das berichteten die Teilnehmenden des Themenstrangs „Diskriminierungsfreie Versorgung“. Die traurigen „Klassiker“ der Diskriminierung: Der letzte Termin beim Zahnarzt, unnötige Hygienemaßnahmen oder die Kennzeichnung von Patient_innen-Akten im Krankenhaus. Warum kommt es noch immer zu diesen Fällen von Diskriminierung? Ist es wirklich mangelndes Wissen oder vielmehr ein irrationales, übertriebenes Sicherheitsbedürfnis von Pflegekräften und Mediziner_innen? Neben veraltetem Lehrwissen der älteren Generation von Mediziner_innen spielen vor allem die Emotionen eine Rolle: Trotz anders lautender Richtlinien siegt in vielen Fällen die Angst. Das müsse in Handlungsstrategien gegen Diskriminierung mit einbezogen werden, findet Kerstin Mörsch von der Kontaktstelle HIV-bedingte Diskriminierung der DAH.

Als wichtige neue Felder kommen in der Diskussion die Versorgung im Alter und das Thema Reha zur Sprache. Bei allen Fällen von Diskriminierung sei die Sensibilisierung von Multiplikator_innen wichtig. Dies betont auch Dr. Clement von der Landeszahnärztekammer Hamburg, der sich in seiner Funktion schon lange um Aufklärung bemüht.

Anhand der Schilderung eines konkreten Diskriminierungsfalls wird im Gespräch deutlich, wie schwer es ist, sich aktiv gegen diskriminierende Behandlung zu wehren. Es erfordert viel Mut, als Patient_in selbst Einspruch gegen ärztliche Anordnungen zu erheben. Und es zeigt sich, dass der Erfolg einer Gegenwehr mehrere Ebenen hat. Auch wenn sich Zustände in einer Klinik oder Praxis durch die Intervention verändern, ist eine persönliche Entschuldigung bei der betroffenen Person für diese entscheidend, um die erlebte Kränkung zu lindern und Respekt zu zeigen.  

Der Themenstrang teilte sich zeitweise in vier Arbeitsgruppen auf, in denen konkrete Anliegen und Handlungsziele definiert werden sollten. Hier geht es um die Anwendung und Verbesserung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, um Fragen positiven Alterns, das Thema Late Presentation und eine konkrete Aktion gegen die Diskriminierung in Zahnarztpraxen.

Freitag, 26. August 2016, 20:20 Uhr (Axel Schock)
Aus dem Themenstrang "Was tun gegen die Kriminalisierung der potentiellen HIV-Übertragung?" 

Prof. Dr. Monika Frommel ist sich ziemlich sicher: Staatsanwält_innen und Richter_innen in Deutschland werden künftig nicht mehr darum herumkommen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Nichtinfektiösität von therapierten HIV-Positiven bei entsprechenden Strafverfahren zu berücksichtigen. Doch nicht alle Teilnehmenden des Podiumsgesprächs unter dem Titel „Die Moral hinter der Kriminalisierung oder haben Richter auch einen Präventionsauftrag?“ waren so optimistisch.

Fachanwalt Jacob Hösl dämpfte die Erwartungen. Jurist_innen recherchierten in der Regel nicht den aktuellen medizinischen Sachstand, sondern griffen vor allem auf gefällte Urteile und deren Begründungen zurück, insbesondere auf ein BGH-Urteil aus dem Jahr 1988. Selbst bei flüchtigen Sexualbekanntschaften (im konkreten Falle in einer schwulen Sauna) ist demnach der HIV-Positive verpflichtet, seinen Immunstatuts zu offenbaren.

Und warum, wie Bernd Aretz mit Süffisanz bemerkte, wird von Richter_innen und Staatsanwält_innen erwartet, dass sie auf dem neuesten Stand sind, wenn man dies nicht einmal von Mediziner_innen erwarten kann?

Ein weitaus drängenderes Problem scheinen zudem jene vorurteilbeladenen Sachverständigen zu sein, die für die Opferanwält_innen die gewünschten Gutachten schreiben und etwa aus lediglich theoretisch möglichen Übertragungsmöglichkeiten konkrete Infizierungsgefahren konstruieren.

