Eine Lobby gegen Armut und für mehr Gleichheit

Liebe Leser*innen,

in der letzten Zeit gab es auf magazin.hiv wieder viele lesenswerte Beiträge, auf die wir das Augenmerk richten möchten.

Dass vor allem trans* und inter* Personen im Gesundheitswesen diskriminierende Situationen erleben und auf Ärzt*innen oder Pfleger*innen treffen, die nicht vorurteilsfrei auf sie eingehen und wenig über besondere medizinische Aspekte wissen, hat schon unser Forschungsprojekt zur sexuellen Gesundheit in trans* und nicht-binären Communitys ergeben. Jetzt will das von Volker Wierz und Michael Nürnberger herausgegebene Handbuch „LSBTI* in Pflege und Medizin“ diesen Defiziten entgegenwirken. Die Autor*innen des kompakten Grundlagenwerks kommen alle selbst aus dem queeren Umfeld und schreiben auch aus ihrem eigenen Erleben – zum Beispiel über den Alltag in „durch und durch heteronormativ geprägten“ Pflegeeinrichtungen, auf die viele LSBTI* in den letzten Lebensjahren angewiesen sind. Wir wünschen diesem Buch viel Aufmerksamkeit, vor allem auch in ländlichen Regionen, wo Vorbehalte und Unsicherheiten gegenüber LSBTI*-Patient*innen manchmal  Regel größer sind.

Sitzt du noch oder wohnst du schon? Unter diesem Titel erläutern Helene De Vos und Veronique Aicha von der Organisation RESCALED – European Movement for Detention Houses, warum Gefängnisse die gesellschaftlichen Erwartungen nicht erfüllen: Die Inhaftierten könnten sich einem Klima von Spannungen, Gewalt und Drogen, in dem ihre Autonomie gebrochen wird, nicht positiv verändern. Die beiden setzen sich deshalb für eine Unterbringung in betreuten Wohnhäusern ein, die die Bewohner*innen befähigen sollen, eine Rolle in der Gesellschaft zu übernehmen. Beispiele für dieses Konzept gibt es unter anderem in Schottland und den Niederlanden – ein wichtiger Beitrag zur Debatte, wie wir mit straffällig gewordenen Menschen umgehen wollen.

Madeleine Mawamba engagiert sich seit neun Jahren für die Organisation „Women in Exile“, die sich speziell für geflüchtete Frauen einsetzt, „weil wir erleben, dass sie einsam, isoliert und in die Enge getrieben sind“. Women in Exile will ein Safe Space für sie sein und hilft, gute Rechtsanwält*innen und Berater*innen zu finden, vermittelt Sprachunterricht und arbeitet politisch: gegen Rassismus und Diskriminierung, für eine menschenwürdige Versorgung und Unterbringung, für Teilhabe an der Gesellschaft. Madeleine Mawamba wünscht sich eine gemeinsame Barriere gegen rechts und hofft, dass das Signal der aktuellen Demonstrationen sich auch an den Wahlurnen abbildet.

Unser Dachverband, der Paritätische, wird im April 100. Im Interview mit dem Vorsitzenden Rolf Rosenbrock zu diesem Anlass erfahren wir, dass er sein Buch „AIDS kann schneller besiegt werden“ 1986 zum Teil in unseren Räumen - damals noch in einer Mietwohnung – recherchiert und geschrieben hat. Für ihn war das „ein Kraftfeld, wo sich alle Informationen, unglaubliche Motivation, aber auch Zuversicht und Mut konzentrierten“. Nach seiner jahrzehntelangen Zeit am Wissenschaftszentrum Berlin, wo er den Bereich Public Health etablierte, sieht er sich im Paritätischen „als Teil einer Lobby gegen Armut, für mehr Gleichheit, für Chancengleichheit, für Gleichwürdigkeit von Menschen“. Der Paritätische stehe felsenfest auf dem Prinzip der Gleichwertigkeit: „Jeder Mensch hat die gleiche Würde, sollte die gleichen Chancen haben und darf nicht diskriminiert werden.“

Das gilt auch für Sexarbeiter*innen. Zwei Jahre lang haben wir uns in einem partizipativen Forschungsprojekt mit den Bedarfen und Strategien von Sexarbeiter*innen in Bezug auf ihre sexuelle Gesundheit beschäftigt. Wir sind den zehn Peer-Forschenden und 80 beteiligten Sexarbeiter*innen zu großem Dank für ihre Offenheit verpflichtet. Die Beteiligten haben uns Einblicke in ihre sehr unterschiedlichen Lebenswelten gegeben, aus denen partizipativ elf Empfehlungen entstanden sind. Die Ergebnisse der Studie werden am 10. April veröffentlicht – in Begleitung weiterer lesenswerter Beiträge.

Herzliche Grüße,

Silke Klumb