100 % Schutzwirkung bei HIV-Prophylaxe mit halbjährlicher Lenacapavir-Spritze

In München wurden am 24.7. die Daten zur PURPOSE-1-Studie vorgestellt: Das halbjährlich als Spritze gegebene HIV-Medikament Lenacapavir senkte das HIV-Risiko der cis Frauen um 100 Prozent.

Eingeschlossen in die PURPOSE-1-Studie waren 5.338 HIV-negative junge cis Frauen von 16 bis einschließlich 25 Jahren an 25 Studienzentren in Südafrika und 3 in Uganda.

Die Ergebnisse zeigen laut Lenacapavir-Hersteller Gilead, dass die Schutzwirkung von Lenacapavir als HIV-Prophylaxe PrEP noch besser ist als bei den Wirkstoffkombinationen Tenofovirdisoproxil (TDF) oder Tenofoviralafenamid (TAF) plus Emtricitabin (FTC) in Tablettenform, die über einen längeren oder kürzeren Zeitraum täglich eingenommen werden.

Lenacapavir: Großes Potenzial für die HIV-Prävention

UNAIDS-Chefin Winnie Byanyima sagte, die lang wirkende HIV-PrEP könne enorme Auswirkungen auf die HIV-Epidemie haben. „Wir wollen, dass diese Wundermittel der Prävention alle Menschen erreichen, die sie brauchen“, so Byanyima.

Auch Sharon Lewin, Präsidentin der Internationalen Aids-Gesellschaft (IAS) und Ko-Vorsitzende der Internationalen Aids-Konferenz AIDS 2024 in München, sprach von einem „bahnbrechenden Fortschritt“ und einem „enormen Potenzial für die öffentliche Gesundheit“. Wenn Lenacapavir für die HIV-PrEP zugelassen werde, müsse es für alle erschwinglich und zugänglich sein, die es brauchten oder wollten, so Lewin weiter.

Lenacapavir: Bisher nur zur Behandlung zugelassen – und teuer

Lenacapavir ist bisher nur zur Behandlung für Menschen mit HIV zugelassen, die aufgrund von Resistenzen kaum andere Behandlungsmöglichkeiten haben, also noch nicht zur HIV-PrEP- In Deutschland hat der Hersteller Gilead das Mittel nicht auf den Markt gebracht, weil ihm der erwartete Preis zu niedrig war.

In den USA wird Lenacapavir für rund 40.000 Dollar pro Person und Jahr verkauft. Laut Berechnungen eines Teams um den Wissenschaftler Dr. Andrew Hill aus Liverpool könnte Gilead das Medikament für um die 40 Dollar produzieren, wenn es 10 Millionen Individuen zur Verfügung gestellt wird. Hill brachte auch Zwangslizenzen ins Spiel.

Auf der Internationalen Aids-Konferenz in München (#AIDS2024, 22.–26.7.) protestierten HIV-Aktivist*innen aus aller Welt gegen „Gilead Greed“ (Gilead-Gier) und forderten den Konzern auf, schnell zu handeln – zum Beispiel durch Freigabe der Produktion von Lenacapavir.

Weitere Informationen:

Die „Access Campaign“ von Médecins Sans Frontières fordert Gilead auf, Lenacapavir zur HIV-Prävention für alle erschwinglich zu machen (23.07.2024, auf Englisch)

Die International Treatment Preparedness Coalition ITPC bietet ebenfalls Hintergründe zu Lenacapavir und möglichen Produktionspreisen (23.07.2024, auf Englisch)

Details zur PURPOSE-1-Studie (Lenacapavir zur HIV-PrEP)

Bei PURPOSE-1 handelt es sich um eine doppelblinde, randomisierte und placebokontrollierte Kontrollstudie.

Teilnehmerinnen

Zur Teilnahme aufgerufen waren junge Frauen von 16 bis einschließlich 25 Jahren aus Südafrika und Uganda, die Sex mit männlichen Partnern hatten, keine HIV-PrEP nutzten und ihren aktuellen HIV-Status nicht kannten (das heißt, in den drei Monaten vor Studienbeginn keinen HIV-Test gemacht hatten). Wurde eine HIV-Infektion festgestellt, konnten die Frauen in örtlichen Gesundheitszentren eine HIV-Behandlung beginnen. Aufgenommen in die Studie wurden nur Frauen ohne HIV.