Monika Frommel bezweifelt, dass die Zahl der Anzeigen sinken werde, im Gegenteil. Jacob Hösls Erfahrungen aus dem juristischen Alltag gaben ihr dabei Recht: Mit dem wachsenden Bewusstsein für den Opferschutz würden Menschen, die sich von ihren Partner_innen einer vermeintlichen oder möglichen Infektionsgefahr ausgesetzt fühlen, beispielsweise von Ärzt_innen oder dem Freundeskreis zu einer Anzeige gedrängt werden.

Freitag, 26. August 2016, 19:14 Uhr (Charlotte Kunath)
Ein Tag voller „Bilder von HIV“ geht zu Ende

Nachdem sich schon am Vormittag viele offene Fragen aus dem Workshop zu „Bilder von HIV von etwa 1990 – 2010“ ergeben haben, setzten sich die Diskussionen am Nachmittag fort. Quintessenz: In der heutigen Zeit bewegen sich HIV-positive Menschen, Selbsthilfe-Organisationen, Aidshilfen aber auch politische Institutionen wie das Bundesministerium für Gesundheit in einem Spannungsfeld zwischen der „Normalisierung“ von HIV und der Präventionsaufgabe.

Die Aussagen „Du sollst dich schützen!“ und „Du kannst auch mit HIV ein weitgehend normales Leben führen!“ scheinen zwar widersprüchlich, schließen sich aber nicht aus und sind gleichermaßen wichtig.

Björn Beck, Sprecher der PositHIVen Gesichter und Teilnehmer dieses Themenstrangs brachte sein Anliegen auf den Punkt und sprach für viele andere Teilnehmende: Prävention bedeutet nicht allein die Vermeidung von Infektionen, sondern vielmehr eine Entscheidungshilfe zum Treffen von selbstbestimmten Entscheidungen. Dafür braucht es Aufklärung über die Folgen der Infektion. Wie jede_r Einzelne damit umgeht, steht auf einem anderen Blatt.

Ein anderer Diskussionspunkt in der Abschlussrunde am Abend war die Frage: Beschreibt man sich als HIV-positiver Mensch als „krank“ oder als „gesund“? In der Diskussion wurde ein schönes Bild aufgegriffen: Es gibt keinen festen Punkt zwischen den beiden Polen „gesund“ und „krank“. Vielmehr ist es ein Gefühl – das sich je nach Tagesform verändert und HIV hat nicht für alle Teilnehmenden primär einen Einfluss darauf.

Freitag, 26. August 2016, 19:02 Uhr (Christoph Kolbe)
Bilder von HIV heute – sind vielfältig

Welche Bilder senden wir heute von Menschen mit HIV? Dieser Frage stellten sich Vertreter_innen von verschiedenen Organisationen und Einrichtungen: So informierte Claudia Corsten von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung über die Bilder von HIV aus den Welt-Aids-Tag-Kampagnen der vergangenen Jahre.

Menschen mit HIV, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, erhalten Unterstützung von der Deutschen AIDS-Stiftung in Form von Geld- und/oder Sachleistungen, wie einem neuen Bett. Hier informierte Ralf Pütz und zeigte auf, mit welchen Bildern die Stiftung arbeitet. Darüber hinaus referierte Mark Schütz von POSITHIV HANDELN aus NRW und Christoph Kolbe für ICH WEISS WAS ICH TU von der Deutschen AIDS-Hilfe.

So unterschiedlich die Einrichtungen und ihre jeweiligen Zielsetzungen, so stellen sich doch alle die gleiche Frage: „Welche Bilder können und dürfen wir senden, um unsere Ziele zu erreichen?“ Dabei sollen die Bilder einerseits nicht zu sachlich sein, weil sie sonst möglicherweise zu bedrohlich und zu kritisch wahrgenommen werden. Andererseits sollen die Bilder auch nicht zu „life-stylig“ sein, da sonst die Sorge besteht, dass HIV zu verharmlosend dargestellt wird.

