Corona-Epidemie wirft Maßnahmen gegen HIV/Aids zurück – Deutschland kann mehr beitragen
Deutsche Aidshilfe zum Ende der Internationalen Aids-Konferenz: Zweite Epidemie macht doppelte Anstrengungen erforderlich. In vielen Ländern gehen bereits die HIV-Medikamente aus. Jetzt Menschenleben retten und die Zukunft sichern.
UNAIDS und die WHO schlagen Alarm: Die weltweite SARS-CoV-2-Epidemie gefährdet die medizinische Versorgung von Millionen Menschen mit HIV. Die Anstrengungen gegen HIV/Aids weltweit drohen um mehr als 10 Jahre zurückgeworfen zu werden. Die ursprünglichen Ziele für das Jahr 2020 werden ohnehin verfehlt. Es muss sofort mehr getan werden, um eine Katastrophe zu verhindern. Das ist die bedrohliche Quintessenz der Internationalen Aids-Konferenz „AIDS2020: virtual“, die heute zu Ende geht.
Dazu erklärt Sven Warminsky vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH):
„HIV ist heute eigentlich beherrschbar. Wo die Infektionszahlen wieder steigen und Menschen an Aids sterben, geschieht dies, weil nicht genug getan wird. Corona bringt zahlreiche neue Hürden und bindet enorme Ressourcen. Dies gilt es auszugleichen: Der Kampf gegen eine Epidemie darf nicht die mühsam errungenen Erfolge bei einer anderen kosten.“
Den deutschen Beitrag gegen HIV verdoppeln
Die weltweite HIV/Aids-Prävention und -Versorgung ist ohnehin unterfinanziert, die Mittel sind rückläufig. Allein in diesem Jahr fehlen nach Angaben von UNAIDS 7,6 Milliarden Dollar. Corona führt nun zu vielfältigen zusätzlichen Belastungen. Deutschland hat darum bereits seine Zahlungen an UNAIDS auf 25 Millionen Euro verfünffacht. Die Hauptlast für die Finanzierung konkreter Maßnahmen gegen HIV weltweit – insbesondere in ärmeren Ländern – trägt allerdings der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria.
Dazu DAH-Vorstand Sven Warminsky:
„Die Bundesregierung sollte nun ihrem eigenen Beispiel folgen und auch beim Globalen Fonds massiv aufstocken – angesichts der außergewöhnlichen Situation ist eine Verdopplung der Beiträge auf 2 Milliarden für die Zeit bis 2022 angemessen. Das hätte angesichts der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auch eine wichtige Signalfunktion.“
Medikamente werden knapp - Hunderttausende könnten sterben
In 73 Ländern drohen nach Angaben der WHO zurzeit die HIV-Medikamente knapp zu werden. Bei mehr als acht Millionen Menschen, rund einem Drittel derjenigen, die weltweit eine HIV-Therapie erhalten, ist die Versorgung mit den lebensrettenden Medikamenten bereits unterbrochen oder akut gefährdet. Grund dafür sind Produktionsengpässe, unterbrochene Lieferketten und die Überlastung der Gesundheitssysteme. Hier gilt es Lösungen zu finden, zu forcieren und zu finanzieren.
UNAIDS rechnet in verschiedenen Szenarien vor, wie Therapieausfälle Hunderttausende Leben kosten könnten. Bei einem kompletten Stopp im südlichen Afrika für sechs Monate würde zum Beispiel eine halbe Million Menschen sterben – das Resultat wären Todesraten wie zuletzt 2008.
Ziele schon ohne Corona verfehlt
Dabei wollten die Vereinten Nationen eigentlich bis zum Jahr 2020 erreichen, dass 90 Prozent der weltweit HIV-positiven Menschen von ihrer Infektion wissen, 90 Prozent davon behandelt sind und dass bei wiederum 90 Prozent davon das Virus nicht mehr nachweisbar ist. Bis 2030 sollte es dann weltweit keine Aids-Erkrankungen mehr geben.
Schon ohne Corona sind die Ziele – trotz großer Erfolge in manchen Ländern und Regionen – insgesamt weit verfehlt worden: Noch immer haben knapp 13 Millionen Menschen mit HIV weltweit keinen Zugang zur Therapie. Die Zahl der Neuinfektionen liegt mit 1,7 Millionen in 2019 mehr als dreimal so hoch wie angestrebt, in Osteuropa sind die Zahlen in den letzten Jahren dramatisch gestiegen.
Stigma und Diskriminierung verhindern Erfolge
Die Hauptgründe sind neben der Unterfinanzierung die Diskriminierung von Menschen mit HIV sowie die Vernachlässigung, Marginalisierung und Verfolgung besonders stark betroffener Gruppen. In Osteuropa und Zentralasien sind es vor allem Männer, die Sex mit Männern haben und Menschen, die intravenös Drogen konsumieren. Im südlichen Afrika brauchen beispielsweise junge Frauen besondere Aufmerksamkeit, auf die etwa ein Viertel der Infektionen entfallen.
„Die Erfolge der letzten 10 Jahre zeigen: Wo besonders betroffene Gruppen gut angesprochen und versorgt werden, gehen Infektionen, Erkrankungen und Todesfälle stark zurück. Das heißt im Umkehrschluss: Misserfolge sind hausgemacht. Nur ohne Stigma und Diskriminierung können wir wieder Kurs auf das Ziel nehmen, die Aids-Epidemie zu beenden“, sagt DAH-Vorstand Sven Warminsky.