Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2024 erschienen

Expert*innen kritisieren die deutsche Drogenpolitik: Es fehle an einer ressort- und länderübergreifenden Steuerung und der Zusammenarbeit mit Forschung, Drogenhilfe und Selbsthilfe.

Der Alternative Drogen- und Suchtbericht (ADSB) 2024 ist da. Auf 134 Seiten beschäftigt sich der Report, herausgegeben von akzept – Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik, mit der deutschen Drogenpolitik.

Für die scheidende Ampelkoalition gab es bei der Vorstellung des Berichts am 18.12.2024 sogar Lob: Die Regierung habe einige wichtige Projekte angeschoben und mit der Entkriminalisierung des Cannabiskonsums sogar einen Paradigmenwechsel vollzogen, so der akzept-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Heino Stöver bei der Vorstellung des ADSB. Auch der Bundesdrogenbeauftragte Burkart Blienert habe Denkanstöße gegeben und den Finger in die Wunden gelegt, etwa beim Alkohol- und Tabakkonsum.

Veränderungen habe Blienert aber nicht angestoßen, kritisierte Stöver, und insgesamt fehle es an einer ressort- und länderübergreifenden Steuerung der Drogenpolitik und eine systematische wie kontinuierlichen Zusammenarbeit mit Forschung, Drogenhilfe und Selbsthilfe.

Kleine Fortschritte beim Drug-Checking

Als Beispiel für Fortschritte, aber ebenso für nach wie vor bestehenden Umsetzungsbedarf in der Drogenpolitik wurde das Drug-Checking genannt, also die Testung von Straßendrogen auf Art und Menge der Inhaltsstoffe.

Nina Pritszens, Geschäftsführerin der gemeinnützigen vista Berlin GmbH, die eine der drei Berliner Test-und Beratungsstellen mit diesem Angebot betreibt, berichtete von über 2000 eingereichten Proben von MDMA über Ketamin zu Heroin im ersten Jahr.

Fast die Hälfte aller Proben seien verunreinigt, falsch deklariert oder zu hochdosiert gewesen, die aktuellen Warnungen auf der Webseite seien fast 300.000 Mal aufgerufen worden. Für Nina Pritszens ist dies ein klarer Beleg dafür, dass Drug-Checking-Angebote – stationär wie auch mobil, etwa auf Festivals – bundesweit vonnöten sind.

„Gesundheitsschutz ist kein nice to have“, so Pritszens. Suchtmedizinische, soziale und andere Hilfsangebote müssten ausgebaut und eng koordiniert werden. Damit könne nicht nur den Menschen geholfen, sondern letztlich auch der öffentliche Raum und die Kommunen entlastet werden.

Moralisierung, überholte Vorstellungen und Bürokratie erschweren evidenzbasierte Hilfen

Dr. Maurice Cabanis, ärztlicher Direktor der Stuttgarter Klinik für Suchtmedizin und Abhängiges Verhalten, beklagte bei der Vorstellung des Alternativen Drogen- und Suchtberichts, dass evidenzbasierte Möglichkeiten etwa bei der Schadensminimierung von der Politik zu wenig beachtet oder gar ignoriert würden. Stattdessen seien weiterhin Moralisierung, Vorurteile und überholte Vorstellungen von Suchtverhalten Basis für politische Entscheidungen.

Außerdem erschwerten bürokratische Strukturen die Lage. Cabanis machte dies an den starren deutschen Regelungen für die diamorphingestützte Substitutionsbehandung fest: Anders als etwa in der Schweiz sei eine Vergabe von Diamorphin in Tablettenform in Deutschland immer noch nicht möglich, obwohl durch die gleichrangige Behandlung der verschiedenen Substitutionspräparate und Vergabeformen mehr Menschen erreicht werden könnten.

Maurice Cabanis sieht zugleich eine große Chance, mit den sozialen Medien gezielt junge Menschen und damit eine bislang eher vernachlässigte Konsumentengruppen zu erreichen und zu informieren. Australien sei hier mit gutem Beispiel vorangegangen.

Droht ein Rollback in der Drogenpolitik?

Wird die neue Bundesregierung auch eine neue Drogenpolitik verfolgen und solche innovativen Ideen und Strategien aufgreifen?

Heino Stöver ist skeptisch. Er hat vielmehr Angst, dass das Rad in der Drogenpolitik zurückgedreht werden könnte und man beispielsweise wieder allein auf Abstinenz anstatt auf schadensmindernde Strategien setzt. Auch wisse niemand, ob durch die künftige Regierung den ohnehin unterfinanzierten Drogenberatungsstellen weitere Mittelkürzungen drohen.

Sparmaßnahmen seien jedoch ein völlig falscher Weg, denn die langfristigen Kosten seien weitaus höher, betonte die vista-Geschäftsführerin Nina Pritszens. „Vor allem aber“, ergänzte Professor Heino Stöver, „muss sich die die Gesellschaft fragen, ob sie diese zentralen Gesundheitsprobleme, die sich in Familien genauso wie im öffentlichen Raum abspielen, ignorieren kann.“

(ascho/hs)

Der 11. Alternative Drogen- und Suchtbericht ist gedruckt und als eBook bei Papst Science Publishers erhältlich. Er kann zudem kostenfrei auf der Webseite alternativer-drogenbericht.de als PDF abgerufen werden.

Die Themen reichen vom fehlenden Jugend- und Verbraucherschutz bei Einweg-E-Zigaretten über die Take-Home-Vergabe von Naloxon und die Situation der Drogenkonsumräume in Deutschland bis zu den Herausforderungen durch die Verbreitung synthetischer Opioide und Vorschlägen für eine effektivere Tabakkontrolle.