Mehr Recht für Intersexuelle

Menschen, deren Geschlecht nicht eindeutig zuzuordnen ist, sollen im Personenstandsregister künftig „anderes“ eintragen können, so der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme zur Situation von Intersexuellen in Deutschland.

Schätzungen zufolge leben hierzulande rund 100.000 intersexuelle Menschen, deren Geschlecht bei der Geburt nicht eindeutig zu bestimmen war, weil Gene, Chromosomen, Geschlechtsorgane, sekundäre Geschlechtsmerkmale und Keimdrüsen nicht alle demselben Geschlecht zuzuordnen waren.

Bis Ende des 20. Jahrhunderts war es gängige Praxis, dass Ärzte oder Eltern entschieden, welchem Geschlecht intersexuelle Kinder zwangsweise zugeordnet werden sollten. Kastrationen, folgenschwere Verstümmelungen der Genitalien und gravierende Schäden der Psyche und Fortpflanzungsfähigkeit waren häufig die Folge.

Der Verein Intersexuelle Menschen e. V. wirft in seinem jüngsten Schattenbericht Medizinern vor, solche Behandlungen führe man deshalb durch, um ein Kind in die vorherrschende Geschlechtsnormierung „männlich“ und weiblich“ einzupassen. Der Staat habe daher gegen seine Pflicht zur Verhütung von Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verstoßen.

Der Deutsche Ethikrat spricht sich nun in seiner gestern veröffentlichten 110 Seiten starken Stellungnahme deutlich gegen frühzeitige unumkehrbare medizinische Maßnahmen zur Geschlechtszuordnung aus. Sie stellten „einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Wahrung der geschlechtlichen und sexuellen Identität und das Recht auf eine offene Zukunft und oft auch in das Recht auf Fortpflanzungsfreiheit dar.“

Das 28-köpfige Fachgremium empfiehlt daher, dass die Entscheidung über medizinische Eingriffe grundsätzlich von den Betroffenen selbst getroffen werden sollte. Nur im Fall von „unabweisbaren Gründen des Kindeswohls“ sollten angleichende Operationen bereits bei Kindern vorgenommen werden.

Zugleich regt der Ethikrat an, im Personenstandsrecht eine dritte Kategorie für das Geschlecht einzuführen. „Es sollte geregelt werden, dass bei Personen, deren Geschlecht nicht eindeutig feststellbar ist, neben der Eintragung als ‚weiblich’ oder ‚männlich’ auch ‚anderes’ gewählt werden kann. Zusätzlich sollte geregelt werden, dass kein Eintrag erfolgen muss, bis die betroffene Person sich selbst entschieden hat.“

Da eine staatlich anerkannte und rechtlich abgesicherte Ehe derzeit nur zwischen Mann und Frau möglich sei, soll nach Ansicht des Ethikrates Menschen mit dem Geschlechtseintrag „anderes“ die eingetragene Lebenspartnerschaft ermöglicht werden. Er spricht sich außerdem für einen Hilfsfonds für intersexuelle Menschen aus, die aufgrund der Behandlungen „Schmerzen, persönliches Leid, Erschwernisse und dauerhafte Einschränkungen ihrer Lebensqualität erlitten haben“.

Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lueders, hat die Stellungnahme als „richtungweisend und lange überfällig“ bezeichnet. Sie mahnte den Gesetzgeber nun zu einer raschen Umsetzung der Hinweise des Ethikrats an. Dazu zähle insbesondere auch die Forderung nach einem Hilfefonds für von Zwangsgeschlechtsumwandlung betroffenen Menschen und die finanzielle Unterstützung von Selbsthilfegruppen. „Die Betroffenen warten jetzt auf ein rasches Signal des Parlaments“, sagte Lueders am Mittwoch in Berlin.

(sho)