Die Fachwelt warnt vor einem Sexkaufverbot
Gemeinsame Pressemitteilung
Debatte über Prostitution: Verbände und Beratungsstellen informieren über Gefahren einer Kriminalisierung und sinnvolle Alternativen
Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25.11. haben Fachverbände und Beratungsstellen heute ein Positionspapier zur beginnenden Diskussion über ein so genanntes Sexkaufverbot vorgestellt. Sie zeigen darin anhand internationaler Studien: Jede Form der Kriminalisierung der Prostitution schadet den Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind.
Die Organisationen reagieren mit dieser Expertise auf die Absicht einiger Bundestagsabgeordneter aus verschiedenen Parteien, die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen unter Strafe zu stellen. Ein entsprechender Antrag wird auch auf dem kommenden SPD-Bundesparteitag erwartet.
Prostituierten drohen neue Gefahren
Die Behauptung, Prostituierte könnten so vor Zwang und Menschenhandel geschützt werden, weisen die Fachleute zurück. Ganz im Gegenteil: Gerade Prostituierte in prekären und gefährlichen Lagen würden besonders geschädigt, weil sie weiter marginalisiert und sichere Arbeitsbedingungen verhindert würden. Der Zugang zu Hilfe und Beratung würde enorm erschwert.
Wissenschaftliche Evidenz
Die Studien sind eindeutig: Eine Kriminalisierung erhöht das Risiko der Betroffenen, Opfer von Gewalt und anderen Straftaten zu werden oder sich sexuell übertragbare Infektionen wie HIV zuzuziehen. Wer wirklich etwas für Menschen in der Sexarbeit tun will, muss ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern. Das gilt ganz besonders für Frauen mit aufenthaltsrechtlichen Problemen und ohne Krankenversicherung.
Sichere Arbeitsbedingungen erhalten
Das Sexkaufverbot hingegen würde außerdem auch Verbote des Betriebs von Bordellen und Zimmervermietungen nach sich ziehen – und damit den Aufbau sicherer Arbeitsbedingungen illegalisieren.
Dazu sagt Johanna Thie, Fachreferentin „Hilfen für Frauen“ der Diakonie Deutschland - Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V.: „Die aufflammende Diskussion erfüllt uns mit tiefer Sorge. Sie geht in die völlig falsche Richtung und verkennt die Realität in Prävention und Sozialarbeit. Gerade bereits marginalisierte Gruppen wie Migrantinnen, Trans* oder Drogen konsumierende Menschen würden geschädigt. Was die Menschen in der Prostitution schützen soll, könnte ihnen am Ende zum Verhängnis werden.“
Claudia Zimmermann-Schwartz, Vizepräsidentin des Deutschen Juristinnenbundes e.V., erläutert: „Ein Sexkaufverbot würde auch die Rechte derjenigen berühren, die diese Tätigkeit ausüben. Laut Bundesverfassungsgericht fällt Prostitution unter die verfassungsrechtlich geschützte Berufsfreiheit. Der Anspruch, Menschen schützen zu wollen, rechtfertig nicht die Verletzung von Grundrechten. Dies gilt umso mehr, als ein Sexkaufverbot nicht geeignet ist, Menschenhandel zu verhindern.“
Susanne Kahl-Passoth, Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, erklärt: „Prostitution und Menschenhandel oder Zwangsprostitution müssen getrennt betrachtet werden. Es gibt Frauen, die selbstbestimmt mit Prostitution ihr Einkommen verdienen. Menschenhandel hingegen ist eine Verletzung der Menschenrechte. Heute können Polizei und Sozialarbeit in gewerblichen Räume zeigen, dass sie ansprechbar sind. Mit einem Sexkaufverbot würde Prostitution in nicht kontrollierbare Räume verlagert, wo die betroffenen Frauen noch weniger als heute erreicht werden könnten.“
Sven Warminsky, Vorstand der Deutschen Aidshilfe, berichtet: „Alle Erfahrungen in der HIV-Prävention zeigen: Grundlage, um Menschen zu erreichen, sind Akzeptanz und Respekt. Wer Menschen ins Verborgene drängt, sorgt dafür, dass sie keine sicheren Arbeitsbedingungen aufbauen können und dass sie für Prävention und Hilfsangebote nicht mehr erreichbar sind. Die Vorstellung, das älteste Gewerbe der Welt durch Verbote beenden zu können, ist dabei gleichermaßen naiv wie bevormundend.“
Andrea Hitzke, Leiterin der Dortmunder Mitternachtsmission e.V. – Beratungsstelle für Prostituierte, Ehemalige und Opfer von Menschenhandel: „Eine repressive Gesetzgebung würde das Vertrauensverhältnis der Prostituierten zu den Anlaufstellen zerstören und so den Zugang zum Hilfesystem drastisch erschweren. Statt einer Zerschlagung brauchen wir den Ausbau des etablierten Hilfesystems. Ziel der sozialen Arbeit muss stets sein, Selbstbestimmung und Selbstbehauptung zu stärken.“
Claudia Rabe, Koordinatorin von contra – Fachstelle gegen Frauenhandel in Schleswig-Holstein im Frauenwerk der Nordkirche betont: „Zweifelsohne müssen Betroffene von Menschenhandel, Ausbeutung und Gewalt besser geschützt werden. Nötig sind zum Beispiel umfassende Schutzrechte unabhängig von Aufenthaltsfragen, ein Zeugnisverweigerungsrecht für Beratende und flächendeckende Verfügbarkeit von Fachberatungsstellen.“
Differenzierte Angebote absichern
Das Positionspapier nennt viele weitere sinnvolle Ansatzpunkte und macht deutlich: Prostitution mit Gewalt gleichzusetzen, verhindert letztlich wirksame Maßnahmen.
Die Lebenssituation und die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter_innen in Deutschland sind sehr vielfältig. Allen gemein ist eines: So lange sie ihrer Tätigkeit nachgehen, brauchen sie gesetzliche Rahmenbedingungen, um dies möglichst sicher tun zu können. Sie brauchen Zugang zu medizinischer Versorgung und differenzierten Präventions-, Beratungs- und Hilfsangeboten, die in der individuellen Situation passende Hilfe anbieten, die natürlich auch Unterstützung zum Ausstieg beinhalten kann.
Deutsche Aidshilfe
Deutscher Frauenrat e.V.
Deutscher Juristinnenbund e.V.
Diakonie Deutschland – Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.
Dortmunder Mitternachtsmission e.V. – Beratungsstelle für Prostituierte, Ehemalige und Opfer von Menschenhandel
contra e.V. Kiel – Fachstelle gegen Frauenhandel in Schleswig-Holstein
Nachtrag am 1.7.2020: Das Positionspapier wurde mittlerweile von weiteren Organisationen unterzeichnet. Sie sind im Dokument aufgelistet.