Lachende Gesichter im Berufsverkehr

Das Gesicht von Jean-Luc Tissot ist nicht zu übersehen. Riesengroß prangt das Foto auf der Straßenbahn. Gleich links neben der Tür lächelt der 65-Jährige die einsteigenden Fahrgäste an. Das großformatige Porträt und die kurze Lebensgeschichte darunter machen darauf aufmerksam, dass man mit HIV und Aids ein normales Leben führen kann. So wie Jean-Luc, der seit 1987 von seiner Infektion weiß.

„Leben. Mit Aids“ heißt die Informationskampagne, die am 7. Juni Fahrt aufgenommen hat. Als „Lebensbahn“ flitzt das silbergraue Fahrzeug nun für ein halbes Jahr im üblichen Linienverkehr durch Hannover. Neben Jean-Luc sind neun weitere HIV-positive Menschen aus Niedersachsen abgebildet. „Aids ist in der Gesellschaft angekommen, aber die Gesellschaft hat es nicht bemerkt“, sagt Jean-Luc, der das Kunstprojekt für die Niedersächsische AIDS-Hilfe betreut hat. Noch immer kursierten viele Vorurteile über Menschen, die sich mit HIV infiziert haben, kritisiert er. „Beruflich gelten wir als schwer vermittelbar, moralisch als Versager, und juristisch als potenzielle Täter.“

Diesem Zerrbild widersprechen die lachenden Gesichter der Abgebildeten und ihre lebensfrohen Statements: „Dank guter Medikamente lebe ich schon über 20 Jahre mit HIV. Ich habe noch vieles vor“, verkündet zum Beispiel die 51-jährige Marika. Nachzulesen ist ihr Statement auch auf sogenannten Swing Cards, die an den Haltestangen in der Bahn baumeln. Im Fahrgastfernsehen macht ein Spot auf die Aktion aufmerksam. „Wir werben für einen gesunden Umgang mit Aids“, erklärt Jean-Luc die ungewöhnliche Aktion. „Wir fordern mehr Respekt für Menschen mit HIV und Aids und wollen jeden Einzelnen anregen, verantwortlich mit der Möglichkeit einer HIV-Infektion umzugehen.“

Die freundliche Aufforderung an die Fahrgäste lautet: „Machen Sie Bekanntschaft mit unseren Geschichten – ohne Mitleid, ohne Scheu, ohne Angst, ohne Vorurteile, ohne Abwehr … vielleicht neugierig, zugewandt, freundschaftlich, lebensfroh.“ Die Porträts sollen zeigen, dass HIV keine abstrakte Gefahr ist, sondern ganz konkrete Menschen betrifft. Fotografiert und umgesetzt hat die Idee der 1968 in Hannover geborene Künstler Hannes Malte Mahler. Farbige Linien wie im Verkehrsnetzplan der Stadt Hannover verknüpfen die Lebensbahnen der zehn Positiven.

Am 16. Juni wird die Straßenbahn außerplanmäßig vor dem Hannover Congress Centrum halten, wo vom 15. bis 18. Juni der Deutsch-Österreichische AIDS-Kongress (DÖAK) tagt. Unter dem Motto „Wissen schafft dir Perspektiven“ informieren sich und 1.500 Ärzte, Wissenschaftler und HIV-Aktivisten über den Stand der HIV-Forschung. „Die Aktion soll unterstreichen, dass nicht nur Mediziner am Kongress teilnehmen, sondern auch Menschen mit HIV und ihre Angehörigen“, erklärt Jean-Luc Tissot.

Mit der Lebensbahn greifen die Hannoveraner eine bewährte Idee auf: Schon 2009 fuhren unter dem Motto „Aids braucht positive Gesichter“ Trambahnen mit Positivenporträts durch Braunschweig. Jean-Luc Tissot hat sich damals besonders über einen Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) gefreut. „Da dachte ich mir: Wenn wir es mit dem Braunschweiger Nahverkehr bis nach Frankfurt schaffen, haben wir unsere Sache gut gemacht.“

 

(Philip Eicker)

 

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