Volksabstimmung in der Schweiz: Kriminalisierung von HIV-Positiven wird abgebaut

Mit einer deutlichen Mehrheit von 60 Prozent haben die Schweizer gestern in einer Volksabstimmung ein modernisiertes Epidemiengesetz angenommen.

Damit sollen die Behörden besser gegen übertragbare Krankheiten vorgehen können. Auslöser für die Gesetzesänderung war die SARS- und die Vogelgrippe-Krise.

Die öffentliche Diskussion im Vorfeld der Abstimmung wurde weitgehend von der Frage der Impfpflicht bestimmt. Die ebenfalls im Gesetzesvorhaben integrierte Änderung des Artikels 231 des Strafgesetzbuchs hingegen wurde im Abstimmungskampf von Seiten der Behörden und Aids-Organisationen bewusst wenig thematisiert, um möglichst keine Gegenkampagnen zu provozieren.

Der neue Artikel 231 sieht eine Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren vor, wenn jemand „aus gemeiner Gesinnung eine gefährliche übertragbare menschliche Krankheit verbreitet“. In der parlamentarischen Beratung war klargestellt worden, dass dieser Artikel auf Fälle von sogenanntem Bioterrorismus angewendet werden soll (aidshilfe.de berichtete).

In der bisherigen Fassung sah der Artikel Freiheitsstrafen auch für die vorsätzliche oder fahrlässige Verbreitung gefährlicher menschlicher Krankheiten vor. Dies führte regelmäßig dazu, dass in Körperverletzungsverfahren wegen tatsächlicher oder potenzieller HIV-Übertragungen das Strafmaß erhöht wurde, weil zusätzlich das Epidemiengesetz zum Tragen kam. Zu Haftstrafen verurteilt werden konnten HIV-Positive sogar dann, wenn sie ihre Partner über ihre Infektion informiert und diese in den ungeschützten Sex eingewilligt hatten. 

Die Schweizer Aids-Aktivistin Michèle Meyer ist über den Ausgang der Abstimmung glücklich. „Ich lebe jetzt endlich strafffrei“, fasst sie die Änderungen für sich zusammen.

Die Aids-Hilfe Schweiz erklärte, das neue Epidemiengesetz fördere den offenen Umgang mit HIV und Aids und stärke so die HIV-Prävention. Geschäftsleitungsmitglied Dr. Harry Witzthum sagte: „Kriminalisiert man HIV/Aids, kann dies dazu führen, dass HIV-positive Menschen ihre Infektion nicht offenlegen oder nicht zum HIV-Test gehen – aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung.“

Die Veränderung des Epidemiengesetzes bedeutet allerdings nicht die Abschaffung der Strafbarkeit von tatsächlichen oder potenziellen HIV-Übertragungen, die nach wie vor als Körperverletzung geahndet werden können. Michèle Meyer sieht das Gesetz daher nur als ersten Schritt: Sie fordert die vollständige Entkriminalisierung von (potenziellen) HIV-Übertragungen bei selbstbestimmten sexuellen Begegnungen.

(sho/hs)

 

Weitere Informationen

Link zur Gesetzesvorlage des Schweizer Epidemiengesetzes

Pressemitteilung der Aids-Hilfe Schweiz vom 22.9.2013

Keine Kriminalisierung von Menschen mit HIV! Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe, 2012