Aktualisiert: Versorgung mit PrEP-Medikament offenbar doch gefährdet
Immer mehr Apotheken können das Medikament für die HIV-Prophylaxe nicht mehr nachbestellen. Die Deutsche Aidshilfe hat sich an die zuständigen Stellen des Bundes gewendet.
(Die ursprüngliche Meldung wurde am 20.12.2023 veröffentlicht, wir haben sie am 22.12. aktualisiert.)
Noch am 13.12.2023 hatten Pharmafirmen und andere Akteure versichert, die Versorgung mit dem HIV-Medikament Emtricitabin plus Tenofovir sei stabil (auf aidshilfe.de hatten wir in diesem Sinn berichtet).
Die Deutsche AIDS-Gesellschaft (DAIG), die Vertretung ambulant tätiger HIV-Mediziner*innen (dagnä) und die Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA) hingegen hatten bereits Ende November von massiven Lieferproblemen gesprochen.
Viele Apotheken können keine PrEP-Medikamente im Großhandel nachbestellen
Neue Recherchen der Deutschen Aidshilfe (DAH) am 18. und 19.12. bei zahlreichen HIV-Schwerpunktapotheken sowie Schwerpunktärzt*innen zeigten dann, dass viele Apotheken derzeit keine Medikamente mit der Wirkstoffkombination Emtricitabin plus Tenofovir (FTC+TDF) nachbestellen können und nur noch ihre Bestände abgeben. Wie lange diese ausreichen, ist individuell verschieden: Einige haben bereits keine Lagerbestände mehr, andere gehen davon aus, dass sie länger mit den Medikamenten hinkommen.
Die Gründe für den Engpass sind offenbar vielschichtig. So haben zum Beispiel zwei Fabriken nach unseren Informationen Produktionsprobleme, außerdem scheint es einzelne Schwierigkeiten in der Lieferkette und eine verstärkte Nachfrage zu geben. Auch Preisunterschiede auf dem europäischen Arzneimittelmarkt dürften eine Rolle spielen: Hersteller bekommen in vielen Nachbarländern offenbar mehr Geld für ihre Medikamente als in Deutschland.
Wann das Medikament wieder bestellbar sein wird, lässt sich derzeit nicht genau sagen. Ein großer Hersteller hat zwar für Anfang Februar eine neue Lieferung angekündigt, doch kann sie voraussichtlich nicht den gesamten Bedarf abdecken.
Die Deutsche Aidshilfe fordert Maßnahmen des Gesundheitsministeriums
Die Deutsche Aidshilfe hat das Bundesministerium für Gesundheit aufgefordert, die Probleme bei der FTC+TDF-Versorgung zu lösen. „Es darf nicht sein, dass Patient*innen und PrEP-User*innen sich Sorgen machen müssen, ob die Versorgung mit ihrem Medikament sicher ist“, sagt Holger Wicht, Pressesprecher der Deutschen Aidshilfe. Dies gefährde auch die nationalen Präventionsziele. „Für nicht wenige Menschen ist ihr Schutz vor HIV in Gefahr.“
Parallel dazu hat sich die DAH an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gewandt und es aufgefordert, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen oder anzuordnen, um die Versorgung mit FTC+TDF sicherzustellen. Laut § 52b des Arzneimittelgesetzes (AMG) kann das BfArM „im Fall eines drohenden oder bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpasses eines Arzneimittels geeignete Maßnahmen zu dessen Abwendung oder Abmilderung ergreifen“.
Außerdem schlägt die Deutsche Aidshilfe die schnellstmögliche Einberufung eines Runden Tischs mit allen wesentlichen Akteur*innen vor, um Lösungsmöglichkeiten zu besprechen.
Aktualisierung vom 22.12.2023: BfArM bestätigt kritischen Lieferengpass
In seiner Antwort an die Deutsche Aidshilfe vom 22.12.2023 bestätigt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, dass der Lieferengpass „aufgrund des hohen betroffenen Marktanteils und der fehlenden therapeutischen Alternativen für Teilindikationen“ als kritisch eingeschätzt wird. Es handele sich nach derzeitiger Datenlage „um eine den Bedarf nicht kontinuierlich deckende Verfügbarkeit“, wobei die Bestände und Produktionsmargen der lieferfähigen Hersteller für einen umfassenden Ausgleich des Ausfalls nicht ausreichten.
Die Zulassungsinhaber, welche die Wirkstoffkombination Emtricitabin plus Tenofovirdisoproxil vermarkten, würden angehört, um Lieferfähigkeit sowie mögliche Produktionserhöhungen zu ermitteln. Nach derzeitigem Kenntnisstand sei der Hersteller des (teuren) Originalpräparats lieferfähig und bestätige auch die Verfügbarkeit US-amerikanischer Ware. Diese könne derzeit jedoch lediglich auf Grundlage des § 73 Abs. 3 des Arzneimittelgesetzes importiert werden, also als Einzelimporte, die mit erhöhtem Aufwand verbunden sind und deren Kostenübernahme durch die Krankenkassen nach Informationen der Deutschen Aidshilfe ungewiss ist.
Das BfArM hat auf Anregung der Deutschen Aidshilfe zugesagt, man werde Ende Januar über die Wiederaufnahme der Kombination FTC+TDF in die Liste der versorgungskritischen Wirkstoffe beraten. Außerdem prüfe man die Situation und etwaige weitere Entwicklungsschritte als auch mögliche Maßnahmen kontinuierlich in engem Austausch mit dem Bundesgesundheitsministerium und weiteren Akteuren.
Untersucht werde des Weiteren, inwieweit „ein deutlich erhöhter Abverkauf“ des Medikaments, der kürzlich über wenige Wochen stattgefunden habe, zu einer (regional unterschiedlichen) Bevorratungssituation geführt haben könne.
Was tun, wenn man kein PrEP-Medikament bekommt?
Wer Schwierigkeiten hat, das PrEP-Medikament zu bekommen, sollte sich an ein Mitglied der Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA) oder eine Online-Apotheke wenden. Die Inhaltsstoffe und damit auch die Wirkung der verschiedenen Generika sind gleich.
Für einige Anwender*innen der täglichen Dauer-PrEP könnte es zudem eine Option sein, zumindest vorübergehend auf die sogenannte anlassbezogene PrEP umzusteigen, bei der man lediglich vor und nach (geplantem) Sex Tabletten nimmt (nähere Informationen dazu finden sich unter aidshilfe.de/hiv-prep/einnahmeschema).