Studie 50plusHIV: Endlich auch Daten für Deutschland

Welche Konsequenzen hat das Älterwerden HIV-Positiver für die gesundheitliche und pflegerische Versorgung, für Beratung und Selbsthilfe? Dieser Frage geht die Studie 50plusHIV der Goethe-Universität Frankfurt und der Freien Universität Berlin nach. Zugrunde liegen 907 Fragebögen und 40 vertiefende qualitative Interviews. Es ist die erste deutsche Studie, die sich mit den psychosozialen Implikationen der HIV-Infektion befasst.

Die Stichprobe

Die Fragebögen erreichten eine relativ „junge Gruppe“ der älteren Positiven (71% zwischen 50 und 59, 7 % älter als 70 Jahre). Homo- und bisexuelle Männer machen mit 78 % den größten Anteil aus, 12 Prozent entfallen auf heterosexuelle Frauen, acht auf heterosexuelle Männer. 11% der Befragten hatten einen Migrationshintergrund. 4% der Befragten haben sich über Blutprodukte infiziert, 3 % geben das Tauschen von Spritzbesteck an.

Ergebnisse

Die Befragung deckt ein breites Spektrum an Themen ab:  Dazu gehören die medizinische Versorgung und das Unterstützungssystem, die  sozioökonomische, psychische und soziale Situation, Sexualität, Diskriminierungserfahrungen, Ängste und Zukunftswünsche.

Vor allem die psychosozialen Herausforderungen nehmen mit steigendem Alter weiter zu. Angst vor Altersarmut und einer unzureichenden Versorgung, Verlust von Selbständigkeit und  zunehmende Komorbiditäten treffen zwar auch Menschen ohne HIV, potenzieren sich hier jedoch. Die Armutsgefährdungsquote ist im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung fast doppelt so hoch. Bei Frauen von 50 bis 64 liegt sie sogar bei 51% (Allgemeinbevölkerung: 19%). Grund sind unter anderem abgebrochene Erwerbsbiografien.

Sehr eindrücklich belegen die Interviews eine Häufung von Multiproblemlagen. Neben Themen wie Diskriminierung und Einsamkeit spielen Selbststigmatisierung und Trauma eine große Rolle. Je mehr Stigmatisierung erlebt und internalisiert wird, umso stärker ist das psychische Wohlbefinden eingeschränkt. 34 Prozent der Befragten, die häufig Stigmatisierung erlebt haben, berichten von einer ängstlich-depressiven Symptomatik, bei hochgradig internalisiertem HIV-Stigma sogar 44 Prozent. Hinzu kommt: Je weniger offen Menschen mit ihrer HIV-Infektion umgehen, desto weniger erleben sie soziale Unterstützung. Die Befragten berichten, niemand würde sie um sich kümmern, wenn sie kurzfristig oder dauerhaft erkranken würden.

Ältere Menschen mit HIV können dabei selbst nur wenig Einfluss auf ihre Situation nehmen: Der gesellschaftliche Umgang und vor allem das nicht auf HIV-Positive vorbereitete Altenhilfesystem führen zu Diskriminierungserfahrungen. Auch im Medizinsystem erleben die Patient_innen Diskriminierung. So entstehen Ängste und internalisiertes Stigma, teilweise werden Arztbesuche vermieden. Die Zufriedenheit mit der HIV-Behandlung und die Compliance sind in der erreichten Gruppe hingegen sehr hoch.

Die Studie zeigt eine spezifische Dringlichkeit an,  eine bedarfsorientierte, diskriminierungsfreie Versorgung weiter zu entwickeln und das Alters- und Pflegesystem für die Bedürfnisse HIV-positiver Menschen zu sensibilisieren. Darüber hinaus bedarf es der Entwicklung neuer Konzepte des Älterwerdens  – nicht-defizitorientiert, nicht-stigmatisierend, sondern „positiv“.

Die Studienergebnisse werden in Kürze hier zum Download veröffentlicht.