Gedenktag 21. Juli: Viele Drogentote könnten noch leben
Deutsche AIDS-Hilfe: Der Toten gedenken, die Lebenden schützen / Keinerlei Verständnis mehr für unterlassene Hilfsangebote / Kurswechsel in der Drogenpolitik ist überfällig
1.333 Drogen konsumierende Menschen sind im Jahr 2016 in Deutschland gestorben – zum großen Teil, weil Hilfsangebote fehlten. Am heutigen Internationalen Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher erinnert die Deutsche AIDS-Hilfe an diese Menschen – und daran, dass sie mit einer anderen Drogenpolitik noch leben könnten.
Dazu erklärt Björn Beck vom Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe:
„Seit 2012 ist die Zahl der Todesfälle um mehr als 40 Prozent gestiegen und die Politik schaut zu. Längst gibt es wissenschaftlich abgesicherte Maßnahmen, die Todesfälle verhindern und Gesundheitsschäden reduzieren. Dass sie in Deutschland ungenutzt bleiben, ist nicht hinnehmbar. Menschen sterben, Menschen verlieren ihre Angehörigen – und niemand schreitet ein. Wir sind zutiefst erschüttert und haben dafür keinerlei Verständnis.“
Gesundheit schützen statt Menschen verfolgen
Im Mittelpunkt des diesjährigen Gedenktages steht das Thema Menschenwürde. Das Menschenrecht auf den bestmöglichen erreichbaren Gesundheitszustand gebietet eine Drogenpolitik, die gesundheitliche Schäden reduziert und Drogen konsumierende Menschen gesundheitlich und sozial stabilisiert.
Folgende Maßnahmen kommen nicht oder zu wenig zum Einsatz:
- Drogenkonsumräumen retten Leben, verhindern HIV- und Hepatitisinfektionen und bieten Hilfe an. Trotzdem gibt es sie nur in sechs Bundesländern.
- Das Medikament Naloxon rettet im Fall einer Überdosis Heroin Menschenleben. Doch weder auf Bundesebene noch in den Ländern wird das billige Präparat Konsumierenden zur Verfügung gestellt. (In den USA sind derweil viele Polizisten regulär damit ausgestattet.)
- Drugchecking, die Vor-Ort-Überprüfung von Drogen auf Wirkstoffgehalt und Reinheitsgrad, hat sich in vielen Nachbarländern bewährt – in Deutschland bleibt es verboten.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung hat ihre Möglichkeiten der Strategiebildung im Bereich der Schadensminderung (Harm Reduction) in dieser Legislaturperiode ungenutzt gelassen. Viele Landesregierungen bleiben ebenfalls untätig. Es herrscht Stillstand.
Neue Drogenpolitik wäre gut für alle
Dabei bräuchte Deutschland über die genannten Maßnahmen hinaus einen Kurswechsel in der Drogenpolitik. Die Strafverfolgung von Drogenkonsument_innen ist kontraproduktiv: Sie führt unter anderem dazu, dass Menschen schneller abstürzen und für Hilfsangebote schwerer erreichbar sind.
„Der Kurswechsel ist überfällig. Drogenpolitik muss auf Unterstützung der Menschen statt auf Verfolgung setzen. Das ist gut für die Konsumenten und die Gesellschaft“, betont Björn Beck.
Die DRUCK-Studie – initiiert vom Bundesgesundheitsministerium, durchgeführt vom Robert-Koch-Institut – hat wertvolle Erkenntnisse geliefert und erheblichen Handlungsbedarf bezüglich der Infektionsprophylaxe offenbart. Daraus sind bereits wegweisende Projekte erwachsen, etwa Testangebote in Großstädten, auch in Kooperation mit staatlichen Stellen.
„Nachhaltig erfolgreich können wir aber nur sein, wenn sich Drogenpolitik grundlegend ändert und der Schutz der Gesundheit von Konsumenten ernstgenommen wird“, sagt DAH-Vorstand Björn Beck.
Immer mehr Tote auch international
Der Anstieg von drogenbedingten Todesfällen ist nicht nur in Deutschland zu verzeichnen: In Europa stieg die Zahl 2016 um 6 Prozent auf 8.400 Fälle – zum dritten Mal infolge. Weltweit sind 2016 190.000 Menschen an den Folgen des Drogenkonsums sowie an Verfolgung und Marginalisierung gestorben.
In mehr als 100 Städten auf mehreren Kontinenten gedenken heute Menschen ihrer verstorbenen Angehörigen, Freund_innen und Mitstreiter_innen.