Das tausendste Nasenspray gegen Opioid-Überdosierungen
Die Zwischenbilanz des Bundesmodellprojekts NALtrain fällt positiv aus – trotz der Zurückhaltung bei der Verschreibung von Naloxon.
Innerhalb weniger Minuten hebt Naloxon die atemlähmende Wirkung von Opioiden auf. In den USA könnte das Notfallmedikament als Nasenspray bald sogar an Tankstellen und in Supermärkten frei erhältlich sein – ganz ohne Rezept. In Deutschland ist Naloxon seit 2018 zugelassen und die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Dennoch wird das Medikament hierzulande immer noch zögerlich verschrieben. Das zeigt die Zwischenbilanz des Bundesmodellprojekts NALtrain.
Das vom Institut für Suchtforschung Frankfurt gemeinsam mit Akzept e.V. und der Deutschen Aidshilfe entwickelte Projekt wurde im Juli 2021 gestartet, um Naloxon weiter zu verbreiten und so Drogentodesfälle durch Überdosierungen zu reduzieren. Im Mittelpunkt des dreijährigen Bundesmodellprojektes stehen die Konzeption, die Umsetzung und die Evaluation von Take-Home-Naloxon-Schulungen für Mitarbeitende in Drogen- und Aidshilfen.
Bis 2024 sollten 10.000 Konsument*innen und Substituierte das Nasenspray in der Tasche haben und im Notfall anwenden können. Bisher wurde das nur bei rund 1000 Personen erreicht. Dabei bewegt sich die Zahl der drogenbezogenen Todesfälle, die auf den Konsum von illegal erworbenen Opioiden – vor allem Heroin – zurückzuführen sind, bundesweit auf hohem Niveau: 2021 sind in Deutschland 1.826 Menschen an den Folgen von Drogenkonsum verstorben, fast 16 Prozent mehr als im Vorjahr.
„Viele dieser Leben hätten durch das Naloxon-Nasenspray gerettet werden können“, sagt Dirk Schäffer, DAH-Drogenreferent und einer der Leiter von NALtrain. „Deshalb gehört es in die Hände aller Personen, die sich in einer Substitutionsbehandlung befinden oder die aktuell noch Heroin konsumieren.“
Aids- und Drogenhilfen sind hochmotiviert
Bundesweit sollen im Rahmen von NALtrain 800 Mitarbeitende aus 400 Einrichtungen der Suchthilfe befähigt werden, Klient*innen zum Thema Drogennotfall und der Anwendung von Naloxon zu schulen. Zur Halbzeit des Projekts wurden bereits über 600 Mitarbeiter*innen aus knapp 300 Einrichtungen der Aids- und Drogenhilfe sowie der Drogenselbsthilfe geschult. „Dies zeigt das große Engagement der Mitarbeiter*innen, mit dem erworbenen Fachwissen Drogengebraucher*innen in ihrer Einrichtung und Stadt zu schulen“, so Simon Fleissner, Projektkoordinator bei NALtrain.
„Mindestens 47-mal wurde das lebensrettende Medikament bisher bei einem Drogennotfall erfolgreich eingesetzt“, berichtet Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences, der NALtrain als Gesamtleiter betreut. „Ohne Naloxon hätten viele dieser Menschen die Opioidüberdosierung nicht überlebt.“
Skeptische Ärzt*innen zögern mit Rezepten
Doch die Zwischenbilanz des Projektes zeigt auch noch bestehende Defizite. Denn die Schulung zur Naloxon-Anwendung allein reicht nicht. Um an das Medikament zu kommen, benötigen ausgebildete Drogenkonsument*innen und Substitutierte ein Rezept. Bislang sind bundesweit noch nicht ausreichend Ärzt*innen dazu bereit, ein Nasenspray zu verschreiben.
Die Gründe sind wenig nachvollziehbar. Einige stehen dem gesamten Naloxon-Programm offenbar skeptisch gegenüber, da sie vermuten, dass Drogengebraucher*innen, wenn sie im Besitz eines Nasensprays sind, riskanter konsumieren würden. „Dafür gibt es keinerlei wissenschaftliche Evidenz“, sagt Dirk Schaeffer. Andere Ärzt*innen sorgten sich um ihr Budget. „Uns fehlt angesichts der hohen Zahl von opioidbedingten Todesfällen für die andauernde Verweigerung vieler Suchtmediziner*innen jegliches Verständnis“, so Dirk Schäffer weiter.
NALtrain richtet sich verstärkt an Ärzt*innenschaft
Schwerpunkt der zweiten Projektphase werde daher sein, bundesweit mehr Ärzt*innen für das Naloxon-Programm zu begeistern – Ärzt*innen, die dringend benötigt werden, um bis zum Ende des Modellprojektes tatsächlich rund 10.000 Menschen mit Naloxon versorgen zu können. Grundsätzlich ist die Verschreibung von Naloxon-Nasensprays allen niedergelassen Haus- und Fachärzt*innen möglich. Gemeinsam mit der Gesellschaft für Suchtmedizin soll nun das Modellprojekt auch in die breitere Ärzt*innenschaft getragen und noch gezielter über das Notfallmedikament aufgeklärt werden.
Wie dringlich die breite Unterstützung ist, zeigt die jüngste Entwicklung der drogenbedingten Todesfälle: Nach ersten Informationen ist die Zahl 2022 erneut angestiegen.
(ascho)
Mehr Informationen zum Einsatz von Naloxon im Notfall auf der Informationseite der DAH: https://www.naloxontraining.de/