Deutsche Aidshilfe zu HIV-Infektionszahlen: Erfolg ausbauen, Lücken schließen
Kontinuierlicher Rückgang von HIV-Neuinfektionen, erste Erfolge beim Bemühen um mehr frühe Diagnosen – aber immer noch viele vermeidbare Infektionen und Aids-Erkrankungen
Die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland ist erneut gesunken. 2.400 Menschen infizierten sich im Jahr 2018, etwa 100 weniger als im Vorjahr. Damit geht die Zahl seit 2015 zurück. Das hat heute das Robert-Koch-Institut (RKI) mitgeteilt.
Dazu erklärt Sylvia Urban vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH):
„Der Rückgang bei den Neuinfektionen ist ein Erfolg der Prävention und der HIV-Therapie, die auch die Übertragung verhindert. Die erfolgreichen Wege gilt es nun weiter auszubauen: Mit noch mehr speziellen Testangeboten und Zugang zu medizinischer Behandlung für alle Menschen in Deutschland. Präventionslücken müssen endlich geschlossen werden. Dann können die Zahlen noch stärker sinken.“
Vermeidbare Infektionen verhindern
Vermeidbare HIV-Infektionen entstehen unter anderem, weil es in Deutschland nach wie vor keine Vergabe sauberer Spritzen in Haft gibt und weil Menschen ohne Aufenthaltspapiere faktisch keinen Zugang zur HIV-Therapie haben. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden.
Prophylaxe PrEP zugänglich machen
Das Potenzial der HIV-Prophylaxe PrEP ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Zur sinkenden Zahl der Neuinfektionen hat sie aller Wahrscheinlichkeit nach bereits beigetragen. Seit Herbst 2017 ist sie zu erschwinglichen Preisen auf Privatrezept erhältlich, seit dem 1.9.2019 übernehmen die Gesetzlichen Krankenkassen die Kosten. Die PrEP muss nun noch bekannter gemacht werden. Zudem fehlen in manchen Städten und Regionen abseits von Ballungsgebieten ärztliche Einrichtungen, die die PrEP verschreiben dürfen.
Erfolg bei schwulen und bisexuellen Männern
Bei den Männern, die Sex mit Männer haben, der am stärksten betroffenen Gruppe, ist die Zahl der Neuinfektionen seit 2012 um mehr als ein Viertel zurückgegangen. Hauptgrund: HIV-Infektionen werden in dieser Gruppe laut RKI in den letzten Jahren früher diagnostiziert und behandelt – damit werden auch weitere Infektionen verhindert.
Anstieg bei Drogenkonsumierenden
Besondere Aufmerksamkeit fordert der fortgesetzte Anstieg von HIV-Infektionen bei Menschen, die intravenös Drogen konsumieren. Erfolgreiche Testprogramme für HIV und Hepatitis C müssen daher fortgesetzt und ausgebaut werden. Neue Substanzen und Konsumformen erfordern eine intensive und differenzierte Ansprache in der Prävention. In Haft muss ein flächendeckender Zugang zu Substitutionstherapien und sauberen Spritzen gewährleistet werden. Dringend erforderlich sind außerdem Drogenkonsumräume in allen Bundesländern.
Außerdem erhalten HIV-positive Drogenkonsument_innen häufig keine HIV-Therapie. Die Therapiequote bei wissentlich HIV-Positiven lag laut DRUCK-Studie des RKI (2016) nur bei 55 Prozent (allgemein: 93%). Hier herrscht dringender Handlungsbedarf.
Spätdiagnosen gehen leicht zurück
Das RKI meldet außerdem eine etwas geringere Anzahl Menschen, die bei der HIV-Diagnose bereits an Aids oder einem schweren Immundefekt erkrankt waren – überwiegend, weil sie lange nichts von ihrer Infektion wussten und unbehandelt blieben (1.000 statt 1.100 Fälle im Vorjahr). Offenbar haben mehr Menschen als bisher einen HIV-Test gemacht und wurden behandelt, bevor sie krank wurden.
Bei den schwulen und bisexuellen Männern in Großstädten ist zudem laut RKI erstmals die Zahl derer gesunken, die mit HIV leben, ohne davon zu wissen.
Zu diesem Trend zu früheren Diagnosen sagt DAH-Vorstand Sylvia Urban:
„Die Zahl der Spätdiagnosen zu verringern ist eine der wichtigsten Herausforderungen der Prävention. Erfreulicherweise zeigen Kampagnen und neue Testangebote offenbar Wirkung. Doch diese Erfolge sind nur ein Anfang. Es gilt weiter deutlich zu machen: Eine frühe Diagnose ist wichtig. Mit HIV kann man heute gut leben, ohne Therapie droht weiterhin Aids.“
Erfolgreiche Kampagnen für mehr frühe Diagnosen
Die Deutsche Aidshilfe hatte auf das Problem vieler später Diagnosen unter anderem mit ihrer Kampagne „Kein Aids für alle!“ und speziellen Testkampagnen für schwule Männer („Testhelden“, „Macht doch jeder!“) reagiert.
Die Testbotschaft richtet sich auch an Ärzt_innen: Viele denken nicht an die Möglichkeit einer HIV-Infektion, wenn Patient_innen nicht selbst darauf zu sprechen kommen oder einer der am stärksten betroffenen Gruppen angehören.
Laut Robert-Koch-Institut leben insgesamt noch immer 10.600 Menschen in Deutschland unwissentlich mit HIV. Das UNAIDS-Etappenziel für das Jahr 2020, dass 90 Prozent aller Menschen mit HIV diagnostiziert sein sollen, verfehlt Deutschland noch (aktuell 88 Prozent).
Stigma ist das größte Hindernis
Zugleich muss HIV-Prävention immer auch auf einer anderen Ebene ansetzen:
„Mit HIV kann man heute bei rechtzeitiger Diagnose leben wie alle anderen Menschen. Dieses Wissen kann dazu beitragen, dass Menschen sich testen und behandeln lassen. Hier gilt: Erzählt es weiter! Diskriminierung hingegen schreckt Menschen vom Test ab – sie muss weiter verringert werden“, betont Sylvia Urban.
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