Fach-Organisationen warnen: Behandlung heroinabhängiger Menschen in Gefahr
„Initiative für Substitutionsversorgung“ legt 10-Punkte-Papier vor. Ziel: Versorgungssicherheit bei der Therapie Opioidabhängiger. Corona ist dabei Herausforderung und Chance zugleich.
Die Versorgung von heroinabhängigen Menschen mit Substitutionstherapien in Deutschland ist auf Dauer nicht mehr gewährleistet. In Zeiten von Corona steigt zudem der Bedarf und die Versorgung mit Substitutionsmitteln wie Methadon findet unter erschwerten Bedingungen statt. Ein breiter Zusammenschluss der Fachwelt unterbreitet der Politik darum in einem 10-Punkte-Papier Lösungsvorschläge für diese Probleme. Ziel: langfristige Versorgungssicherheit.
20 Fachgesellschaften, darunter die Deutsche Aidshilfe (DAH), Patient_innen- und weitere Organisationen haben sich zu diesem Zweck in der „Initiative Substitutionsversorgung opioidabhängiger Patient*innen“ zusammengeschlossen. Unterstützung erfährt der Vorstoß von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU).
Behandlung in Gefahr
Die Behandlung mit einem Medikament, das die Droge ersetzt, ist die Standardtherapie bei Opioidabhängigkeit. Sie schützt Leben und Gesundheit der Betroffenen und verhindert gesellschaftliche Folgeschäden wie Beschaffungskriminalität.
Ziel muss daher sein, eine Substitutionstherapie möglichst vielen drogenabhängigen Menschen zu ermöglichen. Stattdessen gibt es jetzt schon weiße Flecken auf der Versorgungslandkarte.
„Bei einer Standardtherapie darf es keine Versorgungslücken geben“, sagt Ulf Kristal vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe. „Politik und Kostenträger müssen nun die Bedingungen schaffen, dass flächendeckend ausreichend Substitutionsplätze zur Verfügung gestellt werden können.“
Immer weniger substituierende Ärzt_innen
Das Problem: Immer mehr Substitutionsärzt_innen, die in der Anfangszeit dieser Therapieform in den 90ern begonnen haben, gehen in Rente. Für den ärztlichen Nachwuchs ist diese Spezialisierung nicht attraktiv: Das Klientel gilt als schwierig, mit den Drogenkonsument_innen werden auch die Praxen stigmatisiert. Der bürokratische Aufwand zur Gewährleistung der Betäubungsmittelsicherheit ist hoch, die Vergütung bescheiden.
Mehr Angebote und bessere Bedingungen schaffen
Abhilfe schaffen könnten vor allem mehr Unterstützung und eine angemessene Bezahlung für die Praxen und Ambulanzen. Die Vergütung darf zum Beispiel nicht darunter leiden, wenn Medikamente mit nach Hause gegeben werden – das veranlasst Behandelnde zurzeit nicht selten, auf diese wichtige Option zu verzichten.
Regularien gilt es generell so einfach wie möglich zu gestalten. In Drogenhilfeeinrichtungen könnten weitere, leicht erreichbare Substitutionsangebote entstehen. Für eine effiziente Vergabe der Medikamente könnten außerdem Apotheken, Suchtkliniken und Pflegeheime genutzt werden, wie es teilweise in anderen Ländern bereits üblich ist.
Eine leichte Erreichbarkeit der Angebote ist zurzeit besonders wichtig, weil viele drogenabhängige Menschen im Moment durch kalten Entzug in hoch gefährliche Situationen geraten. Durch die Corona-Krise sind auch Drogen oft nicht mehr verfügbar. Zudem sind Wege zur Beschaffung von Geld verstellt.
Für eine langfriste Absicherung der Versorgung mit Substitution müssen alle Beteiligten im Medizin- und Hilfesystem sich besser vernetzen. Suchtmedizin muss außerdem in der medizinischen Ausbildung einen höheren Stellenwert bekommen. Die Politik kann bei diesen Zielen wichtige Impulse geben und die Beteiligten an einen Tisch bringen.
Corona eröffnet Möglichkeiten
Viele Erleichterungen für substituierende Einrichtungen hat die Politik bereits geschaffen. So ist es zum Beispiel möglich, Patient_innen eine größere Menge der Medikamente mit nach Hause zu geben. Viele müssen nun nicht mehr täglich in die vollen Praxen kommen, wo Abstandsgebote schwer umsetzbar sind.
„Die Corona-Krise bietet auch eine Chance“, betont DAH-Vorstand Ulf Kristal. „Die bereits umgesetzten Vereinfachungen sind sehr erfolgreich. Wir können daraus lernen, dass wir noch mehr Menschen mit Substitution versorgen können, wenn wir diese Behandlungsform mit vereinten Kräften weiterentwickeln und vereinfachen. Wenn wir jetzt die Weichen richtig stellen, könnte die Substitution aus der Krise sogar gestärkt hervorgehen.“
Aktuelle Situation
Zurzeit wird etwa die Hälfte der 160.000 opioidabhängigen Menschen in Deutschland mit einer Substitutionsbehandlung erreicht. Zukünftig würden nach bisherigem Stand selbst diese nicht mehr ausreichend versorgt werden können.
„Die Folgen abgebrochene Substitutionstherapien sind lebensbedrohlich“, warnt Kristal. „Das vorliegende Papier enthält zum Glück die geballte Expertise und Erfahrung der Fachwelt aus drei Jahrzehnten, um die Erfolgsgeschichte der Substitution in Deutschland fortzuführen.“
Eine Liste der an der Initiative beteiligten Organisationen findet sich im Eckpunktepapier auf Seite 15 (siehe Dateianhang unten auf dieser Seite).