Nicht vertrauenswürdig: Offener Brief zur Digitalisierung des Gesundheitswesens
Organisationen und Digitalexpert*innen fordern die Bundesregierung auf, ihre Pläne zur Digitalisierung des Gesundheitswesens grundlegend zu überprüfen.
Wenn es nach der Bundesregierung geht, wird am 14. Dezember nach einer einstündigen Debatte im Bundestag sowohl über den Gesetzentwurf „zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ als auch über den Gesetzentwurf „zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten“ abgestimmt werden.
Organisationen und Digitalexpert*innen fordern in einem Offenen Brief die Bunderegierung nun auf, diese Pläne zur Digitalisierung des Gesundheitswesens grundlegend zu überprüfen.
Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens ist ein vertrauenswürdiger Einsatz der Technologien unabdingbar
Die Unterzeichner*innen, unter anderem der Chaos Computer Club, der Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit (InÖG), die Organisation Superrr Lab, der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. und die Deutsche Aidshilfe (DAH), vermissen die angemessene Transparenz bei diesem politischen und technologischen Entwicklungsprozess – gerade „in Anbetracht der Geschwindigkeit und der Größe des Vorhabens“ und der Auswirkung auf die Gesamtbevölkerung.
Die notwendigen Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige, soziale und gerechte Umsetzung seien nicht gegeben, denn sie erfolge weitgehend ohne Einbindung der Gruppen, die am meisten betroffen sind: der Patient*innen. „Ihre Bedürfnisse an ein digitales Gesundheitswesen werden deshalb bislang nicht erfüllt“, heißt es in dem Papier, das am 12. Dezember unter dem Titel „Vertrauen lässt sich nicht verordnen“ veröffentlicht wurde.
Darin sind zehn Prüfsteine mit gesellschaftlichen und technischen Mindestanforderungen für den vertrauenswürdigen Einsatz digitaler Technologien im Gesundheitswesen formuliert.
Kritik an der Datensicherheit der elektronischen Patient*innenakte (ePA)
Kritik gibt es unter anderem an der Datensicherheit der elektronischen Patient*innenakte (ePA). So warnen die Autor*innen des Offenen Briefs vor möglichen Gefahren für die Privatsphäre der Patient*innen, zum Beispiel durch den Ausfall von Systemen oder Manipulation von Daten.
„Gerade im hochsensiblen Bereich der Gesundheitsdaten dürfen nicht länger wirtschaftliche Interessen und bürokratische Erwägungen Triebfeder der Digitalisierung sein“, sagt Tom Jennissen vom Digitale Gesellschaft e.V., einer der Initiatoren des Offenen Briefs.
Unabdingbar sei zudem eine stärkere Einbindung von Patient*innen, Leistungserbringer*innen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bei der Ausgestaltung der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Nur so sei sichergestellt, dass sie patient*innenzentriert und diskriminierungssensibel umgesetzt werde. Derzeit sei eine echte und kritische Beteiligung neutraler Dritter bei der Ausgestaltung der Systeme nicht erwünscht.
Michaela Schröder vom Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. sagt: „Die ePA für alle wird nur dann zu einem Erfolg, wenn sie das Vertrauen der Versicherten hat. Dafür braucht es ein selbstbestimmtes Nutzungserlebnis, transparente Kommunikation und Regelungen, die einen verantwortungsvollen Umgang mit den sensiblen Daten sicherstellen.“
Nötig sind Transparenz und Kontrolle durch die Patient*innen
Die Deutsche Aidshilfe hatte bereits im Juli in einem Positionspapier zum Digital-Gesetz die Regierung aufgefordert, „Mindestanforderungen eines selbstbestimmten Umgangs mit sensiblen Gesundheitsdaten“ zu erfüllen. Die Benutzung der elektronischen Patient*innenakte (ePA) müsse so einfach wie möglich sein, sodass Patient*innen beispielsweise jederzeit Transparenz und Kontrolle erhalten, wer auf ihre jeweiligen Gesundheitsdaten zugreifen kann.
„Gut gemachte Digitalisierung im Gesundheitswesen hat das Potenzial, Versorgung zu verbessern und Prozesse zu vereinfachen. Dafür muss sie patient*innenzentriert und diskriminierungssensibel gestaltet werden“, sagt DAH-Vorstand Sven Warminsky. „Mit kritisch-konstruktivem Blick und mehr Einbindung von digitaler Zivilgesellschaft und Patient*innenorganisationen kann das gelingen“, so Warminsky weiter.
(ascho)
Weitere Beiträge zum Thema:
„Wir brauchen maximale, handhabbare Selbstbestimmung“ (Interview mit Manuel Hofmann, Fachreferent für Digitalisierung der Deutschen Aidshilfe, auf netzpolitik.org vom 12.12.2023)
Lang erwartet, nun heftig umstritten: Das Digital-Gesetz (DigiG) (Beitrag auf magazin.hiv vom August 2023)