Diese Fragestellung wurde auch von den Teilnehmenden in den anschließenden Diskussionen aufgegriffen. Eine wichtige Erkenntnis, die vielleicht nicht überrascht: Es gibt eine Vielzahl von Bildern von Menschen mit HIV, die wir senden können, um die jeweiligen Ziele zu erreichen. Denn so vielfältig wie Menschen mit HIV sind, so vielfältig dürfen ihre Bilder sein.

Freitag, 26. August 2016, 18:20 Uhr (Charlotte Kunath)
Aus dem Themenstrang „Bilder von HIV“

Welche Bilder von HIV wollen wir senden? Das ist die zentrale Frage im Themenstrang „Bilder von HIV“. Peter Stuhlmüller und Michael Jähme warfen einen Blick in die Vergangenheit und zeigten Plakat- und Postkarten von 1985 bis heute. Die Motive machten deutlich, welche Themen im Vordergrund der Aidshilfe-Arbeit standen und luden zur Diskussion ein. Die Reise durch die Zeit haben wir auf Facebook in einer Bildergalerie nachvollzogen.

Im Raum nebenan wurde der Blick nach vorn gerichtet: Im Workshop zum Thema verinnerlichte Stigmatisierung wurde heiß diskutiert. Wo können wir anpacken, um die verinnerlichte Stigmatisierung aufzulösen? Diese Frage rührt an den Wurzeln der Selbstbeschreibung. Ist die Infektion identitätsstiftend? Reicht die Infektion als verbindendes Merkmal aus, um in Aidshilfen eine vertrauensvolle Basis für alle Fragen zu finden, die sich aus der Diagnose ergeben? Oder hat man mit den Menschen dort nichts gemein außer dem Virus? Eine Lösung könnte das Buddy-Projekt sein: Direkter Austausch mit einem Partner oder einer Partnerin, die einen ähnlichen Lebensstil hat. So lässt sich über Sympathie und Gemeinsamkeiten eine vertrauensvolle Basis knüpfen und das HI-Virus bleibt nicht der einzige Bezugspunkt.

Freitag, 26. August 2016, 15:25 Uhr (Axel Schock)
Aus dem Themenstrang "Bilder von HIV"

Anders als Aids ist HIV eine unsichtbare Erkrankung. HIV-Positiven, die erfolgreich therapiert werden, ist die Infektion nicht anzusehen. Theoretisch können sie sexuelle Zufallsbekanntschaften und sogar Beziehungen eingehen, ohne ihre HIV-Erkrankung offenzulegen. Was also kennzeichnet dieses unsichtbare Stigma? Weshalb sehen sich Menschen mit HIV dennoch dazu gedrängt oder hegen selbst den Wunsch, ihren HIV-Status mitzuteilen? Weil auch die Infektion als Teil der eigenen persönlichen Identität anerkannt werden soll? Oder ­was besonders für politisch bewegte HIV-positive Menschen gilt – weil sie vor Augen führen wollen, dass die HIV-Infektion eigentlich kein Thema, keine Nachricht mehr ist?

Der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker warf in seinem Einstiegsvortrag zum Themenstrang „Bilder von HIV“ sehr viele Fragen dieser Art auf. Fragen, die nicht nur den gefühlten Zwang zum HIV-Coming-out, sondern auch das insbesondere von der Selbsthilfebewegung transportierte Opfer-Bild von HIV-positiven kritisch beleuchten. Warum, so Danneckers Einwurf, wird die - zweifellos existierenden ­ Diskriminierungen und Stigmatisierungen von Menschen mit HIV herausgestellt, die durch Studien belegte, überwiegende Unterstützung, die Positive die im engen und weiteren Freundeskreis, hingegen meist ausgeklammert?

„Wer seine Infektion beharrlich verschweigt, aus Angst vor Diskriminierung, bleibt im Bann des Stigmas. Die unzeitgemäßen Bilder zu HIV werden nur verändert, wenn man andere mit HIV konfrontiert“, sagt Dannecker. Aber nur, wer es auf den Versuch ankommen lässt, wird erfahren, ob er sein Gegenüber vielleicht völlig falsch eingeschätzt hat - und die erwartete Ausgrenzung und Diskriminierung womöglich gar nicht eintritt.

