Leben retten – jetzt und auf lange Sicht!
Um die Zahl der drogenbedingten Todesfälle nachhaltig zu reduzieren, bedarf es zielgerichteter Maßnahmen. Ein entsprechender Plan wurde nun der Öffentlichkeit vorgestellt.
Mit in Deutschland offiziell 1.581 drogenbedingten Todesfällen wurde 2020 ein neuer Höchstwert der letzten zwei Jahrzehnte erreicht. Dabei ließen sich viele Leben retten. Doch bislang fehlt es am Willen der politisch Verantwortlichen, entsprechende Maßnahmen wie etwa die flächendeckende Einrichtung von Drogenkonsumräumen umzusetzen.
Heino Stöver, Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Siences, und Dirk Schäffer, Drogenreferent der Deutschen Aidshilfe, haben einen Maßnahmenplan erarbeitet, mit dem in einer konzertierten Aktion von Bund und Ländern solche Todesfälle nachhaltig reduziert werden könnten. Erstmals öffentlich vorgestellt wurde der „Maßnahmenplan für eine nachhaltige Reduktion drogenbedingter Todesfälle in Deutschland“ im Rahmen des diesjährigen Alternativen Drogen- und Suchtberichts.
Naloxon flächendeckend verfügbar machen
Einer der zentralen Punkte ist die flächendeckende Verteilung von Naloxon: Das Notfallmedikament hebt innerhalb weniger Minuten die atemlähmende Wirkung von Opioiden wie Heroin auf und verhindert damit Todesfälle infolge von Überdosierungen; als Nasenspray ist es zudem leicht anwendbar.
Es müssen Strukturen aufgebaut werden, damit möglichst alle Opioidkonsument*innen, Menschen in Substitutionsbehandlung und Zu- und Angehörige sowie darüber hinaus das Drogenhilfesystem und Einrichtungen wie Polizeiarreste, Gefängnisse und „Entziehungsanstalten“ mit Naloxon ausgestattet sind. Mit dem im Juli 2021 gestarteten Modellprojekt NALtrain wurde hierfür ein wichtiger Grundstein gelegt.
Ergänzend dazu müssen Mitarbeiter*innen der Aids- und Drogenhilfe sowie Straffälligen- und Bewährungshilfe zu Erste-Hilfe-Maßnahmen, Safer-Use-Trainings und Konsumkontrollprogrammen fortgebildet werden, um Drogengebraucher*innen entsprechende Angebote machen zu können.
Substitutionsbehandlung individualisieren und niedrigschwellig gestalten
Gefordert wird auch eine Strukturreform für die opioidgestützte Substitutionsbehandlung. Um mehr Menschen mit Opioidabhängigkeit die Substitution zu ermöglichen, muss die Behandlungsform individualisiert und der Zugang niedrigschwelliger gestaltet werden – zum Beispiel durch Telemedizin und wohnortnahe Behandlungsmodelle, durch Substitution unter dem Dach der Drogenhilfe und durch die Anerkennung der Substanz Diamorphin als First-Line-Medikament.
Des Weiteren muss die Substitutionsbehandlung auch im Justiz- und Maßregelvollzug zum Standard werden, und Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation, die vor allem auf ein Abstinenzziel ausgerichtet sind, müssen sich auch für Substituierte öffnen.
Szenenahes Drug-Checking mit begleitender Beratung
Ein weiterer Punkt des Maßnahmenplans betrifft den Konsum von Amphetaminen und Metamphetaminen: Die Zahl der Menschen, die diese psychoaktiven Substanzen konsumieren, steigt stetig – und leider auch die Zahl der damit in Verbindung stehenden Todesfälle. Zielgerichtete medizinische und soziale Hilfestellungen fehlen jedoch derzeit fast völlig. Dringend erforderlich ist deshalb die wissenschaftliche Untersuchung von Substitutionsmöglichkeiten bei Amphetaminabhängigkeit sowie die Umsetzung von Angeboten wie szenenahem Drug-Checking mit begleitender Beratung.
Kontinuierliches wissenschaftliches Monitoring zu Drogengebrauch
Um auch in Zukunft passgenaue Hilfen zur Prävention von Drogennot- und Drogentodesfällen entwickeln und anbieten zu können, ist zudem ein kontinuierliches wissenschaftliches Monitoring des Wissens und Verhaltens von Drogengebraucher*innen Teil des Maßnahmenplans.
Vollständig nachzulesen ist er ab Seite 99 des von akzept e.V. herausgegebenen „8. Alternativen Drogen- und Suchtberichts 2021“ (kostenfrei als PDF abrufbar unter www.alternativer-drogenbericht.de).
(ascho)