Von der Siechenstraße ins Glück: 25 Jahre AIDS-Hilfe im Kreis Soest

Die 48.000-Einwohner-Stadt Soest, einst stolze Hansestadt, liegt jeweils 50 Kilometer von Dortmund und Paderborn entfernt im Herzen von Nordrhein-Westfalen. Von ihrer Blütezeit zeugen noch heute rund 600 denkmalgeschützte Häuser, eine begehbare Stadtmauer und zehn Kirchen, darunter der mehr als 1.000 Jahre alte St. Patrokli-Dom. Traditionell gegessen wird in Soest Möppkenbrot und Pumpernickel.

Anno domini 1987 trug es sich zu, dass die Sozialarbeiter des Jugendcafés zu einem Info-Abend über HIV und Aids einluden; aus den Teilnehmern kristallisierte sich ein fester Kern von Engagierten aus unterschiedlichen Berufsgruppen heraus, die schließlich im August 1988 die AIDS-Hilfe Soest gründeten. Erster Sitz des Vereins, der in den ersten Jahren rein ehrenamtlich beriet, betreute und informierte, war die Alte Marienschule in der Siechenstraße.

Alle Bemühungen um die Finanzierung einer hauptamtlichen Fachkraft blieben zunächst umsonst, doch als dann endlich die Mittel zur Verfügung standen, ging es recht schnell: Am Tag ihres Studienabschlusses kam Hildegard Wahle, die vorher 15 Jahre in der kirchlichen Sozialarbeit beschäftigt war, zum Gesundheitsamt; und da fragte die Aids-Koordinatorin sie, ob sie sich vorstellen könnte, in der Aidshilfe zu arbeiten. „Und das konnte ich nicht“, gibt Hildegard Wahle offen zu. Sie hatte bisher mit Behinderten, alten Menschen und Nichtsesshaften zu tun, kannte auch einige schwule Männer, doch die Welt der Drogengebrauchenden war ihr vollkommen fremd. „Ich habe ein paar Nächte darüber geschlafen und dann die damalige Vereinsvorsitzende angerufen“, sagt sie. Seit dem 1. Mai 1994 ist sie die erste und immer noch einzige hauptamtliche Mitarbeiterin der AIDS-Hilfe Soest.

Hildegard Wahle geht die Dinge pragmatisch an; was bleibt auch anderes übrig, wenn man allein für ein Einzugsgebiet mit 300.000 Einwohnern zuständig ist und das gesamte Spektrum der Aidshilfe-Arbeit abdeckt? Ihre Zurückhaltung gegenüber Drogengebrauchern hat sie im täglichen Umgang mit ihnen abgelegt, und die Betreuung von Klienten, die verstreut im Kreis leben, verbindet sie mit anderen Außenterminen – zum Beispiel mit den rund hundert Präventionsveranstaltungen an Schulen oder der wöchentlichen Sprechstunde beim Paritätischen in der Nachbarstadt. Umgekehrt finden die Ratsuchenden auch zu ihr: Die Aidshilfe sitzt inzwischen zwar mitten in der beschaulichen Altstadt, im Haus der früheren Metzgerei Glück; das wird aber auch von vielen anderen Selbsthilfegruppen genutzt, sodass es weniger Ängste gibt, über die Schwelle der Aidshilfe zu treten.

Dennoch bleibt einer großen Gruppe der Weg zu ihr verwehrt: Hildegard Wahle betreut Insassen der Justizvollzugsanstalt Werl und setzt sich persönlich für „ihre Jungs“ – übrigens fast durch die Bank Drogengebraucher – ein. Wie vertraut ihr deren Welt inzwischen ist, ist herauszuhören, wenn sie vom Substitutionsangebot in der JVA spricht: „Am Anfang sind nur zwei Gefangene substituiert worden, jetzt sind es immerhin 150.“ Der Anstaltsleiter Michael Skirl schätzt die Zusammenarbeit mit der engagierten Sozialarbeiterin ebenso wie der Arzt Joe Bausch, vielen bekannt als der Pathologe im Kölner „Tatort“. Beide sind Gäste einer Talkrunde zum Thema Knast.

Gefragt, wie sie das alles schafft, sagt Hildegard, dass ihr Glaube ihr Kraft gibt und dass sie einen „supertollen, wirklich ganz tollen Vorstand“ hat, der sie unterstützt, wo er nur kann – nicht zu vergessen die ehrenamtlichen Mitarbeiter vom Webmaster bis zu den Helfern auf Veranstaltungen.