Donnerstag, 25. August 2016, 22:34 Uhr (Axel Schock)
Die Eröffnung der Positiven Begegnungen 2016

Die Positiven Begegnungen Hamburg sind eröffnet! Mit rund 500 Teilnehmenden ist dies nicht nur Europas größte Konferenz zum Leben mit HIV, sondern auch die größte in der Geschichte der PoBe. „Wir wollen in den kommenden Tagen richtig dicke Bretter bohren!“, versprach DAH-Vorstand Ulf Hentschke-Kristal bei der Eröffnungsveranstaltung in der Bucerius Law School. Von der Konferenz unter dem Motto „Sei ein Teil der Lösung!“ erhofft er sich, deutliche Signale in die Gesellschaft zu senden, Zeichen gegen Diskriminierung zu setzen und realistische Bilder vom Leben mit HIV zu zeigen. Und nicht zuletzt gelte es „Ansätze zu entwickeln und langfristige Strategien zu entwerfen, wie wir in Zukunft gemeinsam noch mehr erreichen können.“

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Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli und Schirmherr der Positiven Begegnungen, brachte ein Gastgeschenk mit auf die Bühne: eine Regenbogenfahne mit St. Pauli-Logo. Zugleich ein deutliches Zeichen dafür, wie selbstverständlich sich sein Verein seit vielen Jahren gegen Homophobie, Sexismus und Rassismus einsetzt. Über die Anfrage, als Schirmherr der Positiven Begegnungen zu fungieren, habe er daher gar nicht lange nachdenken müssen. Und doch, gibt Göttlich zu, sei ihm erst während der Vorbereitung auf die Konferenz bewusst geworden, wie wenig er über das Leben mit HIV heute wusste.

„Mir war in seiner ganzen Tragweite nicht bewusst, wie weitreichend die Veränderungen durch die Therapie sind“, sagte Göttlich. „Dass Diskriminierung immer noch Alltag ist, ist erschreckend. Wir müssen deutlich machen, dass eine HIV-Infektion im Alltag keine Rolle mehr spielen muss, auch auf dem Fußballplatz nicht.“ Göttlich wies aber auch auf einen Missstand in der HIV-Politik hin. „Es ist skandalös, dass in Deutschland Menschen von der Behandlung ausgeschlossen sind“, sagte der St. Pauli-Präsident. „Medizinische Behandlung ist eine Frage der Menschenrechte.“ Der HIV-Mediziner Thomas Buhk, der in Hamburg Menschen ohne Papiere behandelt und sich selbst damit angreifbar macht, ist für Göttlich ein Mut machendes Beispiel, wie jeder seinen Teil zur Lösung beitragen kann. „Manchmal muss man gegen Richtlinien verstoßen, um die Gesundheit von Menschen zu erhalten.“

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Ines Perea, Leiterin des HIV/Aids-Referates im Bundesgesundheitsministerium, stellte in ihrem Eröffnungsbeitrag die unlängst verabschiedete Strategie der Bundesregierung zur Bekämpfung von HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten bis 2030 vor. Die Ergebnisse der DAH-Umfrage „Positive Stimmen“ zu Diskriminierungserfahrungen HIV-Positiver habe auch in ihrem Referat für Erschütterung gesorgt. „Stigmatisierung haben wir in diesem Maße nicht erwartet“, bekannte Perea. Deshalb sei auch eines der wichtigsten Ziele der BMG-Strategien, auf verschiedenen Wegen für mehr gesellschaftliche Akzeptanz von Menschen mit HIV zu sorgen. Darüber hinaus sollen zielgruppenspezifische Präventions- und Versorgungsangebote angepasst und ausgebaut werden. In den kommenden Tagen erhofft sie sich ganz persönlichen und direkten Austausch mit Konferenzteilnehmenden zum Strategieplan. Darüber hinaus wird sie in einer eigenen Gesprächsrunde über die geplante Aussetzung des Nationalen AIDS-Beirates und andere Wege der Beteiligung von Menschen mit HIV an Beratungen der Ministerien zu Fragen von HIV/Aids diskutieren.