Gruppen

Aufgeteilt wurden die Teilnehmerinnen in drei Gruppen:

  • 2.134 Frauen bekamen alle halbe Jahre eine Lenacapavir-Spritze und für die tägliche Einnahme Placebo-Tabletten anstelle der PrEP-Wirkstoffkombinationen Tenofoviralafenamid (TAF) plus Emtricitabin (FTC) und Tenofovirdisoproxil (TDF) plus Emtricitabin.
  • 2.136 Frauen bekamen für dir tägliche Einnahme TAF plus FTC und Placebos von TDF plus FTC sowie alle sechs Monate eine Placebo-Spritze anstelle von Lenacapavir.
  • 1.068 Frauen bekamen für die tägliche Einnahme TDF plus FTC und Placebos von TAF plus FTC sowie alle sechs Monate eine Placebo-Spritze anstelle von Lenacapavir.

Zentren

Begleitet wurden die Studienteilnehmerinnen an 25 Zentren in Südafrika und 3 in Uganda. Alle lagen in Gegenden, in welchen die HIV-Inzidenz (die Zahl der Menschen eines Gebietes, die sich in einem bestimmten Zeitraum mit HIV-infizieren) bei mindestens 3,5 pro 100 Personenjahre liegt.

Nach Aufnahme in die Studie kamen die Teilnehmerinnen nach 4, 8, 13 und dann jeweils 13 Wochen zu Kontrollterminen.

Angeboten wurden ihnen auch kostenlose interne und externe Kondome sowie Gleitmittel, auf Wunsch kostenlose Verhütungsmittel oder Beratungen rund um die reproduktive Gesundheit.

Inzidenzen

Inzidenz bezeichnet die Zahl der Erkrankungen in einem bestimmten Gebiet und in einem bestimmten Zeitraum. Oft wird mit „pro 100 Personenjahre“ gerechnet.

Ein Beispiel (mit Dank an EUPATI, die European Patients’ Academy on Therapeutic Innovation): Wenn 15 Patient*innen 20 Jahre lang an einer Studie teilnehmen, umfasst die Studie 300 Personenjahre (15 x 20). Diese Zahl kann durch die Anzahl der Patient*innen geteilt werden, die von einem bestimmten Zustand oder Ereignis betroffen waren – bei der PURPOSE-1-Studie also von einer HIV-Infektion. Wenn sechs von 15 Patient*innen sich im Zeitraum von 20 Jahren mit einer Krankheit infizieren, so entspricht dies 2,0 Infektionen je 100 Personenjahre.

  • In der Lenacapavir-Gruppe gab es keine einzige HIV-Infektion (Inzidenz: 0 pro 100 Personenjahre).
  • In der TAF+FTC-Gruppe gab es 39 HIV-Infektionen (Inzidenz: 2,02 pro 100 Personenjahre).
  • In der TDF+FTC-Gruppe gab es 16 Infektionen (Inzidenz: 1,69 pro 100 Personenjahre).

Adhärenz und Hintergrundinzidenz

Die Adhärenz (das Befolgen der Therapieziele) in den TAF- und TDF-Gruppen war gering und nahm über den Studienzeitraum ab. Das heißt: Viele Teilnehmerinnen nahmen weniger als 2 Tabletten pro Woche ein – empfohlen wird 1 Tablette täglich.

Die Inzidenzen in den Studiengruppen wurden mit der Inzidenz in der Gesamtgruppe der Frauen verglichen, die an der Studie teilnehmen wollten – also einschließlich jener, bei denen eine HIV-Infektion festgestellt wurde. Auf diese Weise wurde die Schutzwirkung des jeweiligen Medikaments errechnet.

Von 8.094 Frauen wurden 511 positiv auf HIV getestet. Die „Hintergrundinzidenz“ insgesamt betrug damit 2,41 pro 100 Personenjahre.

  • In der Lenacapavir-Gruppe war die HIV-Inzidenz mit 0 pro 100 Personenjahre signifikant niedriger als die „Hintergrundinzidenz“ mit 2,41.
  • In der TAF+FTC-Gruppe unterschied sich die Inzidenz (2,02 pro 100 Personenjahre) kaum von der Hintergrundinzidenz.
  • Auch in der TDF+FTC-Gruppe lag die Inzidenz von 1,69 pro 100 Personenjahre nur unwesentlich unter der Hintergrundinzidenz.

Nebenwirkungen von Lenacapavir

Während der Studie wurden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen festgestellt. Vier Frauen schieden wegen unerwünschter Wirkungen an der Einstichstelle aus der Studie aus.

(hs, Studienbeschreibung geprüft von Dr. Tamás Bereczky)