Fast die Hälfe aller Kinder mit HIV bekommen keine Medikamente
Ernüchternde Bilanz: Die UNAIDS-Initiative Start Free, Stay Free, AIDS Free hat ihr Ziel verfehlt, HIV und Aids bei Kindern, Jugendlichen und jungen Frauen weitgehend zu beenden.
Dieses Fazit zieht die Aids-Organisation der Vereinten Nationen im Abschlussbericht vom Juli 2021.
Viele Maßnahmen der Initiative, die unter anderem auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und UNICEF getragen wurde, seien ins Stocken geraten, Ungleichheiten hätten zugenommen – zuletzt auch durch Einschränkungen wichtiger Aufklärungsprogramme rund um die sexuelle und reproduktive Gesundheit infolge der Corona-Pandemie.
HIV-Ungleichheiten sind bei Kindern besonders stark ausgeprägt
„Bei Kindern ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine lebensrettende Behandlung erhalten, um fast 40 Prozent geringer als bei Erwachsenen“, so UNAIDS-Vizedirektorin Shannon Hader.
Die Folge: Obwohl Kinder nur fünf Prozent der Menschen mit HIV ausmachen, entfallen 15 Prozent der aidsbedingten Todesfälle auf sie.
Weltweit lebten Ende 2020 rund 1,7 Millionen Kinder mit HIV, 800.000 von ihnen (46 Prozent) hatten keinen Zugang zu lebensrettenden Medikamenten. Die absolute Zahl der Kinder unter Therapie ist 2020 sogar erstmals gesunken.
Zum Vergleich: Bei den Erwachsenen bekommen 74 Prozent HIV-Medikamente.
150.000 Kinder haben sich 2020 mit HIV infiziert: fast achtmal so viel wie die von der Initiative angestrebte Zahl von 20.000.
Politischer Wille ist gefragt
Das Nichterreichen der Ziele ist auch Folge verpasster Gelegenheiten und mangelnden politischen Willens:
- Noch immer bekommen nur 85 Prozent aller Schwangeren mit HIV Medikamente – die Kinder nicht behandelter Schwangerer können sich im Mutterleib, bei der Geburt oder beim Stillen infizieren.
- Mehr als ein Drittel der Kinder von Müttern mit HIV wurden nach der Geburt nicht getestet. Ohne HIV-Medikamente aber sterben etwa 50 Prozent Kinder mit HIV vor ihrem zweiten Geburtstag.
UNAIDS hält weiterhin am Ziel fest, Aids bis 2030 zu beenden. In der Politischen Erklärung zu HIV und Aids vom Juni 2021 haben die Vereinten Nationen neue Ziele bis 2025 festgelegt, um dieses Ziel zu erreichen. Im Mittelpunkt stehen darin die besonders von HIV und Aids bedrohten und betroffenen Schlüsselgruppen und der Abbau von Ungleichheit.
Mit Blick auf Kinder, Jugendliche und Frauen seien unter anderem drei Punkte wichtig, heißt es in der Pressemitteilung anlässlich der Vorstellung des Berichts:
1. Allen Schwangeren so früh wie möglich Tests und eine kontinuierliche Behandlung anbieten.
2020 gab es 66.000 neue HIV-Infektionen unter Kindern, weil ihre Mütter in der Schwangerschaft und während des Stillens keine HIV-Medikamente bekamen.
2. Kontinuität der HIV-Behandlung und Unterdrückung der Virusvermehrung in der Schwangerschaft und während des Stillens sicherstellen.
38.000 Kinder haben sich 2020 mit HIV infiziert, weil das bei ihren Müttern nicht geschah.
3. Neue HIV-Infektionen bei Schwangeren und Stillenden verhindern.
35.000 Kinder haben sich 2020 mit HIV infiziert, weil ihre Mütter sich in der Schwangerschaft oder der Stillzeit infiziert haben.
Um Mutter-Kind-Übertragungen zu verhindern, bedürfe es dabei auch innovativer Ansätze, um Frauen während ihrer gesamten Lebenszeit zu unterstützen. Dies schließe verstärkte Bemühungen bei der Primärprävention (zum Beispiel durch die medikamentöse HIV-Prophylaxe PrEP) und den Zugang zu umfassender reproduktiver Versorgung ein, so Chip Lyons, Präsident und Geschäftsführer der Elizabeth Glaser Pediatric AIDS Foundation.
(ascho/hs)
Link zum Abschlussbericht der Initiative „Start Free, Stay Free, AIDS Free”: https://www.unaids.org/sites/default/files/media_asset/2021_start-free-stay-free-aids-free-final-report-on-2020-targets_en.pdf
Link zur Pressemitteilung anlässlich der Vorstellung des Abschlussberichts: https://unaids.org/en/resources/presscentre/pressreleaseandstatementarchive/2021/july/20210721_start-free-stay-free-aids-free